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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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heute nur p olitisch er Gefangener, sitze seit gestern Abend, und bin übermorgen
frei. Name Lumperei! weil ich gegen den Constablerwachtmeister die Zunge heraus¬
steckte, als er unseru Bezirtövcrein auflöste. Da wurde ich gleich eingesteckt.
In der Politik freilich, da geht's scharf, aber sonst! Sie glaubten etwa gar, ich
sitze hier wegen Eigenthum? Na, da tonnen Sie die berliner Polizei auch nur
von Hörensagen!" Und mit diesem genialischer Diebe saßen noch etwa 6 Menschen
in derselben Stube, anständig gekleidete Leute in stillem Gespräch, ein Mädchen
von 18 Jahren, das die Schürze nicht von den Augen nahm, ein Junge von
10 Jahren, der meinen Philosophen anglotzte und etwas von einem großen Ehr¬
geiz in sich verspüren mochte. Wahrscheinlich lauter politische Gefangene,
welche das Decorum gegen das Constablerthnm verletzt hatten. Bedenken Sie,
daß in Berlin die Bezirlövereine oder Clubs sich wöchentlich ein bis zwei Mal ver¬
sammelten -- jetzt geschieht dasselbe im Geheimen -- daß außer dem Beamten,
welcher die Reden im Lokale überwacht, ein Dutzend vor der Thüre und ein paar
Dutzend in allernächster Nähe postirt waren, um, wie die Polizei zu sagen pflegt,
auf dein qui vivo! zu sei", bedeuten Sie, daß jeder uur im Geringsten ver¬
dächtige Fremde -- und wer ist jetzt nicht verdächtig? -- einen Constabler als
Schatten mit sich herumführt, daß in Schenken, Kneipen, Kaffees, Theatern
die Vermummter in Masse verwendet werden, daß eS endlich gewisse Jahrestage
gibt, wo Alles Polizei sein muß, uur nicht polizeiwidrig zu scheinen, so werden
Sie eS begreiflich finden, daß in dieser Zeit der "Ordnung" mehr gestohlen wird
als in der Epoche der blühendsten Anarchie. Hier haben Sie die Extreme hart
an einander gerückt. Die Furcht vor dem Kommunismus, welche in allen Mon-
archien Europas als Aushängeschild anderer Befürchtungen verwendet wird, ge¬
fährdet bereits die Sicherheit des Eigenthums mehr als die traumhaften Prin¬
cipien eines Pierre Leronr und Lagrange je vermögen werden. -- Jetzt gründet
man eine Polizeiflotille, welche die Spree befahren und gegen die Verdächtigen
der Gewässer kreutzen soll. Der berliner Witz steuert mit vollen Segeln gegen
diese lächerliche Armada los und sucht sie in deu Grund zu bohren, bevor sie
uoch die Anker gelichtet hat. Die Seeräuber der Spreegewässer, heißt es, ziehen
sich erschrocken in die entlegensten Klippen zurück, die Fische wandern aus, weil
sie ihr wwntweihtes Element nicht mit numerirten Rattenfallen theilen wolle",
die schlammige Stromnixe legt Protest ein. Andere Witzköpfe behaupten, die
Wasserconstabler werden mit Guitarrenspiel und Liedersang die User entlang
fahren, um das poetische Gesindel zu zerstreue", ihm einen Vorgeschmack der
"segensreichen" italienischen Zustände geben. Das mag alles recht humoristisch
klingen, aber das neue Corps kostet Geld, wird seinen Zweck verfehlen und
steigert die Erbitterung ohne Veranlassung.

Was immer dem Herrn von Manteuffel seiner Politik wegen für Vorwürfe
gemacht werden mögen, es wiegt keiner so schwer, als daß er über die Organi-


Gmizl'öde". II. I8Zt>.

heute nur p olitisch er Gefangener, sitze seit gestern Abend, und bin übermorgen
frei. Name Lumperei! weil ich gegen den Constablerwachtmeister die Zunge heraus¬
steckte, als er unseru Bezirtövcrein auflöste. Da wurde ich gleich eingesteckt.
In der Politik freilich, da geht's scharf, aber sonst! Sie glaubten etwa gar, ich
sitze hier wegen Eigenthum? Na, da tonnen Sie die berliner Polizei auch nur
von Hörensagen!" Und mit diesem genialischer Diebe saßen noch etwa 6 Menschen
in derselben Stube, anständig gekleidete Leute in stillem Gespräch, ein Mädchen
von 18 Jahren, das die Schürze nicht von den Augen nahm, ein Junge von
10 Jahren, der meinen Philosophen anglotzte und etwas von einem großen Ehr¬
geiz in sich verspüren mochte. Wahrscheinlich lauter politische Gefangene,
welche das Decorum gegen das Constablerthnm verletzt hatten. Bedenken Sie,
daß in Berlin die Bezirlövereine oder Clubs sich wöchentlich ein bis zwei Mal ver¬
sammelten — jetzt geschieht dasselbe im Geheimen — daß außer dem Beamten,
welcher die Reden im Lokale überwacht, ein Dutzend vor der Thüre und ein paar
Dutzend in allernächster Nähe postirt waren, um, wie die Polizei zu sagen pflegt,
auf dein qui vivo! zu sei», bedeuten Sie, daß jeder uur im Geringsten ver¬
dächtige Fremde — und wer ist jetzt nicht verdächtig? — einen Constabler als
Schatten mit sich herumführt, daß in Schenken, Kneipen, Kaffees, Theatern
die Vermummter in Masse verwendet werden, daß eS endlich gewisse Jahrestage
gibt, wo Alles Polizei sein muß, uur nicht polizeiwidrig zu scheinen, so werden
Sie eS begreiflich finden, daß in dieser Zeit der „Ordnung" mehr gestohlen wird
als in der Epoche der blühendsten Anarchie. Hier haben Sie die Extreme hart
an einander gerückt. Die Furcht vor dem Kommunismus, welche in allen Mon-
archien Europas als Aushängeschild anderer Befürchtungen verwendet wird, ge¬
fährdet bereits die Sicherheit des Eigenthums mehr als die traumhaften Prin¬
cipien eines Pierre Leronr und Lagrange je vermögen werden. — Jetzt gründet
man eine Polizeiflotille, welche die Spree befahren und gegen die Verdächtigen
der Gewässer kreutzen soll. Der berliner Witz steuert mit vollen Segeln gegen
diese lächerliche Armada los und sucht sie in deu Grund zu bohren, bevor sie
uoch die Anker gelichtet hat. Die Seeräuber der Spreegewässer, heißt es, ziehen
sich erschrocken in die entlegensten Klippen zurück, die Fische wandern aus, weil
sie ihr wwntweihtes Element nicht mit numerirten Rattenfallen theilen wolle»,
die schlammige Stromnixe legt Protest ein. Andere Witzköpfe behaupten, die
Wasserconstabler werden mit Guitarrenspiel und Liedersang die User entlang
fahren, um das poetische Gesindel zu zerstreue», ihm einen Vorgeschmack der
„segensreichen" italienischen Zustände geben. Das mag alles recht humoristisch
klingen, aber das neue Corps kostet Geld, wird seinen Zweck verfehlen und
steigert die Erbitterung ohne Veranlassung.

Was immer dem Herrn von Manteuffel seiner Politik wegen für Vorwürfe
gemacht werden mögen, es wiegt keiner so schwer, als daß er über die Organi-


Gmizl'öde». II. I8Zt>.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/193>, abgerufen am 01.10.2024.