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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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nach Wien zu senden. Die sächsische Regierung verfügte über ihn, ohne Rücksicht
darauf, daß er bis zum Oktober mit einer hiesigen Firma, unserer Buchhandlung,
in einem ContraktSverhältniß stand, dessen plötzliche Lösung vor der Zeit nicht
ohne Verluste für sächsische Bürger sein konnte. Er wurde ausgewiesen. --

Wenn gegen Herrn Kaufmaim in Oestreich ein kriminalrechtliches Verfahren
eingeleitet gewesen wäre, so war die kaiserliche Regierung ans Grund der be¬
stehenden Verträge vollkommen berechtigt, ihn zurückzufordern, und die sächsische
verpflichtet, ihn auszuliefern. So aber stand die Sache nicht.

Es geschah die Ausweisung eines besonnenen gemäßigten Mannes, welcher
hier allgemein geachtet wurde, nicht ans Requisition einer Gerichtsbehörde, son¬
dern in Folge der Forderung eines Ministers, oder Weidens, oder gar der Um¬
gebung des Kaisers, und der Grund der Ausweisung war, daß Herr Kaufmann
durch seine Anwesenheit in Leipzig, d. h. seine Thätigkeit bei den Grenzboten
der fremden Regierung unbequem geworden war. Man beseitigt ihn, indem
man ihn in das Laud zurückzieht, vielleicht in ein Gefängniß setzt, vielleicht auch
nicht, je nachdem grade der Humor der Gewalt ist.

Unter diesen Verhältnissen war die sächsische Regierung nicht verpflichtet,
uusern Freund auszuweisen, und die östreichischen Minister hatten kein Recht,
einen Bürger des Kaiserstaatö zurückzufordern; ihr Recht war in diesem Fall
höchstens, ihm im October seinen Paß nicht zu prolougireu, und dadurch seine
Rückkehr zu bewirken. In Berlin, wo man als Fremder keineswegs übermäßig
sicher vor polizeilicher Ausweisung ist, wenn das eigene Interesse der Regierung
eine solche wünschenswerth erscheinen läßt, wird doch ein solches Verlangen der
fremden Regierungen, mit welchen die preußische zur Zeit in Kartell steht, ent¬
schieden zurückgewiesen. Und doch hatte Sachsen bis jetzt mehr Grund, mit der
Humanität und der toleranten Praxis seiner Verwaltungsbehörden zufrieden zu
sein, als sein größerer Nachbar.

Daß die Ausweisung einen Unschuldigen getroffen, daß Herr Ka"fmann gar
nicht Verfasser der wahrscheinlicherweise anstößigen Artikel gewesen ist, sei hier
nur nebenbei erwähnt.

Wenn nun das Verlangen der östreichischen Regierung ein Akt ungeschickter
und nutzloser Tyrannei war, so kann man doch fragen, wozu die Klage darüber?
Wo durch falsche Maßregeln der Negierung das Eigenthum von Millionen, das
Leben von Tausenden geschädigt und zerstört wird, was liegt da viel an der
polizeilichen Assentiruug eines Einzelnen? Uns liegt daran. Wir haben es zu
einer Aufgabe unseres Lebens gemacht, die Idee einer gesunden und vernünf¬
tigen Organisation des KaiserstaatS zu verfechten; aber in einem Punkt sind wir
keine Oestreicher. Wir haben nicht gelernt, Uarecht schweigend zu ertragen; und sür
die -- nicht allzuwürdige -- Maßregel des Hasses, welche der kaiserlichen Regierung
gegen uus beliebt hat, werden Mr die Rache nehmen, welche wir sür würdig halten.


nach Wien zu senden. Die sächsische Regierung verfügte über ihn, ohne Rücksicht
darauf, daß er bis zum Oktober mit einer hiesigen Firma, unserer Buchhandlung,
in einem ContraktSverhältniß stand, dessen plötzliche Lösung vor der Zeit nicht
ohne Verluste für sächsische Bürger sein konnte. Er wurde ausgewiesen. —

Wenn gegen Herrn Kaufmaim in Oestreich ein kriminalrechtliches Verfahren
eingeleitet gewesen wäre, so war die kaiserliche Regierung ans Grund der be¬
stehenden Verträge vollkommen berechtigt, ihn zurückzufordern, und die sächsische
verpflichtet, ihn auszuliefern. So aber stand die Sache nicht.

Es geschah die Ausweisung eines besonnenen gemäßigten Mannes, welcher
hier allgemein geachtet wurde, nicht ans Requisition einer Gerichtsbehörde, son¬
dern in Folge der Forderung eines Ministers, oder Weidens, oder gar der Um¬
gebung des Kaisers, und der Grund der Ausweisung war, daß Herr Kaufmann
durch seine Anwesenheit in Leipzig, d. h. seine Thätigkeit bei den Grenzboten
der fremden Regierung unbequem geworden war. Man beseitigt ihn, indem
man ihn in das Laud zurückzieht, vielleicht in ein Gefängniß setzt, vielleicht auch
nicht, je nachdem grade der Humor der Gewalt ist.

Unter diesen Verhältnissen war die sächsische Regierung nicht verpflichtet,
uusern Freund auszuweisen, und die östreichischen Minister hatten kein Recht,
einen Bürger des Kaiserstaatö zurückzufordern; ihr Recht war in diesem Fall
höchstens, ihm im October seinen Paß nicht zu prolougireu, und dadurch seine
Rückkehr zu bewirken. In Berlin, wo man als Fremder keineswegs übermäßig
sicher vor polizeilicher Ausweisung ist, wenn das eigene Interesse der Regierung
eine solche wünschenswerth erscheinen läßt, wird doch ein solches Verlangen der
fremden Regierungen, mit welchen die preußische zur Zeit in Kartell steht, ent¬
schieden zurückgewiesen. Und doch hatte Sachsen bis jetzt mehr Grund, mit der
Humanität und der toleranten Praxis seiner Verwaltungsbehörden zufrieden zu
sein, als sein größerer Nachbar.

Daß die Ausweisung einen Unschuldigen getroffen, daß Herr Ka»fmann gar
nicht Verfasser der wahrscheinlicherweise anstößigen Artikel gewesen ist, sei hier
nur nebenbei erwähnt.

Wenn nun das Verlangen der östreichischen Regierung ein Akt ungeschickter
und nutzloser Tyrannei war, so kann man doch fragen, wozu die Klage darüber?
Wo durch falsche Maßregeln der Negierung das Eigenthum von Millionen, das
Leben von Tausenden geschädigt und zerstört wird, was liegt da viel an der
polizeilichen Assentiruug eines Einzelnen? Uns liegt daran. Wir haben es zu
einer Aufgabe unseres Lebens gemacht, die Idee einer gesunden und vernünf¬
tigen Organisation des KaiserstaatS zu verfechten; aber in einem Punkt sind wir
keine Oestreicher. Wir haben nicht gelernt, Uarecht schweigend zu ertragen; und sür
die — nicht allzuwürdige — Maßregel des Hasses, welche der kaiserlichen Regierung
gegen uus beliebt hat, werden Mr die Rache nehmen, welche wir sür würdig halten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/240>, abgerufen am 01.07.2024.