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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Ansehen in Deutschland durch König Friedrich II. von Preußen, der sich dazu
bekannte, begründet wurde. Seit dein Eintritt dieses Königs drängten sich junge,
kräftig strebende Geister allerwärts zu den Geheimnissen des Ordens, der in
der That zur Zeit Kaiser Josephs die Blüthe der Nation vereinigte. Aufklärung
war das Losungswort, ohne daß man ein festes, bestimmtes Ziel anzugeben
wußte, Aufklärung sei allein bei den cingeweihtesten Oberen des Freimaurer¬
ordens zu finden.

Zuerst war dieses Drängen nach Aufklärung gegen die Theologen gerichtet,
und als diese zur Zeit Semlerö sich selbst an der neuen Geistesrichtung lebhaft
betheiligten und sich in Nationalisten und sogenannte Pietisten theilten, griff die
freimaurerische Ansicht in Verbindung mit dem theologischen Dogma weiter und
weiter. Die Protestanten fanden sich darein, daß die Moral ein höheres Ansehen
als die kirchlichen Symbole haben sollte. Der Voltaire'sehe Spott, die Zweisel
des Reimarus und Lessing's hatten Vielen werthvolle geistige Besitzthümer geraubt,
für welche sie in den Freimaurerlogen, die ihnen die Stelle der Kirche vertreten
sollten, Ersatz zu finden hofften. Die Kant'sehe Philosophie vollendete den Sieg
des Moralprincips über die Orthodoxie. Die Freimaurerei empfahl die erhaben¬
sten menschlichen Tugenden zur Nacheiferung, bekämpfte den Aberglaube-!, ent¬
kräftete aber gleichzeitig den christlichen Glanben selbst, indem sie in ihrer Lehre
an der Idee Gottes allein festhielt, und die Erlösung der Welt durch Christum,
worüber die Theologen sich hin und herstritten, ignorirte. Alles dieses geschah
zwar uur in festgeschlossenen, dnrch das Band der Verschwiegenheit nach Außen
geschützten Kreisen, aber das esoterische Geheimniß wurde durch den Charakter
uuserer gauzen Literatur verrathen. Wie hätte es anders sein können, da die
fähigsten Söhne der Nation sich fünfzig Jahre lang daran betheiligt hatten! Für
viele der bedeutendsten Erscheinungen jener Zeit, worüber die Historiker sich gegen¬
wärtig kritisch äußern, ist der Schlüssel des wahren Verständnisses in jenen von
den Urhebern Jahre lang in sich aufgenommenen Lehren zu suchen.

Von deu in der Literaturgeschichte des 18. Jahrhuttderts aufbewahrten
Namen finden sich die meisten und gerade die beseelt in maurerischen Liederbüchern
und Mitgliedsverzeichnissell wieder. Ein großer Theil unserer dentschen Lyrik,
nämlich jene aus Heiterkeit, moralischen Vorsätzen und sentimentaler Erinnerung
an den Tod zusammengesetzten Lieder entstammen dem Logenkreise, wo die poeti¬
schen Köpfe sich dem Traum eines, alle Erdenbewohner umfassenden, goldenen
Reiches voll Tugend und Wahrheit Hingaben. Es zeigt sich hier ganz deutlich,
wie genau eine vou gelinder Schwärmerei durchwebte Prosa mit der Grundstimmung
des deutschen Volkscharakters zusammenhängt. Dieser sehnt sich nicht nach Poesie, son¬
dern vielmehr nach einer mit philosophischen Ingredienzien und gemüthlichen Bildern
versetzten Prosa, woraus bei uus endlich der rhetorische Fluß entspringt. Das Nheto-
risireu, zumal wenn es sich des Schmuckes von Vers lind Reim bedient, darf in


Ansehen in Deutschland durch König Friedrich II. von Preußen, der sich dazu
bekannte, begründet wurde. Seit dein Eintritt dieses Königs drängten sich junge,
kräftig strebende Geister allerwärts zu den Geheimnissen des Ordens, der in
der That zur Zeit Kaiser Josephs die Blüthe der Nation vereinigte. Aufklärung
war das Losungswort, ohne daß man ein festes, bestimmtes Ziel anzugeben
wußte, Aufklärung sei allein bei den cingeweihtesten Oberen des Freimaurer¬
ordens zu finden.

Zuerst war dieses Drängen nach Aufklärung gegen die Theologen gerichtet,
und als diese zur Zeit Semlerö sich selbst an der neuen Geistesrichtung lebhaft
betheiligten und sich in Nationalisten und sogenannte Pietisten theilten, griff die
freimaurerische Ansicht in Verbindung mit dem theologischen Dogma weiter und
weiter. Die Protestanten fanden sich darein, daß die Moral ein höheres Ansehen
als die kirchlichen Symbole haben sollte. Der Voltaire'sehe Spott, die Zweisel
des Reimarus und Lessing's hatten Vielen werthvolle geistige Besitzthümer geraubt,
für welche sie in den Freimaurerlogen, die ihnen die Stelle der Kirche vertreten
sollten, Ersatz zu finden hofften. Die Kant'sehe Philosophie vollendete den Sieg
des Moralprincips über die Orthodoxie. Die Freimaurerei empfahl die erhaben¬
sten menschlichen Tugenden zur Nacheiferung, bekämpfte den Aberglaube-!, ent¬
kräftete aber gleichzeitig den christlichen Glanben selbst, indem sie in ihrer Lehre
an der Idee Gottes allein festhielt, und die Erlösung der Welt durch Christum,
worüber die Theologen sich hin und herstritten, ignorirte. Alles dieses geschah
zwar uur in festgeschlossenen, dnrch das Band der Verschwiegenheit nach Außen
geschützten Kreisen, aber das esoterische Geheimniß wurde durch den Charakter
uuserer gauzen Literatur verrathen. Wie hätte es anders sein können, da die
fähigsten Söhne der Nation sich fünfzig Jahre lang daran betheiligt hatten! Für
viele der bedeutendsten Erscheinungen jener Zeit, worüber die Historiker sich gegen¬
wärtig kritisch äußern, ist der Schlüssel des wahren Verständnisses in jenen von
den Urhebern Jahre lang in sich aufgenommenen Lehren zu suchen.

Von deu in der Literaturgeschichte des 18. Jahrhuttderts aufbewahrten
Namen finden sich die meisten und gerade die beseelt in maurerischen Liederbüchern
und Mitgliedsverzeichnissell wieder. Ein großer Theil unserer dentschen Lyrik,
nämlich jene aus Heiterkeit, moralischen Vorsätzen und sentimentaler Erinnerung
an den Tod zusammengesetzten Lieder entstammen dem Logenkreise, wo die poeti¬
schen Köpfe sich dem Traum eines, alle Erdenbewohner umfassenden, goldenen
Reiches voll Tugend und Wahrheit Hingaben. Es zeigt sich hier ganz deutlich,
wie genau eine vou gelinder Schwärmerei durchwebte Prosa mit der Grundstimmung
des deutschen Volkscharakters zusammenhängt. Dieser sehnt sich nicht nach Poesie, son¬
dern vielmehr nach einer mit philosophischen Ingredienzien und gemüthlichen Bildern
versetzten Prosa, woraus bei uus endlich der rhetorische Fluß entspringt. Das Nheto-
risireu, zumal wenn es sich des Schmuckes von Vers lind Reim bedient, darf in


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[0250] Ansehen in Deutschland durch König Friedrich II. von Preußen, der sich dazu bekannte, begründet wurde. Seit dein Eintritt dieses Königs drängten sich junge, kräftig strebende Geister allerwärts zu den Geheimnissen des Ordens, der in der That zur Zeit Kaiser Josephs die Blüthe der Nation vereinigte. Aufklärung war das Losungswort, ohne daß man ein festes, bestimmtes Ziel anzugeben wußte, Aufklärung sei allein bei den cingeweihtesten Oberen des Freimaurer¬ ordens zu finden. Zuerst war dieses Drängen nach Aufklärung gegen die Theologen gerichtet, und als diese zur Zeit Semlerö sich selbst an der neuen Geistesrichtung lebhaft betheiligten und sich in Nationalisten und sogenannte Pietisten theilten, griff die freimaurerische Ansicht in Verbindung mit dem theologischen Dogma weiter und weiter. Die Protestanten fanden sich darein, daß die Moral ein höheres Ansehen als die kirchlichen Symbole haben sollte. Der Voltaire'sehe Spott, die Zweisel des Reimarus und Lessing's hatten Vielen werthvolle geistige Besitzthümer geraubt, für welche sie in den Freimaurerlogen, die ihnen die Stelle der Kirche vertreten sollten, Ersatz zu finden hofften. Die Kant'sehe Philosophie vollendete den Sieg des Moralprincips über die Orthodoxie. Die Freimaurerei empfahl die erhaben¬ sten menschlichen Tugenden zur Nacheiferung, bekämpfte den Aberglaube-!, ent¬ kräftete aber gleichzeitig den christlichen Glanben selbst, indem sie in ihrer Lehre an der Idee Gottes allein festhielt, und die Erlösung der Welt durch Christum, worüber die Theologen sich hin und herstritten, ignorirte. Alles dieses geschah zwar uur in festgeschlossenen, dnrch das Band der Verschwiegenheit nach Außen geschützten Kreisen, aber das esoterische Geheimniß wurde durch den Charakter uuserer gauzen Literatur verrathen. Wie hätte es anders sein können, da die fähigsten Söhne der Nation sich fünfzig Jahre lang daran betheiligt hatten! Für viele der bedeutendsten Erscheinungen jener Zeit, worüber die Historiker sich gegen¬ wärtig kritisch äußern, ist der Schlüssel des wahren Verständnisses in jenen von den Urhebern Jahre lang in sich aufgenommenen Lehren zu suchen. Von deu in der Literaturgeschichte des 18. Jahrhuttderts aufbewahrten Namen finden sich die meisten und gerade die beseelt in maurerischen Liederbüchern und Mitgliedsverzeichnissell wieder. Ein großer Theil unserer dentschen Lyrik, nämlich jene aus Heiterkeit, moralischen Vorsätzen und sentimentaler Erinnerung an den Tod zusammengesetzten Lieder entstammen dem Logenkreise, wo die poeti¬ schen Köpfe sich dem Traum eines, alle Erdenbewohner umfassenden, goldenen Reiches voll Tugend und Wahrheit Hingaben. Es zeigt sich hier ganz deutlich, wie genau eine vou gelinder Schwärmerei durchwebte Prosa mit der Grundstimmung des deutschen Volkscharakters zusammenhängt. Dieser sehnt sich nicht nach Poesie, son¬ dern vielmehr nach einer mit philosophischen Ingredienzien und gemüthlichen Bildern versetzten Prosa, woraus bei uus endlich der rhetorische Fluß entspringt. Das Nheto- risireu, zumal wenn es sich des Schmuckes von Vers lind Reim bedient, darf in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/250>, abgerufen am 01.07.2024.