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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Haar zu setzen. Schon ein Paar Stunden war sie abwesend, endlich tauchte ihre
schlanke Gestalt plötzlich aus der Dunkelheit auf, in wenigen Sekunden stand sie
am Feuer neben dem Geliebten. So lautlos war ihr leichter Gang gewesen, daß
sie mitten zwischen den sorgsam lauschenden Vedetten durchgeschlüpft war, ohne
daß diese ihre Annäherung nur entdeckt hätten. In sichtbarer Aufregung hatte
sie ihrem Unteroffizier die Kunde in ihrer kauderwelsch gebrochenen Mundart zu¬
geflüstert, wie sie in sichere Erfahrung gebracht, daß ein starkes dänisches Deta-
schement gegen diesen Vorposten ausgeschickt sei; "ud freudige Lebendigkeit verbrei¬
tete diese Kunde unter den Reitern, es war eine kleine Abwechselung in der
Einförmigkeit der laugen kalten Nacht. Rasch wurden alle Pferde vollständig
gesattelt und gezäumt, die Vedetten instruirt und Alles bereitet, den Feind nach¬
drücklich zu empfangen. Auch die Verbiuduugsposteu mit dem rückwärts liegenden
Hauptcorps wurden vermehrt, um dieses leicht und sicher in Kenntniß zu setzen,
wenn die Dänen wirklich vorrücken sollten. Das arme Zigeunermädchcn sah allen
diesen kriegerischen Vorbereitungen mit großer Unruhe zu, da sie Besorgnis) um
den Geliebten hegte. Einen Bissen Brod genoß sie, nahm einen Schluck Brannt¬
wein, warf sich daun dem Unteroffizier, der viel zu sehr mit den Anordnungen
des Dienstes beschäftigt war, um sie trösten und liebkosen zu können, um den
Hals, gab ihm einen heißen Kuß, sagte, sie wolle wieder uach dem Feind spähen,
und flog daun, wie ein Pfeil in die dunkele Nacht hinein, so daß sie augen¬
blicklich verschwunden war. Eine Siuude darauf versuchten die Dänen in der
That einen Ueberfall, allein die vorbereiteten Posten waren zu wachsam, die
Feldwache schon auf den Pferden, einige unschädlich gewechselte Karabinerschüsse
blitzten von beiden Seiten durch die Nacht, dann zogen sich die Dänen wieder
zurück und Alles wurde ruhig. Die Dunkelheit, welche so groß war, daß
der Reiter-kaum den Kopf seines Pferdes erkennen konnte, erlaubte ein weiteres
Gefecht oder gar die Verfolgung des Feindes nicht. Bald lagerten die deutschen
Reiter wieder in der früheren Wiese um das Feuer und harrten ihrer Preciosa,
um dieser für ihre wohlaugebrachte Warnung zu danken. Allein vergebens, die
Nacht so wie der folgende Tag verstrich, die Zigeunerin erschien nicht wieder.
Vergeblich waren alle Nachforschungen, die man sogleich und später beim
Wiedervorrücken in Jütland nach derselben anstellte, keine Spur war von
dem wilden Kinde zu entdecken, sie blieb verschwunden. Später wollte man
erfahren haben, jütländische Bauern hätten ein Zigeuuermädchcn aus Rache er¬
schlagen, weil sie den Deutschen spionirt hatte. Es war aber ein ganz unsicheres
Gerücht. -- Das Verschwinden in dieser Nacht hat jedenfalls dies Kind der Natur
vor schwerem späterem Leid bewährt, ganz im Vollgenuß ihrer Liebe ist sie ohne
Enttäuschung geschieden, der Unteroffizier, dem sie mit so leidenschaftlicher Nei¬
gung anhing, soll zu Hause schon eine audere Braut gehabt haben, die reiche
Tochter eines Mehlhändlers, die ihm das Geschäft des Vaters als Mitgift mit-


Haar zu setzen. Schon ein Paar Stunden war sie abwesend, endlich tauchte ihre
schlanke Gestalt plötzlich aus der Dunkelheit auf, in wenigen Sekunden stand sie
am Feuer neben dem Geliebten. So lautlos war ihr leichter Gang gewesen, daß
sie mitten zwischen den sorgsam lauschenden Vedetten durchgeschlüpft war, ohne
daß diese ihre Annäherung nur entdeckt hätten. In sichtbarer Aufregung hatte
sie ihrem Unteroffizier die Kunde in ihrer kauderwelsch gebrochenen Mundart zu¬
geflüstert, wie sie in sichere Erfahrung gebracht, daß ein starkes dänisches Deta-
schement gegen diesen Vorposten ausgeschickt sei; »ud freudige Lebendigkeit verbrei¬
tete diese Kunde unter den Reitern, es war eine kleine Abwechselung in der
Einförmigkeit der laugen kalten Nacht. Rasch wurden alle Pferde vollständig
gesattelt und gezäumt, die Vedetten instruirt und Alles bereitet, den Feind nach¬
drücklich zu empfangen. Auch die Verbiuduugsposteu mit dem rückwärts liegenden
Hauptcorps wurden vermehrt, um dieses leicht und sicher in Kenntniß zu setzen,
wenn die Dänen wirklich vorrücken sollten. Das arme Zigeunermädchcn sah allen
diesen kriegerischen Vorbereitungen mit großer Unruhe zu, da sie Besorgnis) um
den Geliebten hegte. Einen Bissen Brod genoß sie, nahm einen Schluck Brannt¬
wein, warf sich daun dem Unteroffizier, der viel zu sehr mit den Anordnungen
des Dienstes beschäftigt war, um sie trösten und liebkosen zu können, um den
Hals, gab ihm einen heißen Kuß, sagte, sie wolle wieder uach dem Feind spähen,
und flog daun, wie ein Pfeil in die dunkele Nacht hinein, so daß sie augen¬
blicklich verschwunden war. Eine Siuude darauf versuchten die Dänen in der
That einen Ueberfall, allein die vorbereiteten Posten waren zu wachsam, die
Feldwache schon auf den Pferden, einige unschädlich gewechselte Karabinerschüsse
blitzten von beiden Seiten durch die Nacht, dann zogen sich die Dänen wieder
zurück und Alles wurde ruhig. Die Dunkelheit, welche so groß war, daß
der Reiter-kaum den Kopf seines Pferdes erkennen konnte, erlaubte ein weiteres
Gefecht oder gar die Verfolgung des Feindes nicht. Bald lagerten die deutschen
Reiter wieder in der früheren Wiese um das Feuer und harrten ihrer Preciosa,
um dieser für ihre wohlaugebrachte Warnung zu danken. Allein vergebens, die
Nacht so wie der folgende Tag verstrich, die Zigeunerin erschien nicht wieder.
Vergeblich waren alle Nachforschungen, die man sogleich und später beim
Wiedervorrücken in Jütland nach derselben anstellte, keine Spur war von
dem wilden Kinde zu entdecken, sie blieb verschwunden. Später wollte man
erfahren haben, jütländische Bauern hätten ein Zigeuuermädchcn aus Rache er¬
schlagen, weil sie den Deutschen spionirt hatte. Es war aber ein ganz unsicheres
Gerücht. — Das Verschwinden in dieser Nacht hat jedenfalls dies Kind der Natur
vor schwerem späterem Leid bewährt, ganz im Vollgenuß ihrer Liebe ist sie ohne
Enttäuschung geschieden, der Unteroffizier, dem sie mit so leidenschaftlicher Nei¬
gung anhing, soll zu Hause schon eine audere Braut gehabt haben, die reiche
Tochter eines Mehlhändlers, die ihm das Geschäft des Vaters als Mitgift mit-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/266>, abgerufen am 03.07.2024.