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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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ES bleibt noch die Frage übrig, warum man dieses Gesetz jetzt einbringt,
da es seine Anwendung doch erst in zwei Jahren findet. -- Die Konservativen
erklären: um den Credit wieder zu heben, der durch die Furcht vor einer ge¬
setzlichen Herrschaft deö Socialismus vollkommen erschüttert ist. -- Ihre Gegner
meinen: um die Socialisten, deren Anzahl täglich im Wachsen ist, und die nach
zwei Jahren einen gefährlichen Kampf erregen konnten, jetzt zu einem voreiligen
Ausbruch zu verleiten, sie niederzuschlagen nud dann die vollständige Militär-
dictatur einzuführen.

Ju Beidem ist etwas Wahres, nud um die Hervorhebung des einen und
des andern dieser Gesichtspunkte dreht sich die Debatte, die in Beziehung auf
das Resultat ohne wesentliche Bedeutung ist, weil die aus zwei Drittel", der Ver¬
sammlung bestehende Majorität fest entschlossen ist, das Gesetz durchzubringen.

Der parlamentarische Kampf wird vorzugsweise von den "Weißen" und
den "Blauen" geführt; die "Rothen" haben nnr insofern an der Debatte theil-
genommen, als sie (I^^lungo, ele civile;) erklärt haben: ihr wollt uns mit euerm
Gesetz herausfordern, wir nehmen die Herausforderung nicht an. Wir werden
keine Eineute machen, wenigstens für jetzt nicht. -- Ich glaube an die Auf¬
richtigkeit dieser Versicherung, denn der Ausgang dieses Kampfes wäre im gegen¬
wärtigen Augenblick sehr sicher. Ob die Socialisten sich aber nicht täuschen, wenn
sie an ein constantes Wachsthum ihrer Partei glauben, wage ich nicht zu ent¬
scheiden, obgleich in der ersten Zeit ihre Armee sich gewiß aus allen denen recru-
tiren wird, die durch das neue Wahlgesetz von dem rechtlichen Boden verdrängt
werden und etwa no:l> uicht dem Socialismus angehören. Bei den Franzosen
kann mau nie aus eine längere Zeit im Voraus rechnen; irgend eine neue Idee
in diese leicht entzündliche Masse geworfen, und die Phalanstere sind vergessen.

Freilich muß diese Idee etwas handgreiflicher sein, als diejenige, welche
die Regierung in ihrer englischen Fastnachtsposse durchzuführen gedenkt. Frank¬
reich ist nicht gegen die Comödie überhaupt, aber gegen die schlechte Comödie. --

Die blauen oder honetten Republikaner -- Cavaignac, Lamartine, Victor
Hugo, Jules Favre n. s. w.haben das Gesetz theils wegen seiner rechtlichen
Bedenken, seines Widerspruchs gegen die Verfassung, theils wegen seiner Oppor¬
tunist angegriffen. Cavaignac mit nulitänscher, und daher sehr eindringlicher
Präcision, Lamartine, der eine schwierige Stellung hatte, weil er erst vor Kur¬
zem in einer Denkschrift sich über die Unzweckmäßigkeit deö allgemeinen Wahb
rechts ausgesprochen hat, durch einen Witz: seine ganze Deduction kam nämlich
darauf hinaus, daß er behauptete, die conservative Partei habe sich stets selber
dadurch gestürzt, daß sie in ungeduldiger Hast vom Guten zum Bessern geeilt sei;
eine Behauptung, die mehr durch ihre Paradoxie als durch ihre Wahrheit im-
ponirt. Die Andern haben sich an Phrasen gehalten.

Die Absicht der Majorität in der Debatte ging darauf aus, diese Mittels-


ES bleibt noch die Frage übrig, warum man dieses Gesetz jetzt einbringt,
da es seine Anwendung doch erst in zwei Jahren findet. — Die Konservativen
erklären: um den Credit wieder zu heben, der durch die Furcht vor einer ge¬
setzlichen Herrschaft deö Socialismus vollkommen erschüttert ist. — Ihre Gegner
meinen: um die Socialisten, deren Anzahl täglich im Wachsen ist, und die nach
zwei Jahren einen gefährlichen Kampf erregen konnten, jetzt zu einem voreiligen
Ausbruch zu verleiten, sie niederzuschlagen nud dann die vollständige Militär-
dictatur einzuführen.

Ju Beidem ist etwas Wahres, nud um die Hervorhebung des einen und
des andern dieser Gesichtspunkte dreht sich die Debatte, die in Beziehung auf
das Resultat ohne wesentliche Bedeutung ist, weil die aus zwei Drittel», der Ver¬
sammlung bestehende Majorität fest entschlossen ist, das Gesetz durchzubringen.

Der parlamentarische Kampf wird vorzugsweise von den „Weißen" und
den „Blauen" geführt; die „Rothen" haben nnr insofern an der Debatte theil-
genommen, als sie (I^^lungo, ele civile;) erklärt haben: ihr wollt uns mit euerm
Gesetz herausfordern, wir nehmen die Herausforderung nicht an. Wir werden
keine Eineute machen, wenigstens für jetzt nicht. — Ich glaube an die Auf¬
richtigkeit dieser Versicherung, denn der Ausgang dieses Kampfes wäre im gegen¬
wärtigen Augenblick sehr sicher. Ob die Socialisten sich aber nicht täuschen, wenn
sie an ein constantes Wachsthum ihrer Partei glauben, wage ich nicht zu ent¬
scheiden, obgleich in der ersten Zeit ihre Armee sich gewiß aus allen denen recru-
tiren wird, die durch das neue Wahlgesetz von dem rechtlichen Boden verdrängt
werden und etwa no:l> uicht dem Socialismus angehören. Bei den Franzosen
kann mau nie aus eine längere Zeit im Voraus rechnen; irgend eine neue Idee
in diese leicht entzündliche Masse geworfen, und die Phalanstere sind vergessen.

Freilich muß diese Idee etwas handgreiflicher sein, als diejenige, welche
die Regierung in ihrer englischen Fastnachtsposse durchzuführen gedenkt. Frank¬
reich ist nicht gegen die Comödie überhaupt, aber gegen die schlechte Comödie. —

Die blauen oder honetten Republikaner — Cavaignac, Lamartine, Victor
Hugo, Jules Favre n. s. w.haben das Gesetz theils wegen seiner rechtlichen
Bedenken, seines Widerspruchs gegen die Verfassung, theils wegen seiner Oppor¬
tunist angegriffen. Cavaignac mit nulitänscher, und daher sehr eindringlicher
Präcision, Lamartine, der eine schwierige Stellung hatte, weil er erst vor Kur¬
zem in einer Denkschrift sich über die Unzweckmäßigkeit deö allgemeinen Wahb
rechts ausgesprochen hat, durch einen Witz: seine ganze Deduction kam nämlich
darauf hinaus, daß er behauptete, die conservative Partei habe sich stets selber
dadurch gestürzt, daß sie in ungeduldiger Hast vom Guten zum Bessern geeilt sei;
eine Behauptung, die mehr durch ihre Paradoxie als durch ihre Wahrheit im-
ponirt. Die Andern haben sich an Phrasen gehalten.

Die Absicht der Majorität in der Debatte ging darauf aus, diese Mittels-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/375>, abgerufen am 24.08.2024.