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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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wer nicht eine besondere Neigung dazu in sich fühle. Victor Hugo, Cvcquerel
und H. v. Cormeuiu hatten mit noch einigen anderen Herren eine Gruppe ge¬
bildet und sprachen, betrübten Gesichtes, über deu traurigen Ausgang der Dinge
in Ungarn. Ich wurde mit Frage" bestürmt, gleich als ob die Herren sämmtlich
voraussetzten, ich müßte ans das Genaueste die Motive kennen, aus welcher Gvrgey
das Magyarenheer den Händen der Russen überantwortet hatte. Der Franzose
springt leicht von einem Gegenstande zum andern, und so wurde denn, nachdem
die ungarische Frage beseitigt war, über deutsche Zustände gesprochen.

Unsere Politik schien, nach der Ablehnung der Kaiserkrone in Berlin, den
Herren kaum der Rede werth zu sein; das Dreikönigsbündniß betrachteten sie
lediglich als den ersten Schritt der Rückkehr zum alten Bunde; über unsere gro-
ßen Regierungen wurden Aeußerungen gethan, welche ich keine Veranlassung fühle,
hier zu wiederhole"; alle dahin einschlagende" Aeußerungen aber zeugten von so
oberflächlicher Beurtheilung und solchem Maugel an Sachkenntnis, daß ich es
nicht unterließ, in etwas besser motivirten Angriffen ans die französischen Zustände
hinzuweisen und den Herren bemerklich zu machen, daß Deutschland durchaus keine
Ursache habe, Frankreich in" sei" gegenwärtiges Glück zu beneiden.

Victor Hugo gab dem Gespräche eine andere Wendung, indem er rühmend
hervorhob, daß kein anderes Volk in Europa sich einer so vielseitigen und alle
Klasse" durchdringenden Vi dung erfreue, wie das deutsche Volk. Eben durch unsere
staatliche Zersplitterung und durch unser scnchtbarcs Studium fremder Sprachen
seien wir zu jener kosmopolitischen Richtung gekommen, deren Ausgangspunkt das
Christenthum, und deren Ziel die Verbrüderung aller Volker der Erde sei.

Hiergegen erhob Hr. v. Cormenin lebhaften Einspruch. Sein französischer
Stolz erlaubte ihm uicht, zuzugeben, daß die Deutschen den übrigen Völkern in
Bildung voranstehen. Auch die Nothwendigkeit und der Vortheil der kosmopoli¬
tischen Richtung unseres Bildungsganges wollte ihn, nicht einleuchten. "Welches
Volk des Alterthums -- rief er -- hat uns so herrliche Denkmäler schaffender
Geistesthätigkeit hinterlassen, wie die Griechen! Und war nicht das ganze Leben
und Streben der Hellenen ein ausschließlich nationales? Gatten ihnen nicht alle
übrigen Völker als Barbaren? sind uicht eben die alten Griechen bekannt wegen
ihrer Unfähigkeit und Trägheit in der Erlernung fremder Sprachen? Wenn sich
in Frankreich gleiche Erscheinungen zeigen, so entspringen sie -- meine ich -- aus
gleichen Ursachen. Wir sind die Griechen der Neuzeit; -- unsere Sprache ist so
ausgebildet, unsere Literatur so reich, unser Geschmack so geläutert, daß jeder fremde
Einfluß uur schädlich auf uns,wirkett könnte. Wir geben Gesetze, aber wir em¬
pfange keine -- nur siud das geistreichste Volk der Welt, und unser Paris . .

Hier wurde Hr. v. Cormenin fast gewaltsam durch Hru. v. G. unterbrochen,
der mich, unter dem Vorwande, mir etwas Wichtiges mittheilen zu müssen, bei
Seite zog und sagte: "Ich konnte das nicht länger so anhören! Es thut mir in


wer nicht eine besondere Neigung dazu in sich fühle. Victor Hugo, Cvcquerel
und H. v. Cormeuiu hatten mit noch einigen anderen Herren eine Gruppe ge¬
bildet und sprachen, betrübten Gesichtes, über deu traurigen Ausgang der Dinge
in Ungarn. Ich wurde mit Frage» bestürmt, gleich als ob die Herren sämmtlich
voraussetzten, ich müßte ans das Genaueste die Motive kennen, aus welcher Gvrgey
das Magyarenheer den Händen der Russen überantwortet hatte. Der Franzose
springt leicht von einem Gegenstande zum andern, und so wurde denn, nachdem
die ungarische Frage beseitigt war, über deutsche Zustände gesprochen.

Unsere Politik schien, nach der Ablehnung der Kaiserkrone in Berlin, den
Herren kaum der Rede werth zu sein; das Dreikönigsbündniß betrachteten sie
lediglich als den ersten Schritt der Rückkehr zum alten Bunde; über unsere gro-
ßen Regierungen wurden Aeußerungen gethan, welche ich keine Veranlassung fühle,
hier zu wiederhole»; alle dahin einschlagende» Aeußerungen aber zeugten von so
oberflächlicher Beurtheilung und solchem Maugel an Sachkenntnis, daß ich es
nicht unterließ, in etwas besser motivirten Angriffen ans die französischen Zustände
hinzuweisen und den Herren bemerklich zu machen, daß Deutschland durchaus keine
Ursache habe, Frankreich in» sei» gegenwärtiges Glück zu beneiden.

Victor Hugo gab dem Gespräche eine andere Wendung, indem er rühmend
hervorhob, daß kein anderes Volk in Europa sich einer so vielseitigen und alle
Klasse» durchdringenden Vi dung erfreue, wie das deutsche Volk. Eben durch unsere
staatliche Zersplitterung und durch unser scnchtbarcs Studium fremder Sprachen
seien wir zu jener kosmopolitischen Richtung gekommen, deren Ausgangspunkt das
Christenthum, und deren Ziel die Verbrüderung aller Volker der Erde sei.

Hiergegen erhob Hr. v. Cormenin lebhaften Einspruch. Sein französischer
Stolz erlaubte ihm uicht, zuzugeben, daß die Deutschen den übrigen Völkern in
Bildung voranstehen. Auch die Nothwendigkeit und der Vortheil der kosmopoli¬
tischen Richtung unseres Bildungsganges wollte ihn, nicht einleuchten. „Welches
Volk des Alterthums — rief er — hat uns so herrliche Denkmäler schaffender
Geistesthätigkeit hinterlassen, wie die Griechen! Und war nicht das ganze Leben
und Streben der Hellenen ein ausschließlich nationales? Gatten ihnen nicht alle
übrigen Völker als Barbaren? sind uicht eben die alten Griechen bekannt wegen
ihrer Unfähigkeit und Trägheit in der Erlernung fremder Sprachen? Wenn sich
in Frankreich gleiche Erscheinungen zeigen, so entspringen sie — meine ich — aus
gleichen Ursachen. Wir sind die Griechen der Neuzeit; — unsere Sprache ist so
ausgebildet, unsere Literatur so reich, unser Geschmack so geläutert, daß jeder fremde
Einfluß uur schädlich auf uns,wirkett könnte. Wir geben Gesetze, aber wir em¬
pfange keine — nur siud das geistreichste Volk der Welt, und unser Paris . .

Hier wurde Hr. v. Cormenin fast gewaltsam durch Hru. v. G. unterbrochen,
der mich, unter dem Vorwande, mir etwas Wichtiges mittheilen zu müssen, bei
Seite zog und sagte: „Ich konnte das nicht länger so anhören! Es thut mir in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/189>, abgerufen am 22.07.2024.