Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Sallon im Großen die kleinen auszugleichenden Widersprüche so ganz unbeachtet
läßt. Sei's Grundsatz der jetzigen Negierung, oder Unachtsamkeit den Massen
der Hauptstadt gegenüber, die Freiheit des Individuums wird aus eine höchst un¬
politische und unverantwortliche Weise angegriffen und verhöhnt. Ist mir der
zehnte Theil von den Brutalitäten wahr, welche sich untergeordnete Polizeibeamte,
den Berichten demokratischer Journale zufolge, bei Clubanflösungen zu Schulden
kommen lassen, bestätigt sich auch nur der zwanzigste Theil von all den rohen Mi߬
griffen, wie sie die Demokratie der Polizei aufbürdet, so ist es genug, Tausende
friedlicher Bürger in das Lager der Revolution zu treiben. Um die große Politik
haben sick die Massen zu keiner Zeit gekümmert. Ihre Politik ist das Gefühl.
Wo dieses verletzt wird, suchen sie sich früher oder später zu rächen. Wegen einer
russischen Drohnote wird der Berliner nie Barrikaden bauen; ob Gras Branden¬
burg oder Graf Nesselroda die Depeschen im Ministerium des Auswärtigen stylisirt,
kümmert den Handwerker wenig, weil er nichts davon versteht; ob Bonin oder
Willisen, Napoleon oder Eavaiguac! darüber liest und discutirt man allenfalls
in der Kneipe, aber man schlägt sich deswegen nicht; ja selbst näher liegende
Dinge in der großen Politik werden den Bürger nie zum offenen Aufstände trei¬
ben. Man könnte Gagern und Bodelschwingh, daneben Stahl und Gerlach im Er¬
furter Castell exerciren statt in der Augustinerkirche Paragraphe revidiren lassen,
keine Hand wird sich rühren, wenn auch die Bierglasdeckel mit etwas mehr Ge¬
räusch zugeklappt werden dürsten. Aber wenn man mein Weib angreift, weil sie
dem befreiten Waldeck zu Ehren ein paar Talgstümpfe vor's Fenster stellt, wenn
mau meinem Vetter den Hut vom Kopfe reißt, weil seine schwarzrothgoldeue Ko¬
karde zu große Dimensionen hat, wenn man meinen Vater arretirt, weil er einen
groben Constabler einen Grobian gescholten hat', wenn man mich beim Schöne-
berger Thor wegen eines lumpigen Passes enjonuirt, mich, der ich meinen Bürger¬
brief in der Tasche habe, den jedes Kind im Bezirke kennt, der ich meine Steuern
zahl' und Armeuvorstehersubstitnt bin seit 6 Jahren -- Himmelkrentzdonnerschwere-
uoth! Das fahrt in den Kopf und in die Beine und in die Hände, da möcht'
man doch gleich das Pflaster aufreißen und dreinschlagen wie hunderttausend Teu¬
fel! -- Die kleinen Quälereien der Polizei bringen den Berliner Bürger zur
Verzweiflung. Und das ist traurig. Es gebietet hier keine Politik und keine
Nothwendigkeit. Aber Herr v. Manteuffel scheint mit der Befriedigung Frankreichs,
Englands, Rußlands, Oestreichs, Dänemarks zu viel zu thun zu haben, um an
Berlin zu denken. Der Polizeipräsident dagegen -- der höflichste, liebenswür¬
digste Mensch von der Welt -- sieht die Excesse seiner subalternen Beamten für
übertriebenen Diensteifer an. Das sind Fehler, die schwerer wiegen als die
größten politischen Mißgriffe nach Außen. --

In 8 Tagen soll der Prophet gegeben werden. Nicht weniger als 400
Menschen erscheinen aus der Bühne, den Souffleur nicht mitgerechnet. Großer


Sallon im Großen die kleinen auszugleichenden Widersprüche so ganz unbeachtet
läßt. Sei's Grundsatz der jetzigen Negierung, oder Unachtsamkeit den Massen
der Hauptstadt gegenüber, die Freiheit des Individuums wird aus eine höchst un¬
politische und unverantwortliche Weise angegriffen und verhöhnt. Ist mir der
zehnte Theil von den Brutalitäten wahr, welche sich untergeordnete Polizeibeamte,
den Berichten demokratischer Journale zufolge, bei Clubanflösungen zu Schulden
kommen lassen, bestätigt sich auch nur der zwanzigste Theil von all den rohen Mi߬
griffen, wie sie die Demokratie der Polizei aufbürdet, so ist es genug, Tausende
friedlicher Bürger in das Lager der Revolution zu treiben. Um die große Politik
haben sick die Massen zu keiner Zeit gekümmert. Ihre Politik ist das Gefühl.
Wo dieses verletzt wird, suchen sie sich früher oder später zu rächen. Wegen einer
russischen Drohnote wird der Berliner nie Barrikaden bauen; ob Gras Branden¬
burg oder Graf Nesselroda die Depeschen im Ministerium des Auswärtigen stylisirt,
kümmert den Handwerker wenig, weil er nichts davon versteht; ob Bonin oder
Willisen, Napoleon oder Eavaiguac! darüber liest und discutirt man allenfalls
in der Kneipe, aber man schlägt sich deswegen nicht; ja selbst näher liegende
Dinge in der großen Politik werden den Bürger nie zum offenen Aufstände trei¬
ben. Man könnte Gagern und Bodelschwingh, daneben Stahl und Gerlach im Er¬
furter Castell exerciren statt in der Augustinerkirche Paragraphe revidiren lassen,
keine Hand wird sich rühren, wenn auch die Bierglasdeckel mit etwas mehr Ge¬
räusch zugeklappt werden dürsten. Aber wenn man mein Weib angreift, weil sie
dem befreiten Waldeck zu Ehren ein paar Talgstümpfe vor's Fenster stellt, wenn
mau meinem Vetter den Hut vom Kopfe reißt, weil seine schwarzrothgoldeue Ko¬
karde zu große Dimensionen hat, wenn man meinen Vater arretirt, weil er einen
groben Constabler einen Grobian gescholten hat', wenn man mich beim Schöne-
berger Thor wegen eines lumpigen Passes enjonuirt, mich, der ich meinen Bürger¬
brief in der Tasche habe, den jedes Kind im Bezirke kennt, der ich meine Steuern
zahl' und Armeuvorstehersubstitnt bin seit 6 Jahren — Himmelkrentzdonnerschwere-
uoth! Das fahrt in den Kopf und in die Beine und in die Hände, da möcht'
man doch gleich das Pflaster aufreißen und dreinschlagen wie hunderttausend Teu¬
fel! — Die kleinen Quälereien der Polizei bringen den Berliner Bürger zur
Verzweiflung. Und das ist traurig. Es gebietet hier keine Politik und keine
Nothwendigkeit. Aber Herr v. Manteuffel scheint mit der Befriedigung Frankreichs,
Englands, Rußlands, Oestreichs, Dänemarks zu viel zu thun zu haben, um an
Berlin zu denken. Der Polizeipräsident dagegen — der höflichste, liebenswür¬
digste Mensch von der Welt — sieht die Excesse seiner subalternen Beamten für
übertriebenen Diensteifer an. Das sind Fehler, die schwerer wiegen als die
größten politischen Mißgriffe nach Außen. —

In 8 Tagen soll der Prophet gegeben werden. Nicht weniger als 400
Menschen erscheinen aus der Bühne, den Souffleur nicht mitgerechnet. Großer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0194" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185530"/>
          <p xml:id="ID_600" prev="#ID_599"> Sallon im Großen die kleinen auszugleichenden Widersprüche so ganz unbeachtet<lb/>
läßt. Sei's Grundsatz der jetzigen Negierung, oder Unachtsamkeit den Massen<lb/>
der Hauptstadt gegenüber, die Freiheit des Individuums wird aus eine höchst un¬<lb/>
politische und unverantwortliche Weise angegriffen und verhöhnt. Ist mir der<lb/>
zehnte Theil von den Brutalitäten wahr, welche sich untergeordnete Polizeibeamte,<lb/>
den Berichten demokratischer Journale zufolge, bei Clubanflösungen zu Schulden<lb/>
kommen lassen, bestätigt sich auch nur der zwanzigste Theil von all den rohen Mi߬<lb/>
griffen, wie sie die Demokratie der Polizei aufbürdet, so ist es genug, Tausende<lb/>
friedlicher Bürger in das Lager der Revolution zu treiben. Um die große Politik<lb/>
haben sick die Massen zu keiner Zeit gekümmert. Ihre Politik ist das Gefühl.<lb/>
Wo dieses verletzt wird, suchen sie sich früher oder später zu rächen. Wegen einer<lb/>
russischen Drohnote wird der Berliner nie Barrikaden bauen; ob Gras Branden¬<lb/>
burg oder Graf Nesselroda die Depeschen im Ministerium des Auswärtigen stylisirt,<lb/>
kümmert den Handwerker wenig, weil er nichts davon versteht; ob Bonin oder<lb/>
Willisen, Napoleon oder Eavaiguac! darüber liest und discutirt man allenfalls<lb/>
in der Kneipe, aber man schlägt sich deswegen nicht; ja selbst näher liegende<lb/>
Dinge in der großen Politik werden den Bürger nie zum offenen Aufstände trei¬<lb/>
ben. Man könnte Gagern und Bodelschwingh, daneben Stahl und Gerlach im Er¬<lb/>
furter Castell exerciren statt in der Augustinerkirche Paragraphe revidiren lassen,<lb/>
keine Hand wird sich rühren, wenn auch die Bierglasdeckel mit etwas mehr Ge¬<lb/>
räusch zugeklappt werden dürsten. Aber wenn man mein Weib angreift, weil sie<lb/>
dem befreiten Waldeck zu Ehren ein paar Talgstümpfe vor's Fenster stellt, wenn<lb/>
mau meinem Vetter den Hut vom Kopfe reißt, weil seine schwarzrothgoldeue Ko¬<lb/>
karde zu große Dimensionen hat, wenn man meinen Vater arretirt, weil er einen<lb/>
groben Constabler einen Grobian gescholten hat', wenn man mich beim Schöne-<lb/>
berger Thor wegen eines lumpigen Passes enjonuirt, mich, der ich meinen Bürger¬<lb/>
brief in der Tasche habe, den jedes Kind im Bezirke kennt, der ich meine Steuern<lb/>
zahl' und Armeuvorstehersubstitnt bin seit 6 Jahren &#x2014; Himmelkrentzdonnerschwere-<lb/>
uoth! Das fahrt in den Kopf und in die Beine und in die Hände, da möcht'<lb/>
man doch gleich das Pflaster aufreißen und dreinschlagen wie hunderttausend Teu¬<lb/>
fel! &#x2014; Die kleinen Quälereien der Polizei bringen den Berliner Bürger zur<lb/>
Verzweiflung. Und das ist traurig. Es gebietet hier keine Politik und keine<lb/>
Nothwendigkeit. Aber Herr v. Manteuffel scheint mit der Befriedigung Frankreichs,<lb/>
Englands, Rußlands, Oestreichs, Dänemarks zu viel zu thun zu haben, um an<lb/>
Berlin zu denken. Der Polizeipräsident dagegen &#x2014; der höflichste, liebenswür¬<lb/>
digste Mensch von der Welt &#x2014; sieht die Excesse seiner subalternen Beamten für<lb/>
übertriebenen Diensteifer an. Das sind Fehler, die schwerer wiegen als die<lb/>
größten politischen Mißgriffe nach Außen. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_601" next="#ID_602"> In 8 Tagen soll der Prophet gegeben werden. Nicht weniger als 400<lb/>
Menschen erscheinen aus der Bühne, den Souffleur nicht mitgerechnet. Großer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0194] Sallon im Großen die kleinen auszugleichenden Widersprüche so ganz unbeachtet läßt. Sei's Grundsatz der jetzigen Negierung, oder Unachtsamkeit den Massen der Hauptstadt gegenüber, die Freiheit des Individuums wird aus eine höchst un¬ politische und unverantwortliche Weise angegriffen und verhöhnt. Ist mir der zehnte Theil von den Brutalitäten wahr, welche sich untergeordnete Polizeibeamte, den Berichten demokratischer Journale zufolge, bei Clubanflösungen zu Schulden kommen lassen, bestätigt sich auch nur der zwanzigste Theil von all den rohen Mi߬ griffen, wie sie die Demokratie der Polizei aufbürdet, so ist es genug, Tausende friedlicher Bürger in das Lager der Revolution zu treiben. Um die große Politik haben sick die Massen zu keiner Zeit gekümmert. Ihre Politik ist das Gefühl. Wo dieses verletzt wird, suchen sie sich früher oder später zu rächen. Wegen einer russischen Drohnote wird der Berliner nie Barrikaden bauen; ob Gras Branden¬ burg oder Graf Nesselroda die Depeschen im Ministerium des Auswärtigen stylisirt, kümmert den Handwerker wenig, weil er nichts davon versteht; ob Bonin oder Willisen, Napoleon oder Eavaiguac! darüber liest und discutirt man allenfalls in der Kneipe, aber man schlägt sich deswegen nicht; ja selbst näher liegende Dinge in der großen Politik werden den Bürger nie zum offenen Aufstände trei¬ ben. Man könnte Gagern und Bodelschwingh, daneben Stahl und Gerlach im Er¬ furter Castell exerciren statt in der Augustinerkirche Paragraphe revidiren lassen, keine Hand wird sich rühren, wenn auch die Bierglasdeckel mit etwas mehr Ge¬ räusch zugeklappt werden dürsten. Aber wenn man mein Weib angreift, weil sie dem befreiten Waldeck zu Ehren ein paar Talgstümpfe vor's Fenster stellt, wenn mau meinem Vetter den Hut vom Kopfe reißt, weil seine schwarzrothgoldeue Ko¬ karde zu große Dimensionen hat, wenn man meinen Vater arretirt, weil er einen groben Constabler einen Grobian gescholten hat', wenn man mich beim Schöne- berger Thor wegen eines lumpigen Passes enjonuirt, mich, der ich meinen Bürger¬ brief in der Tasche habe, den jedes Kind im Bezirke kennt, der ich meine Steuern zahl' und Armeuvorstehersubstitnt bin seit 6 Jahren — Himmelkrentzdonnerschwere- uoth! Das fahrt in den Kopf und in die Beine und in die Hände, da möcht' man doch gleich das Pflaster aufreißen und dreinschlagen wie hunderttausend Teu¬ fel! — Die kleinen Quälereien der Polizei bringen den Berliner Bürger zur Verzweiflung. Und das ist traurig. Es gebietet hier keine Politik und keine Nothwendigkeit. Aber Herr v. Manteuffel scheint mit der Befriedigung Frankreichs, Englands, Rußlands, Oestreichs, Dänemarks zu viel zu thun zu haben, um an Berlin zu denken. Der Polizeipräsident dagegen — der höflichste, liebenswür¬ digste Mensch von der Welt — sieht die Excesse seiner subalternen Beamten für übertriebenen Diensteifer an. Das sind Fehler, die schwerer wiegen als die größten politischen Mißgriffe nach Außen. — In 8 Tagen soll der Prophet gegeben werden. Nicht weniger als 400 Menschen erscheinen aus der Bühne, den Souffleur nicht mitgerechnet. Großer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/194
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/194>, abgerufen am 01.07.2024.