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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Mitglieder an Instructionen gebunden sind, mit Legation im Auslande, z. B. Nu߬
land, welche durch die Gesandten der einzelnen Staaten, Oestreichs, Preußens,
selbst Baierns nud Hamburgs paralysirt wird, und mit einer solchen Zusammen¬
setzung der Kammer annehmen werde? Es ist unmöglich, daß auf diesen Grund¬
zügen eine wahrhafte Versöhnung zwischen dein Volk und den Dynastien statt¬
finde, denn der Entwurf demüthigt und verletzt fast alle großen Parteien im
Polle, er winde, im Fall er zur Ausführung käme, nichts sein als der Anfang
einer neuen Revolution, und er könnte nichts Anderes werden, als eine Ausdeh¬
nung des russischen Prinzipals über Deutschland, denn es wäre dein russischen
Cabinet eine leichte und angenehme Thätigkeit, vier von den sieben regierenden
Cabinetten zu beherrschen. Zu schattenhaft ist diese Liga, um den lebendigen Körper
der Union vernichten zu können, zu unbefriedigend ihr Inhalt, um einem ehrlichen
Mann Hoffnungen zu erregen; zu abenteuerlich und wcitschichtig der Weg, auf
welchem sie in's Leben treten soll, als daß an ihre wahrhaftige Realisirung zu deuten
wäre. Baiern, Würtemberg und Sachsen haben diesen Entwurf aufgestellt, Han¬
nover scheint ihn eben so unpraktisch zu finden als den Anschluß an Preußen.
Oestreich hat in einem merkwürdigen Aktenstück sein Wohlwollen erklärt, und be¬
dingungsweise seinen Beitritt ausgesprochen.

Diese östreichische Erklärung ist bezeichnend für die Politik und Stellung des
Cabinets Schwarzenberg. Sie ist sehr wortreich, aber nicht eben so aufrichtig;
die Rücksichten auf deu russischen Willen scheinen vielleicht wider den Willen des
Verfassers hindurch. Nach langer tobender Anerkennung des schönen Strebens der
Königreiche verspricht Oestreich beizutreten, -- vorausgesetzt, daß die Grundzüge
des Verfassungsentwurfs bei der Ausarbeitung und bei der Vereinbarung mit der
Volksvertretung "in ihrer Wesenheit" beibehalten werden, daß insbesondere die
Bundesgewalt nicht vergrößert werde, daß serner unter den der Nation garantir-
ten Rechten nicht die verhaßten Grundrechte zu verstehen seien, und endlich, daß
dem Kaiserstaat die Möglichkeit geboten werde, sich dem Bunde mit dem gesamm-
ten Gebietöumfauge des Staates anzuschließen. In jeder von diesen aufgestellten
Bedingungen liegen so viele Hinterthüren für den Nichtbeitritt, ja Veranlassung
zu Protesten gegen die neue Verfassung, daß die ganze Erklärung dadurch sür den
projectirten Bund selbst bedeutungslos wird; sie ist eine höfliche Phrase, deren
letzter Sinn ist: der Sprechende behält sich vor, ganz nach Umständen und
nach seinem Vortheil zu handeln. Oestreich darf in jeder Abänderung des Ent¬
wurfes eine wesentliche Veränderung findendes wird höchst wahrscheinlich ein¬
zelne der verheißenen Volksrechte als einen Theil der Grundrechte auffassen und
es kann in unzähligen, gar nicht zu berechnenden Umständen die Unmöglichkeit
erkennen, seine Ungarn, Italiener und Serben zum deutschen Bund zu schlagen.

Mit dem Zusammentreten des Parlaments fiel die Thronrede des Königs von
Würtemberg zusammen. Es ist ungewöhnlich, daß ein deutscher Regent die Rolle


Mitglieder an Instructionen gebunden sind, mit Legation im Auslande, z. B. Nu߬
land, welche durch die Gesandten der einzelnen Staaten, Oestreichs, Preußens,
selbst Baierns nud Hamburgs paralysirt wird, und mit einer solchen Zusammen¬
setzung der Kammer annehmen werde? Es ist unmöglich, daß auf diesen Grund¬
zügen eine wahrhafte Versöhnung zwischen dein Volk und den Dynastien statt¬
finde, denn der Entwurf demüthigt und verletzt fast alle großen Parteien im
Polle, er winde, im Fall er zur Ausführung käme, nichts sein als der Anfang
einer neuen Revolution, und er könnte nichts Anderes werden, als eine Ausdeh¬
nung des russischen Prinzipals über Deutschland, denn es wäre dein russischen
Cabinet eine leichte und angenehme Thätigkeit, vier von den sieben regierenden
Cabinetten zu beherrschen. Zu schattenhaft ist diese Liga, um den lebendigen Körper
der Union vernichten zu können, zu unbefriedigend ihr Inhalt, um einem ehrlichen
Mann Hoffnungen zu erregen; zu abenteuerlich und wcitschichtig der Weg, auf
welchem sie in's Leben treten soll, als daß an ihre wahrhaftige Realisirung zu deuten
wäre. Baiern, Würtemberg und Sachsen haben diesen Entwurf aufgestellt, Han¬
nover scheint ihn eben so unpraktisch zu finden als den Anschluß an Preußen.
Oestreich hat in einem merkwürdigen Aktenstück sein Wohlwollen erklärt, und be¬
dingungsweise seinen Beitritt ausgesprochen.

Diese östreichische Erklärung ist bezeichnend für die Politik und Stellung des
Cabinets Schwarzenberg. Sie ist sehr wortreich, aber nicht eben so aufrichtig;
die Rücksichten auf deu russischen Willen scheinen vielleicht wider den Willen des
Verfassers hindurch. Nach langer tobender Anerkennung des schönen Strebens der
Königreiche verspricht Oestreich beizutreten, — vorausgesetzt, daß die Grundzüge
des Verfassungsentwurfs bei der Ausarbeitung und bei der Vereinbarung mit der
Volksvertretung „in ihrer Wesenheit" beibehalten werden, daß insbesondere die
Bundesgewalt nicht vergrößert werde, daß serner unter den der Nation garantir-
ten Rechten nicht die verhaßten Grundrechte zu verstehen seien, und endlich, daß
dem Kaiserstaat die Möglichkeit geboten werde, sich dem Bunde mit dem gesamm-
ten Gebietöumfauge des Staates anzuschließen. In jeder von diesen aufgestellten
Bedingungen liegen so viele Hinterthüren für den Nichtbeitritt, ja Veranlassung
zu Protesten gegen die neue Verfassung, daß die ganze Erklärung dadurch sür den
projectirten Bund selbst bedeutungslos wird; sie ist eine höfliche Phrase, deren
letzter Sinn ist: der Sprechende behält sich vor, ganz nach Umständen und
nach seinem Vortheil zu handeln. Oestreich darf in jeder Abänderung des Ent¬
wurfes eine wesentliche Veränderung findendes wird höchst wahrscheinlich ein¬
zelne der verheißenen Volksrechte als einen Theil der Grundrechte auffassen und
es kann in unzähligen, gar nicht zu berechnenden Umständen die Unmöglichkeit
erkennen, seine Ungarn, Italiener und Serben zum deutschen Bund zu schlagen.

Mit dem Zusammentreten des Parlaments fiel die Thronrede des Königs von
Würtemberg zusammen. Es ist ungewöhnlich, daß ein deutscher Regent die Rolle


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[0023] Mitglieder an Instructionen gebunden sind, mit Legation im Auslande, z. B. Nu߬ land, welche durch die Gesandten der einzelnen Staaten, Oestreichs, Preußens, selbst Baierns nud Hamburgs paralysirt wird, und mit einer solchen Zusammen¬ setzung der Kammer annehmen werde? Es ist unmöglich, daß auf diesen Grund¬ zügen eine wahrhafte Versöhnung zwischen dein Volk und den Dynastien statt¬ finde, denn der Entwurf demüthigt und verletzt fast alle großen Parteien im Polle, er winde, im Fall er zur Ausführung käme, nichts sein als der Anfang einer neuen Revolution, und er könnte nichts Anderes werden, als eine Ausdeh¬ nung des russischen Prinzipals über Deutschland, denn es wäre dein russischen Cabinet eine leichte und angenehme Thätigkeit, vier von den sieben regierenden Cabinetten zu beherrschen. Zu schattenhaft ist diese Liga, um den lebendigen Körper der Union vernichten zu können, zu unbefriedigend ihr Inhalt, um einem ehrlichen Mann Hoffnungen zu erregen; zu abenteuerlich und wcitschichtig der Weg, auf welchem sie in's Leben treten soll, als daß an ihre wahrhaftige Realisirung zu deuten wäre. Baiern, Würtemberg und Sachsen haben diesen Entwurf aufgestellt, Han¬ nover scheint ihn eben so unpraktisch zu finden als den Anschluß an Preußen. Oestreich hat in einem merkwürdigen Aktenstück sein Wohlwollen erklärt, und be¬ dingungsweise seinen Beitritt ausgesprochen. Diese östreichische Erklärung ist bezeichnend für die Politik und Stellung des Cabinets Schwarzenberg. Sie ist sehr wortreich, aber nicht eben so aufrichtig; die Rücksichten auf deu russischen Willen scheinen vielleicht wider den Willen des Verfassers hindurch. Nach langer tobender Anerkennung des schönen Strebens der Königreiche verspricht Oestreich beizutreten, — vorausgesetzt, daß die Grundzüge des Verfassungsentwurfs bei der Ausarbeitung und bei der Vereinbarung mit der Volksvertretung „in ihrer Wesenheit" beibehalten werden, daß insbesondere die Bundesgewalt nicht vergrößert werde, daß serner unter den der Nation garantir- ten Rechten nicht die verhaßten Grundrechte zu verstehen seien, und endlich, daß dem Kaiserstaat die Möglichkeit geboten werde, sich dem Bunde mit dem gesamm- ten Gebietöumfauge des Staates anzuschließen. In jeder von diesen aufgestellten Bedingungen liegen so viele Hinterthüren für den Nichtbeitritt, ja Veranlassung zu Protesten gegen die neue Verfassung, daß die ganze Erklärung dadurch sür den projectirten Bund selbst bedeutungslos wird; sie ist eine höfliche Phrase, deren letzter Sinn ist: der Sprechende behält sich vor, ganz nach Umständen und nach seinem Vortheil zu handeln. Oestreich darf in jeder Abänderung des Ent¬ wurfes eine wesentliche Veränderung findendes wird höchst wahrscheinlich ein¬ zelne der verheißenen Volksrechte als einen Theil der Grundrechte auffassen und es kann in unzähligen, gar nicht zu berechnenden Umständen die Unmöglichkeit erkennen, seine Ungarn, Italiener und Serben zum deutschen Bund zu schlagen. Mit dem Zusammentreten des Parlaments fiel die Thronrede des Königs von Würtemberg zusammen. Es ist ungewöhnlich, daß ein deutscher Regent die Rolle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/23>, abgerufen am 24.08.2024.