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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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In der Frühe des folgenden Tages langte der Centurio an. Er war den
größten Theil der Nacht hindurch gefahren, und wollte auch von Csombord in
der Nacht aufbrechen, um alleu unnützen Fragen auszuweichen.

Als die ausgeruhten Pferde vor dem Hose im Schnee stampften, ereignete
sich im Hause eine erschütternde Scene. Das walachische Mädchen hatte mit
übergewaltiger Anstrengung ihre" Schnierz gebändigt, jetzt aber, da sie ihn ganz
verlieren sollte, der nicht einmal sein Herz bei ihr zurückließ, da brach ihre er¬
künstelte Kraft, und die ganze ungebändigte Stärke des Natnrherzens machte
sich Luft. Sie warf sich laut weinend an seinen Hals, nannte ihn wirr durch¬
einander mit den süßesten Liebesuamen und Scheltworten, und wollte ihn uicht
ziehen lasse", beschwor ihn, sie mit sich zu nehmen als seine Magd. Oedön war
so heftig bewegt, daß ihm die Zähren unaufhaltsam über die Wangen rollte",
und als er, sich sauft von ihr lösend, ihren Mund küßte, da rief sie : "Geh, geh,
Verräther, weil ich nichts bin vor Dir und Deiner Braut. Sei glücklich, aber
nimmer wirst Du mich wiedersehe"." -- Sie verschwand im Hause, und als
Beide in den Wagen stiege", sah Ocdö" eine dunkle Gestalt mit gerungenen
Händen am Fenster stehen. --

Betäubt vou dem wilden Sturme der leisten Stunde saß der Bergmann lange
schweigend auf seinem Sitze und starrte mit seltsamen Gefühlen in die dunkle Winter-
landschaft hinaus. Die frische Nachtluft und die heftige Bewegung des Fahrens
regte endlich seine Lebenskräfte wieder aus, und er sing an, ruhiger über das Ge¬
schehene nachzudenken. Nie hatte er geahnt, daß der Ausdruck deö Schmerzes und
der Liebe so viel Größe und Poesie haben könne, als die naive Kundgebung übcr-
trästiger Empfindung bei dem arme" Walacheiuuädcheu offenbart hatte. Sie fuhren
häusig an zerstörten Dörfer" u"d Edelhöseu vorüber, sprechende" Wahrzeichen der
wilden Scenen, die jüngst in ganz Siebenbürgen stattgefunden. Doch war damals
die Zahl der i" Asche gelegte" Orte "och bei weitem "lebt so groß, als sie
später wurde, da der Krieg vo" Neuem entbrannte. Jetzt bietet das unglückliche
Land einen solchen Anblick dar, wie ihn einst Deutschland nach dem 30jährigen
Kriege gehabt haben mag. Viele Meilen weit kann der Reisende im Zarauder,
Uuterelbenfer, Thordmer, Kolelburger Comitat und in manchen Sachsen- und
Szetlerstühle" herumwandern, ohne ein bewohnbares Haus, geschweige ein Dorf zu
erblicken. Wer jetzt eine Karte Siebenbürgens anfertigen wollte, müßte Hunderte von
Ortschaften, die auf deu früheren Karten gestanden, streichen, ohne neue Namen an
ihre Stelle setzen zu können. --

Glücklicherweise war Oedöu in tiefen Gedanken, überdies verwickelte ihn
MicareScu bald in ein eifriges Gespräch, das mit einer Erzählung seines eigenen
Schicksals schloß. Er hatte sich lauge uach Mittheilung gesehnt, die er auch bei den
Besseren seines Volkes nicht wagen durste. --

MieareSeu erzählte, wie folgt:


Gvcnzbotcn II. I8S0. 39

In der Frühe des folgenden Tages langte der Centurio an. Er war den
größten Theil der Nacht hindurch gefahren, und wollte auch von Csombord in
der Nacht aufbrechen, um alleu unnützen Fragen auszuweichen.

Als die ausgeruhten Pferde vor dem Hose im Schnee stampften, ereignete
sich im Hause eine erschütternde Scene. Das walachische Mädchen hatte mit
übergewaltiger Anstrengung ihre» Schnierz gebändigt, jetzt aber, da sie ihn ganz
verlieren sollte, der nicht einmal sein Herz bei ihr zurückließ, da brach ihre er¬
künstelte Kraft, und die ganze ungebändigte Stärke des Natnrherzens machte
sich Luft. Sie warf sich laut weinend an seinen Hals, nannte ihn wirr durch¬
einander mit den süßesten Liebesuamen und Scheltworten, und wollte ihn uicht
ziehen lasse», beschwor ihn, sie mit sich zu nehmen als seine Magd. Oedön war
so heftig bewegt, daß ihm die Zähren unaufhaltsam über die Wangen rollte»,
und als er, sich sauft von ihr lösend, ihren Mund küßte, da rief sie : „Geh, geh,
Verräther, weil ich nichts bin vor Dir und Deiner Braut. Sei glücklich, aber
nimmer wirst Du mich wiedersehe«." — Sie verschwand im Hause, und als
Beide in den Wagen stiege», sah Ocdö» eine dunkle Gestalt mit gerungenen
Händen am Fenster stehen. —

Betäubt vou dem wilden Sturme der leisten Stunde saß der Bergmann lange
schweigend auf seinem Sitze und starrte mit seltsamen Gefühlen in die dunkle Winter-
landschaft hinaus. Die frische Nachtluft und die heftige Bewegung des Fahrens
regte endlich seine Lebenskräfte wieder aus, und er sing an, ruhiger über das Ge¬
schehene nachzudenken. Nie hatte er geahnt, daß der Ausdruck deö Schmerzes und
der Liebe so viel Größe und Poesie haben könne, als die naive Kundgebung übcr-
trästiger Empfindung bei dem arme» Walacheiuuädcheu offenbart hatte. Sie fuhren
häusig an zerstörten Dörfer» u»d Edelhöseu vorüber, sprechende» Wahrzeichen der
wilden Scenen, die jüngst in ganz Siebenbürgen stattgefunden. Doch war damals
die Zahl der i» Asche gelegte» Orte »och bei weitem »lebt so groß, als sie
später wurde, da der Krieg vo» Neuem entbrannte. Jetzt bietet das unglückliche
Land einen solchen Anblick dar, wie ihn einst Deutschland nach dem 30jährigen
Kriege gehabt haben mag. Viele Meilen weit kann der Reisende im Zarauder,
Uuterelbenfer, Thordmer, Kolelburger Comitat und in manchen Sachsen- und
Szetlerstühle» herumwandern, ohne ein bewohnbares Haus, geschweige ein Dorf zu
erblicken. Wer jetzt eine Karte Siebenbürgens anfertigen wollte, müßte Hunderte von
Ortschaften, die auf deu früheren Karten gestanden, streichen, ohne neue Namen an
ihre Stelle setzen zu können. —

Glücklicherweise war Oedöu in tiefen Gedanken, überdies verwickelte ihn
MicareScu bald in ein eifriges Gespräch, das mit einer Erzählung seines eigenen
Schicksals schloß. Er hatte sich lauge uach Mittheilung gesehnt, die er auch bei den
Besseren seines Volkes nicht wagen durste. —

MieareSeu erzählte, wie folgt:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/313>, abgerufen am 22.07.2024.