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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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unsern Dichter auch in seinen Knittelversen nicht verläßt. -- Der Grundzug
der Sprache ist eine abenteuerliche Mischung von abstrakter Metaphysik und zü¬
gelloser Phantasie.

Festus beschreibt einem Studenten seine eigene frühere Naturanschauung.
"Alle Dinge sprachen Gedanken zu ihm. Die See raste, der Sturm stöhnte,
wie in Quaal, um ihre Meinung auszudrücken; die fruchtbare Sonne donnerte ihm
ihre Gedanken zu; bei Nacht flüsterten die Sterne, seufzte der Mond. Der Geist
spricht und versteht alle Zungen, von Gott bis zum Insect herab. Der Geist
strahlte ihm mit seinen Mond-Augen, wie sie uns zu Tausenden in luftigen Träumen
vorkommen, seine mächtigen Gedanken in die Seele, bis sie ganz davon erfüllt
war, wie die Wolke in jedem Nerv (!) den gestaltenden Wind empfindet" :c.
"Alle Dinge waren ihm Inspiration, Wald, Hügel, See, Einsamkeit, Menschen-
massen, das blaue Auge Gottes über uns, unheimliche Höhlen, vor denen der
Landmann flieht, wo kalte, durchnäßte Geister sitzen und die Glocken
läuten, rothes Herbstlaub, und die blutigen Thränen, die der Eibcnbanm über
Gräbern weint, gleich Gewissensbissen des Mörders." --

Es kommen auch viele Episoden vor, z. B. einmal das Gespräch mit einer
Muse, die die nächtliche Lampe eines Poeten beschreibt, und die Empfindungen
desselben in sehr gewagten Bildern und künstlichen Reinen wiedergibt. --

Eine audere Scene. Festus'Himmelfahrt. Lucifer (als Ceremonienmeister):
Allseiender Gott! Ich komme wieder zu dir, uicht allem. Ein Sterblicher ist hier.
Du gebot'se mir, deinen Willen zu thun, und ich habe es gewagt.

Gott. Du kannst nichts thun, was ich nicht will. Die Sonnen sind aus
Atomen gemacht, die Himmel aus Seelen; und Sonnen und Seelen sind nnr die
Atome des Körpers, in welchem Ich, Gott, wohne. Was willst Dn mit deinem
Gefährten?

Lucifer. Ihm Gott zeigen.

Gott. Kein Wesen, an welchem der Tod haftet, wenn auch uur an seinem
Schatten, kaun Gott sehen, ohne zu sterben.

Festus. Ewige Quelle des Unendlichen! Du, in dessen Lebensstrom die
Sterne gleich Blasen schwimmen, verzeihe dem Atom, das gewagt hat, seinen
Schöpfer von Angesicht zu Angesicht sehen zu wollen.

Gott. Steh ans, Sterblicher! Sieh mich an.

Festus. O! ich sehe nichts als blendende Finsterniß. O schlage mich
nicht, u. s. w.

sein Schutzgeist kommt ihm zu Hülfe und orientirt ihn. Zuletzt: "Sieh
da den strahlenden Thron! ausgehauen von jenem Lichtberge, welcher war, bevor
Licht und Nacht sich schieden, unerschaffen, des Himmels ewiges Fundament. --
Setze dich darauf!"

Festus. Nein, ich will ihn nur ansehn.------


unsern Dichter auch in seinen Knittelversen nicht verläßt. — Der Grundzug
der Sprache ist eine abenteuerliche Mischung von abstrakter Metaphysik und zü¬
gelloser Phantasie.

Festus beschreibt einem Studenten seine eigene frühere Naturanschauung.
„Alle Dinge sprachen Gedanken zu ihm. Die See raste, der Sturm stöhnte,
wie in Quaal, um ihre Meinung auszudrücken; die fruchtbare Sonne donnerte ihm
ihre Gedanken zu; bei Nacht flüsterten die Sterne, seufzte der Mond. Der Geist
spricht und versteht alle Zungen, von Gott bis zum Insect herab. Der Geist
strahlte ihm mit seinen Mond-Augen, wie sie uns zu Tausenden in luftigen Träumen
vorkommen, seine mächtigen Gedanken in die Seele, bis sie ganz davon erfüllt
war, wie die Wolke in jedem Nerv (!) den gestaltenden Wind empfindet" :c.
„Alle Dinge waren ihm Inspiration, Wald, Hügel, See, Einsamkeit, Menschen-
massen, das blaue Auge Gottes über uns, unheimliche Höhlen, vor denen der
Landmann flieht, wo kalte, durchnäßte Geister sitzen und die Glocken
läuten, rothes Herbstlaub, und die blutigen Thränen, die der Eibcnbanm über
Gräbern weint, gleich Gewissensbissen des Mörders." —

Es kommen auch viele Episoden vor, z. B. einmal das Gespräch mit einer
Muse, die die nächtliche Lampe eines Poeten beschreibt, und die Empfindungen
desselben in sehr gewagten Bildern und künstlichen Reinen wiedergibt. —

Eine audere Scene. Festus'Himmelfahrt. Lucifer (als Ceremonienmeister):
Allseiender Gott! Ich komme wieder zu dir, uicht allem. Ein Sterblicher ist hier.
Du gebot'se mir, deinen Willen zu thun, und ich habe es gewagt.

Gott. Du kannst nichts thun, was ich nicht will. Die Sonnen sind aus
Atomen gemacht, die Himmel aus Seelen; und Sonnen und Seelen sind nnr die
Atome des Körpers, in welchem Ich, Gott, wohne. Was willst Dn mit deinem
Gefährten?

Lucifer. Ihm Gott zeigen.

Gott. Kein Wesen, an welchem der Tod haftet, wenn auch uur an seinem
Schatten, kaun Gott sehen, ohne zu sterben.

Festus. Ewige Quelle des Unendlichen! Du, in dessen Lebensstrom die
Sterne gleich Blasen schwimmen, verzeihe dem Atom, das gewagt hat, seinen
Schöpfer von Angesicht zu Angesicht sehen zu wollen.

Gott. Steh ans, Sterblicher! Sieh mich an.

Festus. O! ich sehe nichts als blendende Finsterniß. O schlage mich
nicht, u. s. w.

sein Schutzgeist kommt ihm zu Hülfe und orientirt ihn. Zuletzt: „Sieh
da den strahlenden Thron! ausgehauen von jenem Lichtberge, welcher war, bevor
Licht und Nacht sich schieden, unerschaffen, des Himmels ewiges Fundament. —
Setze dich darauf!"

Festus. Nein, ich will ihn nur ansehn.------


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[0292] unsern Dichter auch in seinen Knittelversen nicht verläßt. — Der Grundzug der Sprache ist eine abenteuerliche Mischung von abstrakter Metaphysik und zü¬ gelloser Phantasie. Festus beschreibt einem Studenten seine eigene frühere Naturanschauung. „Alle Dinge sprachen Gedanken zu ihm. Die See raste, der Sturm stöhnte, wie in Quaal, um ihre Meinung auszudrücken; die fruchtbare Sonne donnerte ihm ihre Gedanken zu; bei Nacht flüsterten die Sterne, seufzte der Mond. Der Geist spricht und versteht alle Zungen, von Gott bis zum Insect herab. Der Geist strahlte ihm mit seinen Mond-Augen, wie sie uns zu Tausenden in luftigen Träumen vorkommen, seine mächtigen Gedanken in die Seele, bis sie ganz davon erfüllt war, wie die Wolke in jedem Nerv (!) den gestaltenden Wind empfindet" :c. „Alle Dinge waren ihm Inspiration, Wald, Hügel, See, Einsamkeit, Menschen- massen, das blaue Auge Gottes über uns, unheimliche Höhlen, vor denen der Landmann flieht, wo kalte, durchnäßte Geister sitzen und die Glocken läuten, rothes Herbstlaub, und die blutigen Thränen, die der Eibcnbanm über Gräbern weint, gleich Gewissensbissen des Mörders." — Es kommen auch viele Episoden vor, z. B. einmal das Gespräch mit einer Muse, die die nächtliche Lampe eines Poeten beschreibt, und die Empfindungen desselben in sehr gewagten Bildern und künstlichen Reinen wiedergibt. — Eine audere Scene. Festus'Himmelfahrt. Lucifer (als Ceremonienmeister): Allseiender Gott! Ich komme wieder zu dir, uicht allem. Ein Sterblicher ist hier. Du gebot'se mir, deinen Willen zu thun, und ich habe es gewagt. Gott. Du kannst nichts thun, was ich nicht will. Die Sonnen sind aus Atomen gemacht, die Himmel aus Seelen; und Sonnen und Seelen sind nnr die Atome des Körpers, in welchem Ich, Gott, wohne. Was willst Dn mit deinem Gefährten? Lucifer. Ihm Gott zeigen. Gott. Kein Wesen, an welchem der Tod haftet, wenn auch uur an seinem Schatten, kaun Gott sehen, ohne zu sterben. Festus. Ewige Quelle des Unendlichen! Du, in dessen Lebensstrom die Sterne gleich Blasen schwimmen, verzeihe dem Atom, das gewagt hat, seinen Schöpfer von Angesicht zu Angesicht sehen zu wollen. Gott. Steh ans, Sterblicher! Sieh mich an. Festus. O! ich sehe nichts als blendende Finsterniß. O schlage mich nicht, u. s. w. sein Schutzgeist kommt ihm zu Hülfe und orientirt ihn. Zuletzt: „Sieh da den strahlenden Thron! ausgehauen von jenem Lichtberge, welcher war, bevor Licht und Nacht sich schieden, unerschaffen, des Himmels ewiges Fundament. — Setze dich darauf!" Festus. Nein, ich will ihn nur ansehn.------

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/292>, abgerufen am 22.07.2024.