Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Idiome der verwandten slavischen Völkerfamilie möglichst nahe zu bringen, und
die gesammelten Schätze ihres Geistes gegenseitig auszutauschen.

Wir wünschen durchaus keine russische Propaganda, die bei den östreichische",
polnischen und türkischen Slaven für Rußland Knechte anwerben soll, sondern
umgekehrt eine slavische Propaganda, die aus den der europäischen Civilisation
naher gelegenen und mit ihr bereits vertrauten Ländern gebildet, ihre Geistes-
produkte nach Rußland sendet, um den unter Despotie schmachtenden größten
Slavenstamm durch geistige Verwandtschaft an uns zu binden." "Und wie
wollen Sie die in Rußland verpönte Waare über die chinesische Mauer schmug¬
geln?" "Sie mißverstehen mich! Ich habe Ihnen ja vorausgesagt, daß ich bei
einem ungebildeten Volke die politische Bildung erst durch die wissenschaftliche
bedingt wissen will; von demokratischen Flugschriften und sozialistischen Pamphleten
ist hier nicht die Rede, und Werken rein wissenschaftlichen, für das Volk berech¬
neten Inhalts wird Kaiser Nikolaus, der unsere Bestrebungen, die er einst aus¬
beuten zu können hofft, mit prüfendem Auge betrachtet, den Eingang in seine
Staaten nicht verbieten." "Und glaubst Du," frug Kasarik lächelnd, "daß Vet¬
ter Nikolaus nicht Eure Träume übersieht und Euch bei der Ausbeutung zuvor¬
kommt, bevor Euere langsame K"r noch die mindeste Wirkung hat?" "Für den
Augenblick schützt uns noch das europäische System des Gleichgewichts, England
und die Deutschen," sagte der Gefangene, "und bevor die europäischen Revolutionen
dies umändern oder entbehrlich machen, werden wir bis zu einem gewissen Grade
gekommen sein, wo eine solche Ueberraschung von Petersburg uus uicht mehr ge¬
fährlich wird." -- So sprach der brave Junge begeistert und mit einer Energie
der Ueberzeugung, die fast rühren konnte. -- Er war ein Phantast, aber ein
liebenswürdiger, einer von den Vielen, welche bestimmt scheinen, Opfer ihrer un¬
praktischen Ideale zu werden. Ein ächtes Bild des nervösen schwärmerischen
Enthusiasmus der Slaven, ein Ideal slavischer Schönheit auch in seinem Aeußern,
rund die Linien des feinen Gesichts und melancholisch sinnig die Augen. --

Bei alledem wurden nur gute Freunde und nach 4 Tagen führten wir unsern
Gefangenen in die Arme seiner alten Mutter, deren Stolz und Freude er war.




Idiome der verwandten slavischen Völkerfamilie möglichst nahe zu bringen, und
die gesammelten Schätze ihres Geistes gegenseitig auszutauschen.

Wir wünschen durchaus keine russische Propaganda, die bei den östreichische»,
polnischen und türkischen Slaven für Rußland Knechte anwerben soll, sondern
umgekehrt eine slavische Propaganda, die aus den der europäischen Civilisation
naher gelegenen und mit ihr bereits vertrauten Ländern gebildet, ihre Geistes-
produkte nach Rußland sendet, um den unter Despotie schmachtenden größten
Slavenstamm durch geistige Verwandtschaft an uns zu binden." „Und wie
wollen Sie die in Rußland verpönte Waare über die chinesische Mauer schmug¬
geln?" „Sie mißverstehen mich! Ich habe Ihnen ja vorausgesagt, daß ich bei
einem ungebildeten Volke die politische Bildung erst durch die wissenschaftliche
bedingt wissen will; von demokratischen Flugschriften und sozialistischen Pamphleten
ist hier nicht die Rede, und Werken rein wissenschaftlichen, für das Volk berech¬
neten Inhalts wird Kaiser Nikolaus, der unsere Bestrebungen, die er einst aus¬
beuten zu können hofft, mit prüfendem Auge betrachtet, den Eingang in seine
Staaten nicht verbieten." „Und glaubst Du," frug Kasarik lächelnd, „daß Vet¬
ter Nikolaus nicht Eure Träume übersieht und Euch bei der Ausbeutung zuvor¬
kommt, bevor Euere langsame K»r noch die mindeste Wirkung hat?" „Für den
Augenblick schützt uns noch das europäische System des Gleichgewichts, England
und die Deutschen," sagte der Gefangene, „und bevor die europäischen Revolutionen
dies umändern oder entbehrlich machen, werden wir bis zu einem gewissen Grade
gekommen sein, wo eine solche Ueberraschung von Petersburg uus uicht mehr ge¬
fährlich wird." — So sprach der brave Junge begeistert und mit einer Energie
der Ueberzeugung, die fast rühren konnte. — Er war ein Phantast, aber ein
liebenswürdiger, einer von den Vielen, welche bestimmt scheinen, Opfer ihrer un¬
praktischen Ideale zu werden. Ein ächtes Bild des nervösen schwärmerischen
Enthusiasmus der Slaven, ein Ideal slavischer Schönheit auch in seinem Aeußern,
rund die Linien des feinen Gesichts und melancholisch sinnig die Augen. —

Bei alledem wurden nur gute Freunde und nach 4 Tagen führten wir unsern
Gefangenen in die Arme seiner alten Mutter, deren Stolz und Freude er war.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0204" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185540"/>
          <p xml:id="ID_656" prev="#ID_655"> Idiome der verwandten slavischen Völkerfamilie möglichst nahe zu bringen, und<lb/>
die gesammelten Schätze ihres Geistes gegenseitig auszutauschen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_657"> Wir wünschen durchaus keine russische Propaganda, die bei den östreichische»,<lb/>
polnischen und türkischen Slaven für Rußland Knechte anwerben soll, sondern<lb/>
umgekehrt eine slavische Propaganda, die aus den der europäischen Civilisation<lb/>
naher gelegenen und mit ihr bereits vertrauten Ländern gebildet, ihre Geistes-<lb/>
produkte nach Rußland sendet, um den unter Despotie schmachtenden größten<lb/>
Slavenstamm durch geistige Verwandtschaft an uns zu binden." &#x201E;Und wie<lb/>
wollen Sie die in Rußland verpönte Waare über die chinesische Mauer schmug¬<lb/>
geln?" &#x201E;Sie mißverstehen mich! Ich habe Ihnen ja vorausgesagt, daß ich bei<lb/>
einem ungebildeten Volke die politische Bildung erst durch die wissenschaftliche<lb/>
bedingt wissen will; von demokratischen Flugschriften und sozialistischen Pamphleten<lb/>
ist hier nicht die Rede, und Werken rein wissenschaftlichen, für das Volk berech¬<lb/>
neten Inhalts wird Kaiser Nikolaus, der unsere Bestrebungen, die er einst aus¬<lb/>
beuten zu können hofft, mit prüfendem Auge betrachtet, den Eingang in seine<lb/>
Staaten nicht verbieten." &#x201E;Und glaubst Du," frug Kasarik lächelnd, &#x201E;daß Vet¬<lb/>
ter Nikolaus nicht Eure Träume übersieht und Euch bei der Ausbeutung zuvor¬<lb/>
kommt, bevor Euere langsame K»r noch die mindeste Wirkung hat?" &#x201E;Für den<lb/>
Augenblick schützt uns noch das europäische System des Gleichgewichts, England<lb/>
und die Deutschen," sagte der Gefangene, &#x201E;und bevor die europäischen Revolutionen<lb/>
dies umändern oder entbehrlich machen, werden wir bis zu einem gewissen Grade<lb/>
gekommen sein, wo eine solche Ueberraschung von Petersburg uus uicht mehr ge¬<lb/>
fährlich wird." &#x2014; So sprach der brave Junge begeistert und mit einer Energie<lb/>
der Ueberzeugung, die fast rühren konnte. &#x2014; Er war ein Phantast, aber ein<lb/>
liebenswürdiger, einer von den Vielen, welche bestimmt scheinen, Opfer ihrer un¬<lb/>
praktischen Ideale zu werden. Ein ächtes Bild des nervösen schwärmerischen<lb/>
Enthusiasmus der Slaven, ein Ideal slavischer Schönheit auch in seinem Aeußern,<lb/>
rund die Linien des feinen Gesichts und melancholisch sinnig die Augen. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_658"> Bei alledem wurden nur gute Freunde und nach 4 Tagen führten wir unsern<lb/>
Gefangenen in die Arme seiner alten Mutter, deren Stolz und Freude er war.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0204] Idiome der verwandten slavischen Völkerfamilie möglichst nahe zu bringen, und die gesammelten Schätze ihres Geistes gegenseitig auszutauschen. Wir wünschen durchaus keine russische Propaganda, die bei den östreichische», polnischen und türkischen Slaven für Rußland Knechte anwerben soll, sondern umgekehrt eine slavische Propaganda, die aus den der europäischen Civilisation naher gelegenen und mit ihr bereits vertrauten Ländern gebildet, ihre Geistes- produkte nach Rußland sendet, um den unter Despotie schmachtenden größten Slavenstamm durch geistige Verwandtschaft an uns zu binden." „Und wie wollen Sie die in Rußland verpönte Waare über die chinesische Mauer schmug¬ geln?" „Sie mißverstehen mich! Ich habe Ihnen ja vorausgesagt, daß ich bei einem ungebildeten Volke die politische Bildung erst durch die wissenschaftliche bedingt wissen will; von demokratischen Flugschriften und sozialistischen Pamphleten ist hier nicht die Rede, und Werken rein wissenschaftlichen, für das Volk berech¬ neten Inhalts wird Kaiser Nikolaus, der unsere Bestrebungen, die er einst aus¬ beuten zu können hofft, mit prüfendem Auge betrachtet, den Eingang in seine Staaten nicht verbieten." „Und glaubst Du," frug Kasarik lächelnd, „daß Vet¬ ter Nikolaus nicht Eure Träume übersieht und Euch bei der Ausbeutung zuvor¬ kommt, bevor Euere langsame K»r noch die mindeste Wirkung hat?" „Für den Augenblick schützt uns noch das europäische System des Gleichgewichts, England und die Deutschen," sagte der Gefangene, „und bevor die europäischen Revolutionen dies umändern oder entbehrlich machen, werden wir bis zu einem gewissen Grade gekommen sein, wo eine solche Ueberraschung von Petersburg uus uicht mehr ge¬ fährlich wird." — So sprach der brave Junge begeistert und mit einer Energie der Ueberzeugung, die fast rühren konnte. — Er war ein Phantast, aber ein liebenswürdiger, einer von den Vielen, welche bestimmt scheinen, Opfer ihrer un¬ praktischen Ideale zu werden. Ein ächtes Bild des nervösen schwärmerischen Enthusiasmus der Slaven, ein Ideal slavischer Schönheit auch in seinem Aeußern, rund die Linien des feinen Gesichts und melancholisch sinnig die Augen. — Bei alledem wurden nur gute Freunde und nach 4 Tagen führten wir unsern Gefangenen in die Arme seiner alten Mutter, deren Stolz und Freude er war.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/204
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/204>, abgerufen am 01.07.2024.