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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Deutschland auf weit allgemeinere Theilnahme rechnen, als echt poetische Gestaltung.
Jene Lyrik, die mehr an abstracte als an sinnliche Stoffe sich hielt, faud in un¬
serm großen Schiller ihren Kulminationspunkt. Vielen Freimaurern, ja deu meisten,
war sein idealer Freiheitsdurst freilich zu gewaltig, sie fühlten, daß er all' ihre
Rituale und Symbole mit der Riesenkraft des Genius durchbrach, daher war
ihnen Tiedge's "Urania" weit bequemer, und wurde von ihnen vorzüglich heilig
gehalten. Aber noch in ungemein vielen audern deutschen Schriftwerken liegt der
manrerische Einfluß zu Tage. Zunächst in dem norddeutschen Klopstock-Gleimschen
Freundschaftskreise. Dann in Wieland's Romanen, namentlich im "goldenen
Spiegel." Herder's berühmte Briefe über "Humanität" dürfen nicht vergessen
werden, weil sie das Losungswort der Freimaurer an der Stirn trugen. Göthe's
"Wilhelm Meister" zeigt geradezu die Erziehung eines Einzelnen, die Heran-
bildung zum ideale" Menschen, durch eine geheime Gesellschaft. Göthe's Verhältniß
zur Maurerei war, so wenig viele seiner Ausleger es sich träumen lassen., ein
sehr intimes und beharrliches. Die in seineu Werken stehende Rede bei der zu
Wieland's Todtenfeier gehaltenen Trauerloge, sein tiessiiuüges Gedicht: "Laßt
fahren hin das allzu Flüchtige" siud öffentliche Denkmale desselben. Seine
Freundschaft zum Herzog von Weimar wurde durch das Logeuband wenigstens
befestigt, une dies auch zwischen. Klopstock und dem Minister Bernstorff der Fall
ivar. Lessing's kritischer Verstand dagegen riß sich bald ans der geheimnißvollen
Dämmerung des Tempels los (man vergl. " Ernst und Falk"). Sein consequentes
Verlangen nach scharfen Begriffen wurde in dem Bunde nicht befriedigt. Es
ging wohl Friedrich dein Großen nicht besser, der sich persönlich frühzeitig von
dem durch ihn zuerst so nachdrücklich beschützte" Bunde zurückzog, unstreitig nicht
nur aus politischen Gründen.

Auf Deutschland übte die Freimaurerei ihren Einfluß zunächst nur in religiöser
Hinsicht. Indem sie einerseits die französische frivole Spötterei, die unter den
Vornehmen sich einnistete, bekämpfte, bildete sie zugleich ein starkes Bollwerk gegen
das Kirchenregimcut; sie beförderte die Toleranz der verschiedenen, vor dein sieben¬
jährigen Kriege einander schroff gegenüberstehenden christlichen Konfessionen. Das
war der wesentlichste praktische Gewinn, der ihr zu verdanken ist. Nebenbei wurde
die ungeheure Kluft, welche die verschiedenen Stäude der Gesellschaft bisher
trennte, dadurch etwas ausgeglichen. In de" Logen begannen sie sich menschlich
zu "aber" und das wiederzufinden, was ihnen die christliche Religion leider nicht
mehr war, el" Vereinigungsmittel der Gesinnung. Nur aus der Begeisterung,
welche in jenen guten Zeiten die gemeinsame Erhebung zu einem geahnten höheren
Lichte erweckte, ist die ungeheure Menge von Frcimaurerschrifteu zu erklären,
worin aber auch sogleich alle Erbfehler der Menschen, Eitelkeit, Ehrsucht und
Gewinnsucht hinreichend zu Tage liegen. Jeder Autor meinte, die beste Form
der Gebräuche u. s. w. gefunden zu haben, und trug zu der jene Zeit charaktcri-


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Deutschland auf weit allgemeinere Theilnahme rechnen, als echt poetische Gestaltung.
Jene Lyrik, die mehr an abstracte als an sinnliche Stoffe sich hielt, faud in un¬
serm großen Schiller ihren Kulminationspunkt. Vielen Freimaurern, ja deu meisten,
war sein idealer Freiheitsdurst freilich zu gewaltig, sie fühlten, daß er all' ihre
Rituale und Symbole mit der Riesenkraft des Genius durchbrach, daher war
ihnen Tiedge's „Urania" weit bequemer, und wurde von ihnen vorzüglich heilig
gehalten. Aber noch in ungemein vielen audern deutschen Schriftwerken liegt der
manrerische Einfluß zu Tage. Zunächst in dem norddeutschen Klopstock-Gleimschen
Freundschaftskreise. Dann in Wieland's Romanen, namentlich im „goldenen
Spiegel." Herder's berühmte Briefe über „Humanität" dürfen nicht vergessen
werden, weil sie das Losungswort der Freimaurer an der Stirn trugen. Göthe's
„Wilhelm Meister" zeigt geradezu die Erziehung eines Einzelnen, die Heran-
bildung zum ideale» Menschen, durch eine geheime Gesellschaft. Göthe's Verhältniß
zur Maurerei war, so wenig viele seiner Ausleger es sich träumen lassen., ein
sehr intimes und beharrliches. Die in seineu Werken stehende Rede bei der zu
Wieland's Todtenfeier gehaltenen Trauerloge, sein tiessiiuüges Gedicht: „Laßt
fahren hin das allzu Flüchtige" siud öffentliche Denkmale desselben. Seine
Freundschaft zum Herzog von Weimar wurde durch das Logeuband wenigstens
befestigt, une dies auch zwischen. Klopstock und dem Minister Bernstorff der Fall
ivar. Lessing's kritischer Verstand dagegen riß sich bald ans der geheimnißvollen
Dämmerung des Tempels los (man vergl. „ Ernst und Falk"). Sein consequentes
Verlangen nach scharfen Begriffen wurde in dem Bunde nicht befriedigt. Es
ging wohl Friedrich dein Großen nicht besser, der sich persönlich frühzeitig von
dem durch ihn zuerst so nachdrücklich beschützte» Bunde zurückzog, unstreitig nicht
nur aus politischen Gründen.

Auf Deutschland übte die Freimaurerei ihren Einfluß zunächst nur in religiöser
Hinsicht. Indem sie einerseits die französische frivole Spötterei, die unter den
Vornehmen sich einnistete, bekämpfte, bildete sie zugleich ein starkes Bollwerk gegen
das Kirchenregimcut; sie beförderte die Toleranz der verschiedenen, vor dein sieben¬
jährigen Kriege einander schroff gegenüberstehenden christlichen Konfessionen. Das
war der wesentlichste praktische Gewinn, der ihr zu verdanken ist. Nebenbei wurde
die ungeheure Kluft, welche die verschiedenen Stäude der Gesellschaft bisher
trennte, dadurch etwas ausgeglichen. In de» Logen begannen sie sich menschlich
zu »aber» und das wiederzufinden, was ihnen die christliche Religion leider nicht
mehr war, el» Vereinigungsmittel der Gesinnung. Nur aus der Begeisterung,
welche in jenen guten Zeiten die gemeinsame Erhebung zu einem geahnten höheren
Lichte erweckte, ist die ungeheure Menge von Frcimaurerschrifteu zu erklären,
worin aber auch sogleich alle Erbfehler der Menschen, Eitelkeit, Ehrsucht und
Gewinnsucht hinreichend zu Tage liegen. Jeder Autor meinte, die beste Form
der Gebräuche u. s. w. gefunden zu haben, und trug zu der jene Zeit charaktcri-


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[0251] Deutschland auf weit allgemeinere Theilnahme rechnen, als echt poetische Gestaltung. Jene Lyrik, die mehr an abstracte als an sinnliche Stoffe sich hielt, faud in un¬ serm großen Schiller ihren Kulminationspunkt. Vielen Freimaurern, ja deu meisten, war sein idealer Freiheitsdurst freilich zu gewaltig, sie fühlten, daß er all' ihre Rituale und Symbole mit der Riesenkraft des Genius durchbrach, daher war ihnen Tiedge's „Urania" weit bequemer, und wurde von ihnen vorzüglich heilig gehalten. Aber noch in ungemein vielen audern deutschen Schriftwerken liegt der manrerische Einfluß zu Tage. Zunächst in dem norddeutschen Klopstock-Gleimschen Freundschaftskreise. Dann in Wieland's Romanen, namentlich im „goldenen Spiegel." Herder's berühmte Briefe über „Humanität" dürfen nicht vergessen werden, weil sie das Losungswort der Freimaurer an der Stirn trugen. Göthe's „Wilhelm Meister" zeigt geradezu die Erziehung eines Einzelnen, die Heran- bildung zum ideale» Menschen, durch eine geheime Gesellschaft. Göthe's Verhältniß zur Maurerei war, so wenig viele seiner Ausleger es sich träumen lassen., ein sehr intimes und beharrliches. Die in seineu Werken stehende Rede bei der zu Wieland's Todtenfeier gehaltenen Trauerloge, sein tiessiiuüges Gedicht: „Laßt fahren hin das allzu Flüchtige" siud öffentliche Denkmale desselben. Seine Freundschaft zum Herzog von Weimar wurde durch das Logeuband wenigstens befestigt, une dies auch zwischen. Klopstock und dem Minister Bernstorff der Fall ivar. Lessing's kritischer Verstand dagegen riß sich bald ans der geheimnißvollen Dämmerung des Tempels los (man vergl. „ Ernst und Falk"). Sein consequentes Verlangen nach scharfen Begriffen wurde in dem Bunde nicht befriedigt. Es ging wohl Friedrich dein Großen nicht besser, der sich persönlich frühzeitig von dem durch ihn zuerst so nachdrücklich beschützte» Bunde zurückzog, unstreitig nicht nur aus politischen Gründen. Auf Deutschland übte die Freimaurerei ihren Einfluß zunächst nur in religiöser Hinsicht. Indem sie einerseits die französische frivole Spötterei, die unter den Vornehmen sich einnistete, bekämpfte, bildete sie zugleich ein starkes Bollwerk gegen das Kirchenregimcut; sie beförderte die Toleranz der verschiedenen, vor dein sieben¬ jährigen Kriege einander schroff gegenüberstehenden christlichen Konfessionen. Das war der wesentlichste praktische Gewinn, der ihr zu verdanken ist. Nebenbei wurde die ungeheure Kluft, welche die verschiedenen Stäude der Gesellschaft bisher trennte, dadurch etwas ausgeglichen. In de» Logen begannen sie sich menschlich zu »aber» und das wiederzufinden, was ihnen die christliche Religion leider nicht mehr war, el» Vereinigungsmittel der Gesinnung. Nur aus der Begeisterung, welche in jenen guten Zeiten die gemeinsame Erhebung zu einem geahnten höheren Lichte erweckte, ist die ungeheure Menge von Frcimaurerschrifteu zu erklären, worin aber auch sogleich alle Erbfehler der Menschen, Eitelkeit, Ehrsucht und Gewinnsucht hinreichend zu Tage liegen. Jeder Autor meinte, die beste Form der Gebräuche u. s. w. gefunden zu haben, und trug zu der jene Zeit charaktcri- 31*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/251>, abgerufen am 03.07.2024.