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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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eines schlechten Journalisten übernimuit und die Verdächtigungen undJnvectiven gegen
seine politischen Gegner heraussprudelt, welche er aus der Luft, in der er lebt, einge-
sogen hat. Die Majestät von Würteml'erg hat einen, alten persönlichen Wider¬
willen gegen die leitende Macht der preußischen Regierung mit mehr Energie als
Besonnenheit ausgesprochen, Preußen hat zur Antwort seinen Gesandten in aller
Form aus Stuttgart zurückgezogen. Denn während es den Gesandten von Han¬
nover sich mündlich beurlauben ließ, was dieser so zart abmachte, daß die han-
növersche Regierung gar nicht merkte, daß der Mann aus Empfindlichkeit fort¬
gegangen sei, hat bei Würtemberg eine formelle Anzeige des Grundes der Ab¬
berufung und all die offizielle Entrüstung stattgefunden, welche im diplomatischen
Verkehr zu äußern schicklich ist. Für die Union ist aus der Thronrede des Wür-
tembergerS der bedeutsamste Passus der, wo er erklärt, Würtemberg werde nicht
zu der Union treten, so lange er regiere.

Von den Staaten, welche der Union beigetreten, sind einzelne unsicheres
Terrain geworden. Zunächst Oldenburg, dessen Ministerium treu an der Union
gehalten hat, bis die Isolirung Hannovers und die dadurch motivirte Opposition
der oldenburgischen Ständeversammlung gegen die Union dem Ministerium die
Erklärung abnöthigte, daß, im Fall Hannover bei seinem Rücktritt beharre,
auch Oldenburg genöthigt sein werde, die Beschlüsse der Erfurter nicht
fernerhin als bindend anzuerkennen. Ueber die Schwankungen, welche in
Hessen-Kassel und Meklenburg - Strelitz stattfinden, haben wir nur Zeitungsno¬
tizen, noch keine Beweise. Der Rückmarsch von Meklenburg - Strelitz wäre eine
thörichte Laune, ohne weitere Folgen; der von Hessen-Kassel aber, bei welche"!
außcrdeutschc Einwirkungen uicht zu verkennen wären, würde im eigenen Land ans
eine gefährliche Opposition stoßen, deren Festigkeit und Energie dort größer ist,
als in irgend einem andern deutschen Staate. Vorläufig steht fest, daß es
gegenwärtig keine Aussicht auf eine staatliche Einheit der deutschen Stämme
gibt, wenn die preußischen Bestrebungen durch feindliche Intriguen vereitelt wer¬
den könnten; daß eine nur formale Vereinigung, wie die Liga sie will, in nächster
Zukunft neue Empörungen des Volkswillens und neue Revolutionen zur Folge
haben müßte, und endlich, daß dieses Jahr uns die Entscheidung bringen wird,
ob Deutschland die Kraft hat, selbstständig sein Staatsleben zu formen oder
ob es in seiner alten Abhängigkeit von dem großen östlichen Nachbar zu blei¬
ben bestimmt ist. Unsere Partei in Erfurt weiß, daß sie die letzte Schaar darstellt,
welche das gedemüthigte und verwirrte Volk auf den friedlichen Kampfplatz
der Tribünen stellen konnte. Was hinter ihr folgt, ist Herrschaft der Kabinette
und eine bewaffnete Reaction, Sclaverei und Schande.




eines schlechten Journalisten übernimuit und die Verdächtigungen undJnvectiven gegen
seine politischen Gegner heraussprudelt, welche er aus der Luft, in der er lebt, einge-
sogen hat. Die Majestät von Würteml'erg hat einen, alten persönlichen Wider¬
willen gegen die leitende Macht der preußischen Regierung mit mehr Energie als
Besonnenheit ausgesprochen, Preußen hat zur Antwort seinen Gesandten in aller
Form aus Stuttgart zurückgezogen. Denn während es den Gesandten von Han¬
nover sich mündlich beurlauben ließ, was dieser so zart abmachte, daß die han-
növersche Regierung gar nicht merkte, daß der Mann aus Empfindlichkeit fort¬
gegangen sei, hat bei Würtemberg eine formelle Anzeige des Grundes der Ab¬
berufung und all die offizielle Entrüstung stattgefunden, welche im diplomatischen
Verkehr zu äußern schicklich ist. Für die Union ist aus der Thronrede des Wür-
tembergerS der bedeutsamste Passus der, wo er erklärt, Würtemberg werde nicht
zu der Union treten, so lange er regiere.

Von den Staaten, welche der Union beigetreten, sind einzelne unsicheres
Terrain geworden. Zunächst Oldenburg, dessen Ministerium treu an der Union
gehalten hat, bis die Isolirung Hannovers und die dadurch motivirte Opposition
der oldenburgischen Ständeversammlung gegen die Union dem Ministerium die
Erklärung abnöthigte, daß, im Fall Hannover bei seinem Rücktritt beharre,
auch Oldenburg genöthigt sein werde, die Beschlüsse der Erfurter nicht
fernerhin als bindend anzuerkennen. Ueber die Schwankungen, welche in
Hessen-Kassel und Meklenburg - Strelitz stattfinden, haben wir nur Zeitungsno¬
tizen, noch keine Beweise. Der Rückmarsch von Meklenburg - Strelitz wäre eine
thörichte Laune, ohne weitere Folgen; der von Hessen-Kassel aber, bei welche»!
außcrdeutschc Einwirkungen uicht zu verkennen wären, würde im eigenen Land ans
eine gefährliche Opposition stoßen, deren Festigkeit und Energie dort größer ist,
als in irgend einem andern deutschen Staate. Vorläufig steht fest, daß es
gegenwärtig keine Aussicht auf eine staatliche Einheit der deutschen Stämme
gibt, wenn die preußischen Bestrebungen durch feindliche Intriguen vereitelt wer¬
den könnten; daß eine nur formale Vereinigung, wie die Liga sie will, in nächster
Zukunft neue Empörungen des Volkswillens und neue Revolutionen zur Folge
haben müßte, und endlich, daß dieses Jahr uns die Entscheidung bringen wird,
ob Deutschland die Kraft hat, selbstständig sein Staatsleben zu formen oder
ob es in seiner alten Abhängigkeit von dem großen östlichen Nachbar zu blei¬
ben bestimmt ist. Unsere Partei in Erfurt weiß, daß sie die letzte Schaar darstellt,
welche das gedemüthigte und verwirrte Volk auf den friedlichen Kampfplatz
der Tribünen stellen konnte. Was hinter ihr folgt, ist Herrschaft der Kabinette
und eine bewaffnete Reaction, Sclaverei und Schande.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/24>, abgerufen am 24.08.2024.