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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Alles liebe, darum tobtet Ihr sie. O Gott der Ungarn! Arpüds und Sz.
Jstvüns Gott, schleudere Deine Blitzstrahlen ans dies verworfene Räubergeschlecht,
diese Walachei", und hilf Deinem Volke, daß es uicht untergehe stückweise durch
seine Feinde. Wenn Dn beschlossen hast, daß es sterbe, so vernichte es durch ein
Erdbeben, auf daß auch der Feind mit ihm verderbe! nette uus Ungarn, rette
mein Kind!" --

Der Gott der Magyaren beschloß wenigstens den letzten Theil ihrer Be¬
schwörung zu erfüllen. Vielleicht weil ihn ihr Patriotismus rührte, vielleicht weil
er die Pflicht fühlte, seinem Volte noch viel Gutes zu thun und große Gefühle
zu schenken, bevor er es untergehen ließ. Das Kind der Szetleriu schlug die
Augen auf und verlangte heftig, die Flüchtlinge zu sprechen. Zögernd gab die
Mutter der Leidenschaft nach und führte die bleiche Tochter in das Vorzimmer.

Dort hatten sich die Flüchtlinge gelagert; auf dem Fußboden saßen die Kiuder,
in der Ecke lag auf Wageustroh und Kissen ein alter ehrwürdiger Herr, es war
Johann Szaln), der reformirte Pfarrer von Zalathna, neben ihm saß stöhnend
ein verwundeter Mann, ein deutscher Bürger und Händler der unglücklichen Stadt,
er dachte weniger an seine Wunde, einen Säbelhieb, der ihm den Arm aufgerissen
hatte, als an die Schwäche des geistlichen Herrn neben ihm, dessen Hand er
fest in der seinen hielt, als an das Elend, das er geschaut, und das Unheil, das
sein Leben verwüstet hatte. Vereint mit den flüchtigen Frauen, welche stunden¬
lang geschrieen und geschluchzt hatten, aber jetzt mehr Thatkraft besaßen als die
Männer, holte die Hausfrau für die Kiuder warme Tücher und Brot, für die
Männer Leinwand zum Verbinden und Wein. Allmälig kam Leben in die Augen
und Glieder der Reisenden, der geistliche Herr drückte der Wirthin dankend die
Hand und der verwundete Bürger fing an zu sprechen und berichtete, was ihm
geschehen. Aus seinem Munde sei es hier mitgetheilt:

"Es gab eine Stadt, die hieß Zalathna. Sie war eine freundliche kleine
Stadt. Es wohnten viele ehrliche Leute von allerhand Nationen darin.
Eine derselben war die ungarische, die andere die deutsche, und die dritte die
walachische. Eines Tages erhob sich die walachische Bürgerschaft, die mit ihren
zahllosen Brüdern der Umgegend einen Bund gemacht, gegen die andern Bürger
und beschlossen ihr Verderben. Da schwuren 300 ungarische und deutsche Män¬
ner einen dreifachen Schwur, der Verfassung treu zu sein, das Palladium der
Stadt, die ehrwürdige Nativnalfahne nicht zu überliefern in des Feindes Hände,
und sich und ihre Familien zu schützen bis zum letzten Lebenshanche. Die Frauen,
Greise und Kinder beteten indessen alle in den Kirchen des Ortes nur Hülfe.
Einer der würdigsten Bürger, Namens Nemegyei, redete alsdann mit den Häupt¬
lingen des Feindes, und sie versprachen mit heiligen Schwüren und aufgehobenen
Händen, ihre Mitbürger in der Stadt an Leib und Leben zu schlitzen. Aber die
Nichtswürdigen brachen ihren Eid, und riefen die unzähligen Schwärme ihres


Alles liebe, darum tobtet Ihr sie. O Gott der Ungarn! Arpüds und Sz.
Jstvüns Gott, schleudere Deine Blitzstrahlen ans dies verworfene Räubergeschlecht,
diese Walachei», und hilf Deinem Volke, daß es uicht untergehe stückweise durch
seine Feinde. Wenn Dn beschlossen hast, daß es sterbe, so vernichte es durch ein
Erdbeben, auf daß auch der Feind mit ihm verderbe! nette uus Ungarn, rette
mein Kind!" —

Der Gott der Magyaren beschloß wenigstens den letzten Theil ihrer Be¬
schwörung zu erfüllen. Vielleicht weil ihn ihr Patriotismus rührte, vielleicht weil
er die Pflicht fühlte, seinem Volte noch viel Gutes zu thun und große Gefühle
zu schenken, bevor er es untergehen ließ. Das Kind der Szetleriu schlug die
Augen auf und verlangte heftig, die Flüchtlinge zu sprechen. Zögernd gab die
Mutter der Leidenschaft nach und führte die bleiche Tochter in das Vorzimmer.

Dort hatten sich die Flüchtlinge gelagert; auf dem Fußboden saßen die Kiuder,
in der Ecke lag auf Wageustroh und Kissen ein alter ehrwürdiger Herr, es war
Johann Szaln), der reformirte Pfarrer von Zalathna, neben ihm saß stöhnend
ein verwundeter Mann, ein deutscher Bürger und Händler der unglücklichen Stadt,
er dachte weniger an seine Wunde, einen Säbelhieb, der ihm den Arm aufgerissen
hatte, als an die Schwäche des geistlichen Herrn neben ihm, dessen Hand er
fest in der seinen hielt, als an das Elend, das er geschaut, und das Unheil, das
sein Leben verwüstet hatte. Vereint mit den flüchtigen Frauen, welche stunden¬
lang geschrieen und geschluchzt hatten, aber jetzt mehr Thatkraft besaßen als die
Männer, holte die Hausfrau für die Kiuder warme Tücher und Brot, für die
Männer Leinwand zum Verbinden und Wein. Allmälig kam Leben in die Augen
und Glieder der Reisenden, der geistliche Herr drückte der Wirthin dankend die
Hand und der verwundete Bürger fing an zu sprechen und berichtete, was ihm
geschehen. Aus seinem Munde sei es hier mitgetheilt:

„Es gab eine Stadt, die hieß Zalathna. Sie war eine freundliche kleine
Stadt. Es wohnten viele ehrliche Leute von allerhand Nationen darin.
Eine derselben war die ungarische, die andere die deutsche, und die dritte die
walachische. Eines Tages erhob sich die walachische Bürgerschaft, die mit ihren
zahllosen Brüdern der Umgegend einen Bund gemacht, gegen die andern Bürger
und beschlossen ihr Verderben. Da schwuren 300 ungarische und deutsche Män¬
ner einen dreifachen Schwur, der Verfassung treu zu sein, das Palladium der
Stadt, die ehrwürdige Nativnalfahne nicht zu überliefern in des Feindes Hände,
und sich und ihre Familien zu schützen bis zum letzten Lebenshanche. Die Frauen,
Greise und Kinder beteten indessen alle in den Kirchen des Ortes nur Hülfe.
Einer der würdigsten Bürger, Namens Nemegyei, redete alsdann mit den Häupt¬
lingen des Feindes, und sie versprachen mit heiligen Schwüren und aufgehobenen
Händen, ihre Mitbürger in der Stadt an Leib und Leben zu schlitzen. Aber die
Nichtswürdigen brachen ihren Eid, und riefen die unzähligen Schwärme ihres


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/231>, abgerufen am 03.07.2024.