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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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fassuugsfrage mit dem Brudervolk? in Preußen Hand in Hand zu gehen;" aber
er gab der Regierung vollkommen Recht, daß sie in das Bündniß mit Preußen
ohne Baiern und Würtemberg nicht eintreten wolle; er meinte "Sachsen habe
Zeit zu warten;" er pvlemisirte gegen Preußen, gegen dessen mangelhaften Con-
stitutionalismus, gegen die Bestrebungen der Aristokratie daselbst -- mit einem
ziemlich verständlichen Seitenhiebe ans Carlowitz -- obgleich er zuvor gesagt hatte:
Preußen habe deu Beruf, in der Entwickelung des konstitutionellen Lebens für
Deutschland voranzugehen. Alles in Allem wollte er nichts Anderes, als die Re¬
gierung, nämlich: abwarten; -- aber was? -- von Neuem unterhandeln -- aber
auf welcher Basis? zu welchem bestimmten Endzweck? Das wußte er wohl uicht,
wenigstens sagte er nichts Klares darüber und Carlowitz hatte unstreitig Recht,
weim er deu Schenk'schen Antrag ebenfalls ein bloßes Vertrauensvotum für
die Regierung nannte.

So stand es auf Seiten Derer, die wenigstens nicht von Haus aus gegen
den Anschluß an Preußen waren. Ihnen gegenüber bildete sich eine compacte
Ncpcalpartei, allerdings ans den verschiedenartigsten Elemeittett gemischt, aber zu¬
sammengehalten dnrch die gemeinsame öl8 wei-tuo, die gemeinsame Politik des
Negireus. Der Republikaner Watzdors, welcher die Frankfurter Reichsverfassung
um ihres erblichen Kaisers willen perhorrescirt, sich aber jetzt,doch derselben als
Waffe gegen die "verwerfliche" Verfassung vom 2L. Mai bediente, verlangte in
Gemeinschaft mit dem Großdentscheil Männer eine neue Nationalversammlung,
von welcher Männer die Errichtung einer Directorialverfassnng, Watzdorf
die einer republikanischen Spitze erwartete. Hand in Hand mit diesen Beiden
ging Poppe, der mehr als konservative Kramermeister von Leipzig, er, dem die
Frankfurter Verfassung ebensogut wie die vom 26. Mai eine "Chimäre" ist, der
den Spruch des Ministers v. Beust: "ein wahrer deutscher Patriotismus müsse
ans einem warmen Localpatriotismus süßen" in jener schonen Uebertreibung auf¬
faßt, vermöge deren ihm Sachsen über Deutschland, Leipzig über Sachsen, sein
Geschäft aber über Alles geht; der in gleisnerischer Gnnstbnhlerei mit der Linken
Besorgnisse heuchelt wegen der dnrch die Berührung mit Preußen gefährdeten
"freisinnigen Institutionen" Sachsens, und schließlich Alles der Negierung ver¬
trauensvoll anheimgibt, die "einen edleren und sicheren Weg" der Einigung
Deutschlands finden werde, im Stillen aber hofft, sie werde gar keinen finden
und folglich Alles beim Alten bleiben. Sie Alle wollten Nichts! Nichts! Nichts!
Die Einen, weil sie ihre Zeit noch nicht für gekommen halten, die Andern, weil
ihnen überhaupt jede große nationale Gestaltung zuwider ist und sie sich am be¬
haglichsten fühlen in dem engen Winkel ihres " Localpatriotismns." Der schlaue
Schweiger Joseph sprach kein Wort bei der Verhandlung, sondern brachte nur
den Antrag ein, die Beschlußnahme über die Anträge von Schenck, Küttner und
Carlowitz "auf unbestimmte Zeit" zu vertagen. Das hieß, das Abwarten


fassuugsfrage mit dem Brudervolk? in Preußen Hand in Hand zu gehen;" aber
er gab der Regierung vollkommen Recht, daß sie in das Bündniß mit Preußen
ohne Baiern und Würtemberg nicht eintreten wolle; er meinte „Sachsen habe
Zeit zu warten;" er pvlemisirte gegen Preußen, gegen dessen mangelhaften Con-
stitutionalismus, gegen die Bestrebungen der Aristokratie daselbst — mit einem
ziemlich verständlichen Seitenhiebe ans Carlowitz — obgleich er zuvor gesagt hatte:
Preußen habe deu Beruf, in der Entwickelung des konstitutionellen Lebens für
Deutschland voranzugehen. Alles in Allem wollte er nichts Anderes, als die Re¬
gierung, nämlich: abwarten; — aber was? — von Neuem unterhandeln — aber
auf welcher Basis? zu welchem bestimmten Endzweck? Das wußte er wohl uicht,
wenigstens sagte er nichts Klares darüber und Carlowitz hatte unstreitig Recht,
weim er deu Schenk'schen Antrag ebenfalls ein bloßes Vertrauensvotum für
die Regierung nannte.

So stand es auf Seiten Derer, die wenigstens nicht von Haus aus gegen
den Anschluß an Preußen waren. Ihnen gegenüber bildete sich eine compacte
Ncpcalpartei, allerdings ans den verschiedenartigsten Elemeittett gemischt, aber zu¬
sammengehalten dnrch die gemeinsame öl8 wei-tuo, die gemeinsame Politik des
Negireus. Der Republikaner Watzdors, welcher die Frankfurter Reichsverfassung
um ihres erblichen Kaisers willen perhorrescirt, sich aber jetzt,doch derselben als
Waffe gegen die „verwerfliche" Verfassung vom 2L. Mai bediente, verlangte in
Gemeinschaft mit dem Großdentscheil Männer eine neue Nationalversammlung,
von welcher Männer die Errichtung einer Directorialverfassnng, Watzdorf
die einer republikanischen Spitze erwartete. Hand in Hand mit diesen Beiden
ging Poppe, der mehr als konservative Kramermeister von Leipzig, er, dem die
Frankfurter Verfassung ebensogut wie die vom 26. Mai eine „Chimäre" ist, der
den Spruch des Ministers v. Beust: „ein wahrer deutscher Patriotismus müsse
ans einem warmen Localpatriotismus süßen" in jener schonen Uebertreibung auf¬
faßt, vermöge deren ihm Sachsen über Deutschland, Leipzig über Sachsen, sein
Geschäft aber über Alles geht; der in gleisnerischer Gnnstbnhlerei mit der Linken
Besorgnisse heuchelt wegen der dnrch die Berührung mit Preußen gefährdeten
„freisinnigen Institutionen" Sachsens, und schließlich Alles der Negierung ver¬
trauensvoll anheimgibt, die „einen edleren und sicheren Weg" der Einigung
Deutschlands finden werde, im Stillen aber hofft, sie werde gar keinen finden
und folglich Alles beim Alten bleiben. Sie Alle wollten Nichts! Nichts! Nichts!
Die Einen, weil sie ihre Zeit noch nicht für gekommen halten, die Andern, weil
ihnen überhaupt jede große nationale Gestaltung zuwider ist und sie sich am be¬
haglichsten fühlen in dem engen Winkel ihres „ Localpatriotismns." Der schlaue
Schweiger Joseph sprach kein Wort bei der Verhandlung, sondern brachte nur
den Antrag ein, die Beschlußnahme über die Anträge von Schenck, Küttner und
Carlowitz „auf unbestimmte Zeit" zu vertagen. Das hieß, das Abwarten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/20>, abgerufen am 22.07.2024.