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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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auflösen, sobald dieser Zweck erreicht ist; aber die eigentlichen Parteien -- die
Whigs und Tories -- beruhen nicht ans einer solchen Abstraction, und wenn
O'Council für seine Partei ein bestimmtes Stichwort gewonnen hat, so ist das
nnr äußerlich, scheinbar, nur eine Aushilfe für das Gedächtniß. Die Repeal
ist weder der Grund, noch der letzte Zweck des großen irischen Landes.

Die Gemeinsamkeit der Partei setzt nicht nnr Gleichheit in den wesentlichen
politischen Ansichten, sondern auch in den sittlichen Grundbedingungen voraus;
nicht um Gleichheit des Zieles, sondern anch Gleichheit des Ausgangs. Die
Liberalen, die unter dem Banner der Reaction gegen den gemeinsamen Feind,
die Demokratie, gekämpft haben, mußten sehr bald das Unhaltbare einer solchen
Stellung empfinden. Man kann in bestimmten Verhältnissen mit einer fremden
Partei gemeinschaftlich operiren, aber man darf nicht in sie aufgehen.

Die Parteibildung der äußersten Rechten war eine Monstrosität, über-welche
Vincke heute selbst erstaunen muß. Damals kam es ihm vor allen Dingen darauf
an, Kampfgenossen zu finden, die ebenso rücksichtslos der Revolution entgegen¬
zutreten gewillt waren, als er selber. Diejenige Partei, zu der er nach der Tota¬
lität seiner politischen Ueberzeugungen gehörte, die Partei der Centren, mißfiel
ihm wegen der Weichheit ihrer Formen. Sie machte der Revolution Zugeständ¬
nisse, freilich mehr in Worten als in Werken, .aber auch das verletzte den Eigen¬
sinn seines Nechtsprineips. Er vergaß dabei, daß er sich selber einer willkür¬
lichen Fiction schuldig machte: der Fiction, als sei in allen deutschen Staaten
das constitutionelle Princip der VolkSrepräsentation und der durch dieselbe be¬
stimmten Negierung bereits durchgeführt. In diese Fiction gingen seine neuen
Bundesgenossen, die Jesuiten und das Hofgesinde, bereitwilligst ein, um sie
nachher, wenn der Kampf gegen die deutsche Revolution entschieden sein würde,
in den einzelnen Staaten gleichfalls wegzuwerfen.

Schlimmer noch als diese blos scheinbare Uebereinstimmung in deu soge¬
nannten Principien, war der Maugel eiues jeden organischen Gedankens für die
Wiederherstellung Deutschlands in dieser Partei. Vincke meinte es ernst mit dem
einigen Deutschland und mit der nlonarchisch-constitlltioncllen For"t desselben; aber
wie die Macht entstehen sollte, welche berufen war, der Träger des neuen Deutsch¬
land zu seul, hatte er sich entweder nich/ klar gemacht, oder er wählte die zweck¬
widrigen Mittel. Der von den 17 Vertrauensmännern herrührende Entwurf einer
Reichsverfassung hat bei alle" Parteien Mißbilligung gefunden, und mit Recht,
weil er unklar war. Er constituirte ein Kaiserthum, und ignorirte dabei voll¬
ständig die saeiischen Verhältnisse: den Dualismus zwischen den beiden Gro߬
mächten. Gegen die Schwärmer, welche die Existenz zweier Großmächte im
Bundesstaat und doch das Bestehen einer gemeinschaftlichen Regierung über ihnen
für möglich hielten, hätte Vincke seinen Witz und seinen Scharfsinn zweckmäßiger
gerichtet, als gegen die in ihrer Umwendung unbestimmten und daher für den


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auflösen, sobald dieser Zweck erreicht ist; aber die eigentlichen Parteien — die
Whigs und Tories — beruhen nicht ans einer solchen Abstraction, und wenn
O'Council für seine Partei ein bestimmtes Stichwort gewonnen hat, so ist das
nnr äußerlich, scheinbar, nur eine Aushilfe für das Gedächtniß. Die Repeal
ist weder der Grund, noch der letzte Zweck des großen irischen Landes.

Die Gemeinsamkeit der Partei setzt nicht nnr Gleichheit in den wesentlichen
politischen Ansichten, sondern auch in den sittlichen Grundbedingungen voraus;
nicht um Gleichheit des Zieles, sondern anch Gleichheit des Ausgangs. Die
Liberalen, die unter dem Banner der Reaction gegen den gemeinsamen Feind,
die Demokratie, gekämpft haben, mußten sehr bald das Unhaltbare einer solchen
Stellung empfinden. Man kann in bestimmten Verhältnissen mit einer fremden
Partei gemeinschaftlich operiren, aber man darf nicht in sie aufgehen.

Die Parteibildung der äußersten Rechten war eine Monstrosität, über-welche
Vincke heute selbst erstaunen muß. Damals kam es ihm vor allen Dingen darauf
an, Kampfgenossen zu finden, die ebenso rücksichtslos der Revolution entgegen¬
zutreten gewillt waren, als er selber. Diejenige Partei, zu der er nach der Tota¬
lität seiner politischen Ueberzeugungen gehörte, die Partei der Centren, mißfiel
ihm wegen der Weichheit ihrer Formen. Sie machte der Revolution Zugeständ¬
nisse, freilich mehr in Worten als in Werken, .aber auch das verletzte den Eigen¬
sinn seines Nechtsprineips. Er vergaß dabei, daß er sich selber einer willkür¬
lichen Fiction schuldig machte: der Fiction, als sei in allen deutschen Staaten
das constitutionelle Princip der VolkSrepräsentation und der durch dieselbe be¬
stimmten Negierung bereits durchgeführt. In diese Fiction gingen seine neuen
Bundesgenossen, die Jesuiten und das Hofgesinde, bereitwilligst ein, um sie
nachher, wenn der Kampf gegen die deutsche Revolution entschieden sein würde,
in den einzelnen Staaten gleichfalls wegzuwerfen.

Schlimmer noch als diese blos scheinbare Uebereinstimmung in deu soge¬
nannten Principien, war der Maugel eiues jeden organischen Gedankens für die
Wiederherstellung Deutschlands in dieser Partei. Vincke meinte es ernst mit dem
einigen Deutschland und mit der nlonarchisch-constitlltioncllen For»t desselben; aber
wie die Macht entstehen sollte, welche berufen war, der Träger des neuen Deutsch¬
land zu seul, hatte er sich entweder nich/ klar gemacht, oder er wählte die zweck¬
widrigen Mittel. Der von den 17 Vertrauensmännern herrührende Entwurf einer
Reichsverfassung hat bei alle» Parteien Mißbilligung gefunden, und mit Recht,
weil er unklar war. Er constituirte ein Kaiserthum, und ignorirte dabei voll¬
ständig die saeiischen Verhältnisse: den Dualismus zwischen den beiden Gro߬
mächten. Gegen die Schwärmer, welche die Existenz zweier Großmächte im
Bundesstaat und doch das Bestehen einer gemeinschaftlichen Regierung über ihnen
für möglich hielten, hätte Vincke seinen Witz und seinen Scharfsinn zweckmäßiger
gerichtet, als gegen die in ihrer Umwendung unbestimmten und daher für den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/179>, abgerufen am 25.08.2024.