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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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ihn, daß er in jedem Augenblick mit einem gewissen Selbstgefühl sagen konnte:
ich habe keine officielle Stellung in Preußen, und werde auch wohl nie eine be¬
kleide". Der Patriotismus eines unabhängigen Mannes fällt schwerer in die
Wagschale, als der amtliche. Namentlich in den Debatten über den Waffen¬
stillstand von Malmoe that es Noth, daß Preußen einen Vertheidiger fand, und
er führte seine Sache mit so viel Geist als Kühnheit.

Daß übrigens das preußische Gefühl bei uns Liberalen erst recht eigentlich
heraustritt, wenn wir Preußen ans eine Weile verlassen, diese Erfahrung werden
die Meisten uuter uns gemacht haben. In Preußen selbst bleibt eS latent; man
ist mit der Opposition gegen die Verkehrtheiten des herrschenden Systems zu sehr
beschäftigt, um viel an die positiven Seiten des Staats zu denke". Den un¬
berechtigten Angriffen gegenüber, die in Sachsen, Baier" u. s. w. i" der Regel
vo" einem ziemlich kleinstädtischen Standpunkt gegen Preußen geführt werden,
kocht der ganze siebenjährige Krieg ans, der uns doch allen im Blute steckt, und
ein gewissermaßen aristokratisches Gefühl, das wie der Adelstolz sich an einen ge¬
schichtlichen Namen heftet, kommt der rationellen Ueberlegung zu Hilfe, die darum
für Preußen eintritt, weil sie seine Nothwendigkeit begreift.

Der Kampf für Preußen siel zusammen mit dem Kampf gegen die Revolution.
Ueber die Stellung, die Vincke der Revolution gegenüber einnahm, läßt sich
streiten. Wenn er sie geradezu in einen beschleunigten gesetzlichen Prozeß auf¬
löste, so war das eine Sophistik, die nicht nur einen historischen, sondern, was
schlimmer ist, auch eiuen politischen Irrthum in sich schloß. Die Restauration des
folgenden JahreS mußte ihn eines Bessern belehren. Sehr verdienstlich ist die
Energie, mit der er die Phrasen der revolutionären Partei in ihrer Hohlheit
nachwies, und mit der er die Principien des Rechts bei den Fragen über die neue
Grundlage des Staats und der Gesellschaft vertrat. Wenn man ihn auch haßte,
so gewann man doch eine gewisse Achtung vor seinem Muth und vor seiner Ueber¬
zeugung, und zuletzt hatte sich zwischen ihm und seinen entschiedene" Gegnern,
der äußersten Linken, eine Art gemüthlichen Verhältnisses herausgestellt. Der
Witz entfremdet, aber er versöhnt auch wieder.

In einem Punkt ließ sich Vincke zu einer falschen Conseguenz verleiten, die
in diesem Grade nur bei Deutschen vorkommen kann. Wie nämlich in dem Linn"-
schen System die Naturkörper nicht durch die Ausfassung ihrer Totalität, sondern
nach einem einzelnen, äußerlichen, künstlich gewählten, freilich sehr hervortretenden
Kennzeichen gesichtet und gruppirt werden, so ist man bei uns geneigt, es mit
der Gliederung der Parteien zu machen. Man bildet sie nicht nach der Gemein¬
samkeit der politischen Ansichten im Großen und Ganzen genommen, sondern nach
einem einzelnen Stichwort. Es ist das ein großer Irrthum, der uns in unserer
politischen Entwickelung sehr aufhält. In England treten freilich anch von Zeit
zu Zeit Associationen mit einem ganz bestimmten, endlichen Zweck auf, die sich


ihn, daß er in jedem Augenblick mit einem gewissen Selbstgefühl sagen konnte:
ich habe keine officielle Stellung in Preußen, und werde auch wohl nie eine be¬
kleide». Der Patriotismus eines unabhängigen Mannes fällt schwerer in die
Wagschale, als der amtliche. Namentlich in den Debatten über den Waffen¬
stillstand von Malmoe that es Noth, daß Preußen einen Vertheidiger fand, und
er führte seine Sache mit so viel Geist als Kühnheit.

Daß übrigens das preußische Gefühl bei uns Liberalen erst recht eigentlich
heraustritt, wenn wir Preußen ans eine Weile verlassen, diese Erfahrung werden
die Meisten uuter uns gemacht haben. In Preußen selbst bleibt eS latent; man
ist mit der Opposition gegen die Verkehrtheiten des herrschenden Systems zu sehr
beschäftigt, um viel an die positiven Seiten des Staats zu denke». Den un¬
berechtigten Angriffen gegenüber, die in Sachsen, Baier» u. s. w. i» der Regel
vo» einem ziemlich kleinstädtischen Standpunkt gegen Preußen geführt werden,
kocht der ganze siebenjährige Krieg ans, der uns doch allen im Blute steckt, und
ein gewissermaßen aristokratisches Gefühl, das wie der Adelstolz sich an einen ge¬
schichtlichen Namen heftet, kommt der rationellen Ueberlegung zu Hilfe, die darum
für Preußen eintritt, weil sie seine Nothwendigkeit begreift.

Der Kampf für Preußen siel zusammen mit dem Kampf gegen die Revolution.
Ueber die Stellung, die Vincke der Revolution gegenüber einnahm, läßt sich
streiten. Wenn er sie geradezu in einen beschleunigten gesetzlichen Prozeß auf¬
löste, so war das eine Sophistik, die nicht nur einen historischen, sondern, was
schlimmer ist, auch eiuen politischen Irrthum in sich schloß. Die Restauration des
folgenden JahreS mußte ihn eines Bessern belehren. Sehr verdienstlich ist die
Energie, mit der er die Phrasen der revolutionären Partei in ihrer Hohlheit
nachwies, und mit der er die Principien des Rechts bei den Fragen über die neue
Grundlage des Staats und der Gesellschaft vertrat. Wenn man ihn auch haßte,
so gewann man doch eine gewisse Achtung vor seinem Muth und vor seiner Ueber¬
zeugung, und zuletzt hatte sich zwischen ihm und seinen entschiedene» Gegnern,
der äußersten Linken, eine Art gemüthlichen Verhältnisses herausgestellt. Der
Witz entfremdet, aber er versöhnt auch wieder.

In einem Punkt ließ sich Vincke zu einer falschen Conseguenz verleiten, die
in diesem Grade nur bei Deutschen vorkommen kann. Wie nämlich in dem Linn«-
schen System die Naturkörper nicht durch die Ausfassung ihrer Totalität, sondern
nach einem einzelnen, äußerlichen, künstlich gewählten, freilich sehr hervortretenden
Kennzeichen gesichtet und gruppirt werden, so ist man bei uns geneigt, es mit
der Gliederung der Parteien zu machen. Man bildet sie nicht nach der Gemein¬
samkeit der politischen Ansichten im Großen und Ganzen genommen, sondern nach
einem einzelnen Stichwort. Es ist das ein großer Irrthum, der uns in unserer
politischen Entwickelung sehr aufhält. In England treten freilich anch von Zeit
zu Zeit Associationen mit einem ganz bestimmten, endlichen Zweck auf, die sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/178>, abgerufen am 25.08.2024.