Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der Seele leid, daß Sie einen unserer berühmtesten Männer in so schwacher Stunde
gesehen haben; nie habe ich Hrn. v. Cormenin so taktlos sprechen hören, wie
heute Abend; und es gibt Zeiten, wo er hinreißend im Gespräche ist, aber dann
muß von Dingen die Rede sein, die mit seinem specifischen Franzosenthum nichts
zu thun haben."

Ich hatte schon am folgenden Tage Gelegenheit, mich von der Wahrheit der
Worte meines Begleiters zu überzeuge" und Hru. v. Cormenin von einer vor¬
theilhafteren Seite kennen zu lernen.

Doch ich glaube, es wird Ihnen angenehmer sein, wenn ich, statt fortzufahren
in meinen Unterhaltungen mit den Pariser TageSberühmtheiten, Ihnen zum Schluß
dieses Briefes von dem ersten Besuche erzähle, welchen ich dem alten Westphalen-
tonig Jerome Napoleon im Jnvalidenhotel machte.

Wenn man den Haupteingang des riesigen Gebäudes durchschritten hat, führt
linlSab ein luftiger, geräumiger Corridor zu einer Glasthür, welche den Eingang
zu der Vorhalle eröffnet, ans welcher man über eine breite Treppe zu deu Ge¬
mächern des Gouverneurs hinaufsteigt. Im Vorzimmer forderte mir ein Lakai
meine Karte ab, mit dem Bemerken, er werde sehen, ob Monseigneur zu Hause
sei. Nach einer Minute kam er zurück und führte mich rechts ab in ein Billard¬
zimmer, wo außer dem Leibarzte Jerome's noch einige, ans Audienz wartende
Officiere sich befanden. Die Herren ließen sich gleich sehr freundlich mit mir in
ein Gespräch ein, kaum waren jedoch ein paar der gewöhnlichsten Phrasen ge¬
wechselt, als die hohen Flügelthüren sich öffneten und ein junger, eleganter Mann
mich bat, ihm zum Gouverneur zu folge".

Nach Allem, was ich früher über die Person des alten WestphalenkönigS ge¬
hört, nach den Beschreibungen, die ich über ihn gelesen, wie nach deu Bildern,
die ich in Versailles und im Louvre von ihm gesehen, erwartete ich, einen dürren,
abgelebten, kränkelnden Mann zu finden, um so mehr, da ich wußte, daß er in
der legten Zeit stark an der Choleriua gelitten hatte.

Ich war daher nicht wenig erstaunt, einen ziemlich wohlbeleibten, behäbigen
Herrn vor mir zu sehen, dessen ganze Erscheinung durchaus keine Spur von
Altersschwäche verrieth. Nur das Ange erschien mir etwas matt, während die
hohe, dnrch den haarenlblößten Vorderkopf noch verlängerte Stirn, einen impo¬
santen Eindruck machte. Er trug eine dicke, silberne Brille, wie man solche sonst
nnr auf der Nase deutscher Geheimräthe oder Professoren zu sehen gewohnt ist,
und welche in ihrer massiven Gestaltung seltsam mit der abgerundeten, eleganten
Einfachheit seiner Kleidung und Bewegungen kontrastirte.

Als ich in's Empfangzimmer getreten war, wo er, an einem Bureau sitzend,
eben einige Papiere unterschrieb, winkte er, ohne aufzustehen, mir freundlich grü¬
ßend mit der Hand entgegen, und bat mich neben ihm Platz zu nehmen.

Nachdem die gewöhnlichen EinleitnngSphrasen beseitigt waren, mußte ich ihm


der Seele leid, daß Sie einen unserer berühmtesten Männer in so schwacher Stunde
gesehen haben; nie habe ich Hrn. v. Cormenin so taktlos sprechen hören, wie
heute Abend; und es gibt Zeiten, wo er hinreißend im Gespräche ist, aber dann
muß von Dingen die Rede sein, die mit seinem specifischen Franzosenthum nichts
zu thun haben."

Ich hatte schon am folgenden Tage Gelegenheit, mich von der Wahrheit der
Worte meines Begleiters zu überzeuge» und Hru. v. Cormenin von einer vor¬
theilhafteren Seite kennen zu lernen.

Doch ich glaube, es wird Ihnen angenehmer sein, wenn ich, statt fortzufahren
in meinen Unterhaltungen mit den Pariser TageSberühmtheiten, Ihnen zum Schluß
dieses Briefes von dem ersten Besuche erzähle, welchen ich dem alten Westphalen-
tonig Jerome Napoleon im Jnvalidenhotel machte.

Wenn man den Haupteingang des riesigen Gebäudes durchschritten hat, führt
linlSab ein luftiger, geräumiger Corridor zu einer Glasthür, welche den Eingang
zu der Vorhalle eröffnet, ans welcher man über eine breite Treppe zu deu Ge¬
mächern des Gouverneurs hinaufsteigt. Im Vorzimmer forderte mir ein Lakai
meine Karte ab, mit dem Bemerken, er werde sehen, ob Monseigneur zu Hause
sei. Nach einer Minute kam er zurück und führte mich rechts ab in ein Billard¬
zimmer, wo außer dem Leibarzte Jerome's noch einige, ans Audienz wartende
Officiere sich befanden. Die Herren ließen sich gleich sehr freundlich mit mir in
ein Gespräch ein, kaum waren jedoch ein paar der gewöhnlichsten Phrasen ge¬
wechselt, als die hohen Flügelthüren sich öffneten und ein junger, eleganter Mann
mich bat, ihm zum Gouverneur zu folge».

Nach Allem, was ich früher über die Person des alten WestphalenkönigS ge¬
hört, nach den Beschreibungen, die ich über ihn gelesen, wie nach deu Bildern,
die ich in Versailles und im Louvre von ihm gesehen, erwartete ich, einen dürren,
abgelebten, kränkelnden Mann zu finden, um so mehr, da ich wußte, daß er in
der legten Zeit stark an der Choleriua gelitten hatte.

Ich war daher nicht wenig erstaunt, einen ziemlich wohlbeleibten, behäbigen
Herrn vor mir zu sehen, dessen ganze Erscheinung durchaus keine Spur von
Altersschwäche verrieth. Nur das Ange erschien mir etwas matt, während die
hohe, dnrch den haarenlblößten Vorderkopf noch verlängerte Stirn, einen impo¬
santen Eindruck machte. Er trug eine dicke, silberne Brille, wie man solche sonst
nnr auf der Nase deutscher Geheimräthe oder Professoren zu sehen gewohnt ist,
und welche in ihrer massiven Gestaltung seltsam mit der abgerundeten, eleganten
Einfachheit seiner Kleidung und Bewegungen kontrastirte.

Als ich in's Empfangzimmer getreten war, wo er, an einem Bureau sitzend,
eben einige Papiere unterschrieb, winkte er, ohne aufzustehen, mir freundlich grü¬
ßend mit der Hand entgegen, und bat mich neben ihm Platz zu nehmen.

Nachdem die gewöhnlichen EinleitnngSphrasen beseitigt waren, mußte ich ihm


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185526"/>
            <p xml:id="ID_581" prev="#ID_580"> der Seele leid, daß Sie einen unserer berühmtesten Männer in so schwacher Stunde<lb/>
gesehen haben; nie habe ich Hrn. v. Cormenin so taktlos sprechen hören, wie<lb/>
heute Abend; und es gibt Zeiten, wo er hinreißend im Gespräche ist, aber dann<lb/>
muß von Dingen die Rede sein, die mit seinem specifischen Franzosenthum nichts<lb/>
zu thun haben."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_582"> Ich hatte schon am folgenden Tage Gelegenheit, mich von der Wahrheit der<lb/>
Worte meines Begleiters zu überzeuge» und Hru. v. Cormenin von einer vor¬<lb/>
theilhafteren Seite kennen zu lernen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_583"> Doch ich glaube, es wird Ihnen angenehmer sein, wenn ich, statt fortzufahren<lb/>
in meinen Unterhaltungen mit den Pariser TageSberühmtheiten, Ihnen zum Schluß<lb/>
dieses Briefes von dem ersten Besuche erzähle, welchen ich dem alten Westphalen-<lb/>
tonig Jerome Napoleon im Jnvalidenhotel machte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_584"> Wenn man den Haupteingang des riesigen Gebäudes durchschritten hat, führt<lb/>
linlSab ein luftiger, geräumiger Corridor zu einer Glasthür, welche den Eingang<lb/>
zu der Vorhalle eröffnet, ans welcher man über eine breite Treppe zu deu Ge¬<lb/>
mächern des Gouverneurs hinaufsteigt. Im Vorzimmer forderte mir ein Lakai<lb/>
meine Karte ab, mit dem Bemerken, er werde sehen, ob Monseigneur zu Hause<lb/>
sei. Nach einer Minute kam er zurück und führte mich rechts ab in ein Billard¬<lb/>
zimmer, wo außer dem Leibarzte Jerome's noch einige, ans Audienz wartende<lb/>
Officiere sich befanden. Die Herren ließen sich gleich sehr freundlich mit mir in<lb/>
ein Gespräch ein, kaum waren jedoch ein paar der gewöhnlichsten Phrasen ge¬<lb/>
wechselt, als die hohen Flügelthüren sich öffneten und ein junger, eleganter Mann<lb/>
mich bat, ihm zum Gouverneur zu folge».</p><lb/>
            <p xml:id="ID_585"> Nach Allem, was ich früher über die Person des alten WestphalenkönigS ge¬<lb/>
hört, nach den Beschreibungen, die ich über ihn gelesen, wie nach deu Bildern,<lb/>
die ich in Versailles und im Louvre von ihm gesehen, erwartete ich, einen dürren,<lb/>
abgelebten, kränkelnden Mann zu finden, um so mehr, da ich wußte, daß er in<lb/>
der legten Zeit stark an der Choleriua gelitten hatte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_586"> Ich war daher nicht wenig erstaunt, einen ziemlich wohlbeleibten, behäbigen<lb/>
Herrn vor mir zu sehen, dessen ganze Erscheinung durchaus keine Spur von<lb/>
Altersschwäche verrieth. Nur das Ange erschien mir etwas matt, während die<lb/>
hohe, dnrch den haarenlblößten Vorderkopf noch verlängerte Stirn, einen impo¬<lb/>
santen Eindruck machte. Er trug eine dicke, silberne Brille, wie man solche sonst<lb/>
nnr auf der Nase deutscher Geheimräthe oder Professoren zu sehen gewohnt ist,<lb/>
und welche in ihrer massiven Gestaltung seltsam mit der abgerundeten, eleganten<lb/>
Einfachheit seiner Kleidung und Bewegungen kontrastirte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_587"> Als ich in's Empfangzimmer getreten war, wo er, an einem Bureau sitzend,<lb/>
eben einige Papiere unterschrieb, winkte er, ohne aufzustehen, mir freundlich grü¬<lb/>
ßend mit der Hand entgegen, und bat mich neben ihm Platz zu nehmen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_588" next="#ID_589"> Nachdem die gewöhnlichen EinleitnngSphrasen beseitigt waren, mußte ich ihm</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0190] der Seele leid, daß Sie einen unserer berühmtesten Männer in so schwacher Stunde gesehen haben; nie habe ich Hrn. v. Cormenin so taktlos sprechen hören, wie heute Abend; und es gibt Zeiten, wo er hinreißend im Gespräche ist, aber dann muß von Dingen die Rede sein, die mit seinem specifischen Franzosenthum nichts zu thun haben." Ich hatte schon am folgenden Tage Gelegenheit, mich von der Wahrheit der Worte meines Begleiters zu überzeuge» und Hru. v. Cormenin von einer vor¬ theilhafteren Seite kennen zu lernen. Doch ich glaube, es wird Ihnen angenehmer sein, wenn ich, statt fortzufahren in meinen Unterhaltungen mit den Pariser TageSberühmtheiten, Ihnen zum Schluß dieses Briefes von dem ersten Besuche erzähle, welchen ich dem alten Westphalen- tonig Jerome Napoleon im Jnvalidenhotel machte. Wenn man den Haupteingang des riesigen Gebäudes durchschritten hat, führt linlSab ein luftiger, geräumiger Corridor zu einer Glasthür, welche den Eingang zu der Vorhalle eröffnet, ans welcher man über eine breite Treppe zu deu Ge¬ mächern des Gouverneurs hinaufsteigt. Im Vorzimmer forderte mir ein Lakai meine Karte ab, mit dem Bemerken, er werde sehen, ob Monseigneur zu Hause sei. Nach einer Minute kam er zurück und führte mich rechts ab in ein Billard¬ zimmer, wo außer dem Leibarzte Jerome's noch einige, ans Audienz wartende Officiere sich befanden. Die Herren ließen sich gleich sehr freundlich mit mir in ein Gespräch ein, kaum waren jedoch ein paar der gewöhnlichsten Phrasen ge¬ wechselt, als die hohen Flügelthüren sich öffneten und ein junger, eleganter Mann mich bat, ihm zum Gouverneur zu folge». Nach Allem, was ich früher über die Person des alten WestphalenkönigS ge¬ hört, nach den Beschreibungen, die ich über ihn gelesen, wie nach deu Bildern, die ich in Versailles und im Louvre von ihm gesehen, erwartete ich, einen dürren, abgelebten, kränkelnden Mann zu finden, um so mehr, da ich wußte, daß er in der legten Zeit stark an der Choleriua gelitten hatte. Ich war daher nicht wenig erstaunt, einen ziemlich wohlbeleibten, behäbigen Herrn vor mir zu sehen, dessen ganze Erscheinung durchaus keine Spur von Altersschwäche verrieth. Nur das Ange erschien mir etwas matt, während die hohe, dnrch den haarenlblößten Vorderkopf noch verlängerte Stirn, einen impo¬ santen Eindruck machte. Er trug eine dicke, silberne Brille, wie man solche sonst nnr auf der Nase deutscher Geheimräthe oder Professoren zu sehen gewohnt ist, und welche in ihrer massiven Gestaltung seltsam mit der abgerundeten, eleganten Einfachheit seiner Kleidung und Bewegungen kontrastirte. Als ich in's Empfangzimmer getreten war, wo er, an einem Bureau sitzend, eben einige Papiere unterschrieb, winkte er, ohne aufzustehen, mir freundlich grü¬ ßend mit der Hand entgegen, und bat mich neben ihm Platz zu nehmen. Nachdem die gewöhnlichen EinleitnngSphrasen beseitigt waren, mußte ich ihm

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/190
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/190>, abgerufen am 22.07.2024.