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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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-- glücklicherweise hatten auch viele Weiber und Kinder den Flecken verlassen --
ward hingemordet. Am andern Tage beleuchtete die Sonne einen großen
Schutthaufen.

Oedvn war mittlerweile, aus drei Wunden blutend, ohnmächtig in der Nähe
des Ortes in einem einzelnstehenden Hofe bewacht worden. Von Zeit zu Zeit
schlug er die Augen ans und sah dann immer die große Flamme des brennenden
Fleckens und Männer mit blutigen Händen, welche Bente aller Urd herbei¬
schleppten und vor Frende tanzten, er horte das Jammern der Gemordeten, das
Jubeln und Hohnlachen der Mörder und die herzlosen Späße seiner Wächter, die
dann und wann anfragen ließen, wann sie anch zur "Metzge" und zur Theilung
zugelassen würden. Die Ab- und Zugehenden vertrösteten sie auf den Morgen,
weil sie dann besser bei Tageslicht auswählen könnten, worauf die Wächter zu
entgegnen pflegten, es sei anch jetzt bei Kerzenlicht hell genug.

In seinen wachen Augenblicken, wenn es etwas stiller war und das immer
mehr in den Zustand viehischer Trunkenheit übergehende Volk draußen im Hofe
sich niederlegte, hatte der Ungar uuter seinen Wächtern einen jungen Mann be¬
merkt, der sich durch Schönheit der Gestalt, sanfte, melancholische Gesichtszüge,
sowie dnrch gewähltere Kleidung auszeichnete. Sein Anzug wäre sast städtisch ge¬
wesen, wenn er nicht anßer der dichten, kurzen Bunda noch hohe Stiefeln über
die weißtuchenen Hosen, wie sie die Ungarn lieben, getragen hätte. Eine Ma-
gyarka von feinem grauen Tuche mit Schnüren legte sich knapp an feinen hohen
schlanken Leib und eine schwarze Pelzmütze mit Reiherfedern bedeckte sein Haupt;
die Haare, schwarz wie Ebenholz und glänzend, fielen nach ivalachischer Sitte
in langen Locken über seine Schultern herab. Er schien ein. Centurion (Hauptmann)
zu sein, denn die Andern gehorchten seinen kurzen Befehlen blindlings und mit
einer Art von Scheu. Er saß tiesbrütend und unbeweglich ans das Rohr seiner
Flinte gestützt, und schien sich wenig um das, was rings um ihn vorging, zu
kümmern. -- Würde ihm der Lärm der Trunkenbolde im Hans und Hos zu arg,
so verschaffte er sich durch ein donnerndes Machtwort augenblicklich Ruhe.

Von Zeit zu Zeit warf er einen halb mitleidige", halb melancholischen Blick
auf den Kranken, der noch immer blutend aus eiuer Bank lag. Endlich, als habe
er jetzt erst deu traurigen Zustand Oedöus bemerkt, ließ er Wasser herbeibringen
und wusch des Ungarn Wunden selbst ans, indem er dem schmerzlich Zuckenden
Worte der Ermunterung zuflüsterte. Oedöu warf ihm einen dankbaren Blick zu, der
den Centurion offenbar rührte. Denn er beugte sich, als wolle er eine Wunde ge¬
nauer mitcrsnchen, zu seinem Ohre hinab, und flüsterte ihm auf ungarisch die
Worte zu: "seien Sie unbesorgt, ich werde über Sie wache", und wen" es
möglich ist, Ih"en zur Flucht verhelfe"." Oedöil blickte ih" in freudigem Er¬
staunen an. Der Walache schien in Oedön'S Gesicht zu lesen und versetzte:
"Nicht weil ich Ihre Landsleute weniger hasse, als diese dort, sonder" weil eS Mer-


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— glücklicherweise hatten auch viele Weiber und Kinder den Flecken verlassen —
ward hingemordet. Am andern Tage beleuchtete die Sonne einen großen
Schutthaufen.

Oedvn war mittlerweile, aus drei Wunden blutend, ohnmächtig in der Nähe
des Ortes in einem einzelnstehenden Hofe bewacht worden. Von Zeit zu Zeit
schlug er die Augen ans und sah dann immer die große Flamme des brennenden
Fleckens und Männer mit blutigen Händen, welche Bente aller Urd herbei¬
schleppten und vor Frende tanzten, er horte das Jammern der Gemordeten, das
Jubeln und Hohnlachen der Mörder und die herzlosen Späße seiner Wächter, die
dann und wann anfragen ließen, wann sie anch zur „Metzge" und zur Theilung
zugelassen würden. Die Ab- und Zugehenden vertrösteten sie auf den Morgen,
weil sie dann besser bei Tageslicht auswählen könnten, worauf die Wächter zu
entgegnen pflegten, es sei anch jetzt bei Kerzenlicht hell genug.

In seinen wachen Augenblicken, wenn es etwas stiller war und das immer
mehr in den Zustand viehischer Trunkenheit übergehende Volk draußen im Hofe
sich niederlegte, hatte der Ungar uuter seinen Wächtern einen jungen Mann be¬
merkt, der sich durch Schönheit der Gestalt, sanfte, melancholische Gesichtszüge,
sowie dnrch gewähltere Kleidung auszeichnete. Sein Anzug wäre sast städtisch ge¬
wesen, wenn er nicht anßer der dichten, kurzen Bunda noch hohe Stiefeln über
die weißtuchenen Hosen, wie sie die Ungarn lieben, getragen hätte. Eine Ma-
gyarka von feinem grauen Tuche mit Schnüren legte sich knapp an feinen hohen
schlanken Leib und eine schwarze Pelzmütze mit Reiherfedern bedeckte sein Haupt;
die Haare, schwarz wie Ebenholz und glänzend, fielen nach ivalachischer Sitte
in langen Locken über seine Schultern herab. Er schien ein. Centurion (Hauptmann)
zu sein, denn die Andern gehorchten seinen kurzen Befehlen blindlings und mit
einer Art von Scheu. Er saß tiesbrütend und unbeweglich ans das Rohr seiner
Flinte gestützt, und schien sich wenig um das, was rings um ihn vorging, zu
kümmern. — Würde ihm der Lärm der Trunkenbolde im Hans und Hos zu arg,
so verschaffte er sich durch ein donnerndes Machtwort augenblicklich Ruhe.

Von Zeit zu Zeit warf er einen halb mitleidige», halb melancholischen Blick
auf den Kranken, der noch immer blutend aus eiuer Bank lag. Endlich, als habe
er jetzt erst deu traurigen Zustand Oedöus bemerkt, ließ er Wasser herbeibringen
und wusch des Ungarn Wunden selbst ans, indem er dem schmerzlich Zuckenden
Worte der Ermunterung zuflüsterte. Oedöu warf ihm einen dankbaren Blick zu, der
den Centurion offenbar rührte. Denn er beugte sich, als wolle er eine Wunde ge¬
nauer mitcrsnchen, zu seinem Ohre hinab, und flüsterte ihm auf ungarisch die
Worte zu: „seien Sie unbesorgt, ich werde über Sie wache», und wen» es
möglich ist, Ih»en zur Flucht verhelfe»." Oedöil blickte ih» in freudigem Er¬
staunen an. Der Walache schien in Oedön'S Gesicht zu lesen und versetzte:
„Nicht weil ich Ihre Landsleute weniger hasse, als diese dort, sonder» weil eS Mer-


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[0275] — glücklicherweise hatten auch viele Weiber und Kinder den Flecken verlassen — ward hingemordet. Am andern Tage beleuchtete die Sonne einen großen Schutthaufen. Oedvn war mittlerweile, aus drei Wunden blutend, ohnmächtig in der Nähe des Ortes in einem einzelnstehenden Hofe bewacht worden. Von Zeit zu Zeit schlug er die Augen ans und sah dann immer die große Flamme des brennenden Fleckens und Männer mit blutigen Händen, welche Bente aller Urd herbei¬ schleppten und vor Frende tanzten, er horte das Jammern der Gemordeten, das Jubeln und Hohnlachen der Mörder und die herzlosen Späße seiner Wächter, die dann und wann anfragen ließen, wann sie anch zur „Metzge" und zur Theilung zugelassen würden. Die Ab- und Zugehenden vertrösteten sie auf den Morgen, weil sie dann besser bei Tageslicht auswählen könnten, worauf die Wächter zu entgegnen pflegten, es sei anch jetzt bei Kerzenlicht hell genug. In seinen wachen Augenblicken, wenn es etwas stiller war und das immer mehr in den Zustand viehischer Trunkenheit übergehende Volk draußen im Hofe sich niederlegte, hatte der Ungar uuter seinen Wächtern einen jungen Mann be¬ merkt, der sich durch Schönheit der Gestalt, sanfte, melancholische Gesichtszüge, sowie dnrch gewähltere Kleidung auszeichnete. Sein Anzug wäre sast städtisch ge¬ wesen, wenn er nicht anßer der dichten, kurzen Bunda noch hohe Stiefeln über die weißtuchenen Hosen, wie sie die Ungarn lieben, getragen hätte. Eine Ma- gyarka von feinem grauen Tuche mit Schnüren legte sich knapp an feinen hohen schlanken Leib und eine schwarze Pelzmütze mit Reiherfedern bedeckte sein Haupt; die Haare, schwarz wie Ebenholz und glänzend, fielen nach ivalachischer Sitte in langen Locken über seine Schultern herab. Er schien ein. Centurion (Hauptmann) zu sein, denn die Andern gehorchten seinen kurzen Befehlen blindlings und mit einer Art von Scheu. Er saß tiesbrütend und unbeweglich ans das Rohr seiner Flinte gestützt, und schien sich wenig um das, was rings um ihn vorging, zu kümmern. — Würde ihm der Lärm der Trunkenbolde im Hans und Hos zu arg, so verschaffte er sich durch ein donnerndes Machtwort augenblicklich Ruhe. Von Zeit zu Zeit warf er einen halb mitleidige», halb melancholischen Blick auf den Kranken, der noch immer blutend aus eiuer Bank lag. Endlich, als habe er jetzt erst deu traurigen Zustand Oedöus bemerkt, ließ er Wasser herbeibringen und wusch des Ungarn Wunden selbst ans, indem er dem schmerzlich Zuckenden Worte der Ermunterung zuflüsterte. Oedöu warf ihm einen dankbaren Blick zu, der den Centurion offenbar rührte. Denn er beugte sich, als wolle er eine Wunde ge¬ nauer mitcrsnchen, zu seinem Ohre hinab, und flüsterte ihm auf ungarisch die Worte zu: „seien Sie unbesorgt, ich werde über Sie wache», und wen» es möglich ist, Ih»en zur Flucht verhelfe»." Oedöil blickte ih» in freudigem Er¬ staunen an. Der Walache schien in Oedön'S Gesicht zu lesen und versetzte: „Nicht weil ich Ihre Landsleute weniger hasse, als diese dort, sonder» weil eS Mer- 34*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/275>, abgerufen am 22.07.2024.