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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Mit wilder, verzweifelter Geberde stürzte das treue Mädchen neben dein Leich¬
name des Heißgeliebten und seiner Braut nieder, und eine Fluch von Verwün¬
schungen ergoß sich über ihre Lippen. Ihr Schmerz war so wild, so groß und
wahr, daß er die Wuth der Erbarmnngslosen neben ihr für Augenblicke schmolz
nud ihnen Erstannen, ja Thränen abzwang. Sie redete immer fort, wirr dnrch
einander die heißesten Liebesworte dein todten Geliebten und entsetzliche Flüche
den Mördern zurufend. Nacht fing an ihren Verstand zu umhüllen, sie sah
immer uur deu gegen Oedön erhobeiien Speer und seinen Leib sich offnen, und
aus tailsend Wuiideil Blut vergießen. Es ioar niusoust, daß menschlichere
Walachen deu Leichnam Oedöns ihr zik entreißen suchte", sie wehrte sich mit
Handen, Füßen und Zähnen.

So blieb sie, Kälte und Umgebung vergessend, zwei Tage und Nächte dort
liegen, streichelte sei" Haupt und rußte seine Lippen und spielte mit seinem Haare,
bis der furchtbare Frost sie tödtete.

Micaresen war besinnungslos durch einige Männer seiner Tribus der Wuth
der Menge entzogen worden, er allein wurde gerettet. Acht Tage lang währte
der Brand und die Plünderung. Da erschienen Houveds und etliche Reiter in der
noch ^aucheudeu, sterbenden Stadt, unter ihnen war der Freund Oedöu's, welcher
diese traurige Geschichte erzählt. Noch waren viele Hunderte der Mordbrenner in den
Gassen und sammelten sich, als sie die Ungarn erblickten. Diese aber ließen ihnen leine
Zeit, wie ein Sturm warfen sie sich aus die mehr als zwanzigfach überlegene
Horde und tödteten und verwundeten viele derselben. Es waren 60 Kceß-
chevanxlegers unter ihrem tollkühnen Anführer Peretyi, und zwei Compganien Hou¬
veds. -- Als sie die Stadt vom Feinde gereinigt und die Leiche" so vieler ihrer
Brüder an die Hänser gelegt, schritten sie dnrch alle Gassen und riefe" mit laute^-
Stimme: "NuMuxiK KiK ":>>mjvn vuMwK, "or>.ok ob';!" Ungarn, die ihr ver¬
borge" seid, kommt hervor!

Da krochen Jaunilergestalten aus viele" Keller" ""d Verstecke" hervor. Es
war el" herzbrechender Anblick, wie die Unglücklichen mit leichenblassc" Antlitze",
i" denen Hu"ger, Angst, Verzweiflung sich malte", sehe" wie gehetztes Wild aus
den Kellerluken hervorspähten, ob es nicht abermals Verrath sei, der sie gerufen,
und wie sie dann, als sie die Attila's der Soldaten erblickten, weinend sich um¬
armte" ""d sich an das Tageslicht hervorschleppten. Manche starben in dem Augen-
blicke, wo sie dem Leben und der Hoffnung wiedergegeben waren, Andere blickten
mit dummem Lächeln "in sich und bräche" da"" i" ein wildes Geheul aus. Sie
wäre" wahnsinnig geworden. Noch Andere sah man lant weinend neben Leichnamen,
Opfern jener Mordnacht, t'rien; der eine hatte seinen Bruder, der die Mutter, die
Schwester erkannt, Bräute fanden ihre Verlobten wieder, und Mütter ihre Kinder.,

Die Honveds eilten nun in die benachbarten Wälder und Weingärten und
suchten die dort Versteckten hervor. Dort war der Jammer und das Weh noch


Grenzboten. II. 1850. 63

Mit wilder, verzweifelter Geberde stürzte das treue Mädchen neben dein Leich¬
name des Heißgeliebten und seiner Braut nieder, und eine Fluch von Verwün¬
schungen ergoß sich über ihre Lippen. Ihr Schmerz war so wild, so groß und
wahr, daß er die Wuth der Erbarmnngslosen neben ihr für Augenblicke schmolz
nud ihnen Erstannen, ja Thränen abzwang. Sie redete immer fort, wirr dnrch
einander die heißesten Liebesworte dein todten Geliebten und entsetzliche Flüche
den Mördern zurufend. Nacht fing an ihren Verstand zu umhüllen, sie sah
immer uur deu gegen Oedön erhobeiien Speer und seinen Leib sich offnen, und
aus tailsend Wuiideil Blut vergießen. Es ioar niusoust, daß menschlichere
Walachen deu Leichnam Oedöns ihr zik entreißen suchte», sie wehrte sich mit
Handen, Füßen und Zähnen.

So blieb sie, Kälte und Umgebung vergessend, zwei Tage und Nächte dort
liegen, streichelte sei» Haupt und rußte seine Lippen und spielte mit seinem Haare,
bis der furchtbare Frost sie tödtete.

Micaresen war besinnungslos durch einige Männer seiner Tribus der Wuth
der Menge entzogen worden, er allein wurde gerettet. Acht Tage lang währte
der Brand und die Plünderung. Da erschienen Houveds und etliche Reiter in der
noch ^aucheudeu, sterbenden Stadt, unter ihnen war der Freund Oedöu's, welcher
diese traurige Geschichte erzählt. Noch waren viele Hunderte der Mordbrenner in den
Gassen und sammelten sich, als sie die Ungarn erblickten. Diese aber ließen ihnen leine
Zeit, wie ein Sturm warfen sie sich aus die mehr als zwanzigfach überlegene
Horde und tödteten und verwundeten viele derselben. Es waren 60 Kceß-
chevanxlegers unter ihrem tollkühnen Anführer Peretyi, und zwei Compganien Hou¬
veds. — Als sie die Stadt vom Feinde gereinigt und die Leiche» so vieler ihrer
Brüder an die Hänser gelegt, schritten sie dnrch alle Gassen und riefe» mit laute^-
Stimme: „NuMuxiK KiK «:>>mjvn vuMwK, »or>.ok ob';!" Ungarn, die ihr ver¬
borge» seid, kommt hervor!

Da krochen Jaunilergestalten aus viele» Keller» »»d Verstecke» hervor. Es
war el» herzbrechender Anblick, wie die Unglücklichen mit leichenblassc» Antlitze»,
i» denen Hu»ger, Angst, Verzweiflung sich malte», sehe» wie gehetztes Wild aus
den Kellerluken hervorspähten, ob es nicht abermals Verrath sei, der sie gerufen,
und wie sie dann, als sie die Attila's der Soldaten erblickten, weinend sich um¬
armte» »»d sich an das Tageslicht hervorschleppten. Manche starben in dem Augen-
blicke, wo sie dem Leben und der Hoffnung wiedergegeben waren, Andere blickten
mit dummem Lächeln »in sich und bräche» da»» i» ein wildes Geheul aus. Sie
wäre» wahnsinnig geworden. Noch Andere sah man lant weinend neben Leichnamen,
Opfern jener Mordnacht, t'rien; der eine hatte seinen Bruder, der die Mutter, die
Schwester erkannt, Bräute fanden ihre Verlobten wieder, und Mütter ihre Kinder.,

Die Honveds eilten nun in die benachbarten Wälder und Weingärten und
suchten die dort Versteckten hervor. Dort war der Jammer und das Weh noch


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[0345] Mit wilder, verzweifelter Geberde stürzte das treue Mädchen neben dein Leich¬ name des Heißgeliebten und seiner Braut nieder, und eine Fluch von Verwün¬ schungen ergoß sich über ihre Lippen. Ihr Schmerz war so wild, so groß und wahr, daß er die Wuth der Erbarmnngslosen neben ihr für Augenblicke schmolz nud ihnen Erstannen, ja Thränen abzwang. Sie redete immer fort, wirr dnrch einander die heißesten Liebesworte dein todten Geliebten und entsetzliche Flüche den Mördern zurufend. Nacht fing an ihren Verstand zu umhüllen, sie sah immer uur deu gegen Oedön erhobeiien Speer und seinen Leib sich offnen, und aus tailsend Wuiideil Blut vergießen. Es ioar niusoust, daß menschlichere Walachen deu Leichnam Oedöns ihr zik entreißen suchte», sie wehrte sich mit Handen, Füßen und Zähnen. So blieb sie, Kälte und Umgebung vergessend, zwei Tage und Nächte dort liegen, streichelte sei» Haupt und rußte seine Lippen und spielte mit seinem Haare, bis der furchtbare Frost sie tödtete. Micaresen war besinnungslos durch einige Männer seiner Tribus der Wuth der Menge entzogen worden, er allein wurde gerettet. Acht Tage lang währte der Brand und die Plünderung. Da erschienen Houveds und etliche Reiter in der noch ^aucheudeu, sterbenden Stadt, unter ihnen war der Freund Oedöu's, welcher diese traurige Geschichte erzählt. Noch waren viele Hunderte der Mordbrenner in den Gassen und sammelten sich, als sie die Ungarn erblickten. Diese aber ließen ihnen leine Zeit, wie ein Sturm warfen sie sich aus die mehr als zwanzigfach überlegene Horde und tödteten und verwundeten viele derselben. Es waren 60 Kceß- chevanxlegers unter ihrem tollkühnen Anführer Peretyi, und zwei Compganien Hou¬ veds. — Als sie die Stadt vom Feinde gereinigt und die Leiche» so vieler ihrer Brüder an die Hänser gelegt, schritten sie dnrch alle Gassen und riefe» mit laute^- Stimme: „NuMuxiK KiK «:>>mjvn vuMwK, »or>.ok ob';!" Ungarn, die ihr ver¬ borge» seid, kommt hervor! Da krochen Jaunilergestalten aus viele» Keller» »»d Verstecke» hervor. Es war el» herzbrechender Anblick, wie die Unglücklichen mit leichenblassc» Antlitze», i» denen Hu»ger, Angst, Verzweiflung sich malte», sehe» wie gehetztes Wild aus den Kellerluken hervorspähten, ob es nicht abermals Verrath sei, der sie gerufen, und wie sie dann, als sie die Attila's der Soldaten erblickten, weinend sich um¬ armte» »»d sich an das Tageslicht hervorschleppten. Manche starben in dem Augen- blicke, wo sie dem Leben und der Hoffnung wiedergegeben waren, Andere blickten mit dummem Lächeln »in sich und bräche» da»» i» ein wildes Geheul aus. Sie wäre» wahnsinnig geworden. Noch Andere sah man lant weinend neben Leichnamen, Opfern jener Mordnacht, t'rien; der eine hatte seinen Bruder, der die Mutter, die Schwester erkannt, Bräute fanden ihre Verlobten wieder, und Mütter ihre Kinder., Die Honveds eilten nun in die benachbarten Wälder und Weingärten und suchten die dort Versteckten hervor. Dort war der Jammer und das Weh noch Grenzboten. II. 1850. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/345>, abgerufen am 01.07.2024.