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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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die Phantasie und den Willen der Kannibalen ausübte, die sklavisch seinen Ge¬
boten folgten, und die umgekehrt dazil beitragen mußte, seine eigene Phantasie
zu berauschen das sind vortreffliche Motive, die freilich verloren gehen,
wenn man den wilden Orientalen durch gezierte Sentimentalität verfeinern will. --
Mir scheint doch, das; der Negerprophet und seine Gläubigen in die Kategorie
der Kuriositäten gehört, und für ein Drama, das allgemein menschliche Conflicte
darstellen soll, sich nicht eignet. --

-- Ich knüpfe an diese Skizze noch einige Bemerkungen über ein Paar
andere Dramen, die in dein letzten Monat die Aufmerksamkeit der Pariser be¬
schäftigt haben. Außer den derhaln Grandier, den Al. Dumas in feinem histo¬
rischen Theater aufgeführt hat, waren es vorzüglich zwei Schauspiele vou Gustave
de Wailly und von Paul Vermond, die denselben Gegenstand hatten, ein Gegen¬
stand, dessen Beziehung zur augenblicklichen Lage Frankreichs nahe genng liegt:
den Generel Monk. Restauration des Königthums, womöglich der legitimen
Dynastie, durch einen General der Republik. -- Wir gebe" auszugsweise die
Recension von Jules Janin im Journal des Dubais.

"Monk ist eigentlich ein trauriger Held. Er hat keine Seele und kein
Herz. Er hüllt sich in einen schlechten Mantel von tausend Farben. Sein Ver¬
rath ist von Geheimnissen und Intriguen verdeckt, er gibt sich nicht hin, er ver¬
kauft sich, er handelt nicht für die englische Nation, sondern aus eigene Rechnung.
Mit Unrecht dankt man ihm die Wiederherstellung des Königthums: er hat dem
Laufe der Dinge stillschweigend zugesehen und sich erst im letzten Augenblick er¬
klärt, als er nicht anders konnte. -- Indeß das Geheimniß, hinter welches Monk
seinen Ehrgeiz versteckte, seine kurze und körnige Sprechweise, sein affectirtes
Schweigen, die Intrigue des Staatsmannes, das Zögern des Kriegers, diese un¬
sichere und schwankende Popularität, die ihm den seltsamen Anschein einer mit
Verrath gemischtem Treue gab, haben de Wailly deu Stoff zu einem guten Lust¬
spiel gegeben. -- Aber das Publikum hat wenig Sympathie für diese Restau¬
ration gezeigt. Man fühlt z" schnell die Menge von Verräthereien, Lügen und
Treulosigkeiten heraus, die nöthig waren, um den unwürdigen Karl it. auf de"
Thron seiner Väter zu setzen, deu er durch seine Laster entehrte. Durch seine
niedrige Gesinnung ist die Ehrfurcht, die mau vor dem Martyrium seines Vaters
hegte, ausgelöscht worden. --Paul Vermond hat die englische Geschichte ganz
bei Seite gelassen, um sich mit der Revolution von 1848 zu beschäftigen. Seine
Quelle sind Ehern's Knthüllnngen. Der ganze zweite Act beschäftigt sich mit
deu Scheusaleil des Februar, und nie hat die Eomödie die Frechheit weiter ge¬
trieben. Diese Unholde haben ihren Platz in der Verabscheuung der Welt, aber
das Publikum will nicht von dem Allblick jener Menschen beleidigt werden, die
eine Insulte gegen das Recht und den Verstand sind. Macht nicht ein kindisches
Schauspiel ans unsern Schmerze", ein Vaudeville aus unserm Elend, ein Chauson


die Phantasie und den Willen der Kannibalen ausübte, die sklavisch seinen Ge¬
boten folgten, und die umgekehrt dazil beitragen mußte, seine eigene Phantasie
zu berauschen das sind vortreffliche Motive, die freilich verloren gehen,
wenn man den wilden Orientalen durch gezierte Sentimentalität verfeinern will. —
Mir scheint doch, das; der Negerprophet und seine Gläubigen in die Kategorie
der Kuriositäten gehört, und für ein Drama, das allgemein menschliche Conflicte
darstellen soll, sich nicht eignet. —

— Ich knüpfe an diese Skizze noch einige Bemerkungen über ein Paar
andere Dramen, die in dein letzten Monat die Aufmerksamkeit der Pariser be¬
schäftigt haben. Außer den derhaln Grandier, den Al. Dumas in feinem histo¬
rischen Theater aufgeführt hat, waren es vorzüglich zwei Schauspiele vou Gustave
de Wailly und von Paul Vermond, die denselben Gegenstand hatten, ein Gegen¬
stand, dessen Beziehung zur augenblicklichen Lage Frankreichs nahe genng liegt:
den Generel Monk. Restauration des Königthums, womöglich der legitimen
Dynastie, durch einen General der Republik. — Wir gebe» auszugsweise die
Recension von Jules Janin im Journal des Dubais.

„Monk ist eigentlich ein trauriger Held. Er hat keine Seele und kein
Herz. Er hüllt sich in einen schlechten Mantel von tausend Farben. Sein Ver¬
rath ist von Geheimnissen und Intriguen verdeckt, er gibt sich nicht hin, er ver¬
kauft sich, er handelt nicht für die englische Nation, sondern aus eigene Rechnung.
Mit Unrecht dankt man ihm die Wiederherstellung des Königthums: er hat dem
Laufe der Dinge stillschweigend zugesehen und sich erst im letzten Augenblick er¬
klärt, als er nicht anders konnte. — Indeß das Geheimniß, hinter welches Monk
seinen Ehrgeiz versteckte, seine kurze und körnige Sprechweise, sein affectirtes
Schweigen, die Intrigue des Staatsmannes, das Zögern des Kriegers, diese un¬
sichere und schwankende Popularität, die ihm den seltsamen Anschein einer mit
Verrath gemischtem Treue gab, haben de Wailly deu Stoff zu einem guten Lust¬
spiel gegeben. — Aber das Publikum hat wenig Sympathie für diese Restau¬
ration gezeigt. Man fühlt z» schnell die Menge von Verräthereien, Lügen und
Treulosigkeiten heraus, die nöthig waren, um den unwürdigen Karl it. auf de»
Thron seiner Väter zu setzen, deu er durch seine Laster entehrte. Durch seine
niedrige Gesinnung ist die Ehrfurcht, die mau vor dem Martyrium seines Vaters
hegte, ausgelöscht worden. —Paul Vermond hat die englische Geschichte ganz
bei Seite gelassen, um sich mit der Revolution von 1848 zu beschäftigen. Seine
Quelle sind Ehern's Knthüllnngen. Der ganze zweite Act beschäftigt sich mit
deu Scheusaleil des Februar, und nie hat die Eomödie die Frechheit weiter ge¬
trieben. Diese Unholde haben ihren Platz in der Verabscheuung der Welt, aber
das Publikum will nicht von dem Allblick jener Menschen beleidigt werden, die
eine Insulte gegen das Recht und den Verstand sind. Macht nicht ein kindisches
Schauspiel ans unsern Schmerze», ein Vaudeville aus unserm Elend, ein Chauson


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/298>, abgerufen am 22.07.2024.