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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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wo Preußen in glorreichem Kampfe vor allen andern deutschen Staaten das deutsche
Vaterland ans fremder Knechtschaft rettete; vergessen wir nicht, daß ein Natio-
nalstolz -- wollte Gott, er wäre mehr das Erbtheil der deutschen Nation, als
er es ist! -- in die rechte Bahn geleitet, nur dem Gesammtvaterland zum Nutzen
gereicht. Denn, wenn die Flammen, welche jetzt in der Brust so manches Preußen
für sein specifisches Preußenthum lodern, einst in das deutsche Vaterland schlagen,
-- und ich hoffe das gewiß -- dann mögen Deutschlands Feinde feststehen."
(Lauter Beifall von vielen Seiten.)

Und jetzt, nachdem er alle Gründe, die gegen eine nähere Verbindung mit
Preußen aufgeführt werde", siegreich widerlegt, jetzt ergriff der Redner plötzlich
die Offensive und warf den Gegner" die Frage in's Gesicht: "Wer wußte denn
bisher etwas Besseres vorzuschlagen?" -- "Oestreich? -- Vergebens harrte man
auf Oestreich, es blieb stumm. Baiern? Vergebens glaubte mau, Baiern werde
den Stein der Weisen gesunden haben, als einer seiner Staatsmänner sich ge¬
schäftig zwischen Wien und Berlin hin und herbewegte und sich in der Hoffnung
gefiel, der große Pacisicator Deutschlands zu werden. Baiern überschätzt seine
Kraft. Baiern wird es kaum weiter bringen, als zu einigen unreifen Vorschlägen
über Deutschlands Einigung uach bairischen Zuschnitt. Sachsen? Vergebens glaubte
man, als die Regierung mit ihrer Vorlage über die deutsche Frage an die Kam¬
mern zauderte, Sachsens Regierung gehe mit einem großartigen Plane der Ver¬
einigung Deutschlands um, habe für denselben die übrigen deutschen Staaten
bereits gewonnen und werde nun mit diesem Plane vor die erstaunten Kammern
treten und den unbescheidener Frager beschämen. Keiuecwegs! Sachsen beschränkt
sich in seiner Denkschrift auf einige magere Andeutungen über noch mit süddeutschen
Staaten zu pflegende Unterhandlungen. Was Sachsen nicht will, das lehrt uns
die Denkschrift; was Sachsen will, das ist ein Räthsel, zu schwer für einen
OedypuS. Sehen wir gleichwohl, was Sachsens Negierung wollen könnte!
Will sie vielleicht eine" Staatenbund statt eines Bund csstaates, einen
Staatenbund, ausgerüstet mit allerlei liberalen Institutionen? Aber die Zeit ist
seitdem mächtig vorgeschritten, und, was vor wenig Jahren noch befriedigt hätte,
das genügt jetzt nicht mehr. Die sibyllinischen Bücher werden mit den Jahren
theurer. Oder will sie vielleicht das gesammte Oestreich mit seinen ungarischen,
czechischen, italienischen Provinzen in den deutschen Bundesstaat ausnehmen? Aber
was ungarisch, czcchisch, italienisch ist, kann ja eben nicht deutsch sein. Oder will
sie Oestreich zwingen, seine Verfassung vom 4. März aufzugeben, um wenigstens
mit seinen deutschen Landestheilen in Deutschland aufzugehen? Aber es scheint
das eben Oestreich nicht zu wollen, vielmehr an seiner Verfassung festzuhalten.
Oder will sie endlich, die Hand in den Schooß gelegt, unthätig harren, bis sich
sämmtliche deutsche Regierungen gleichzeitig in einem und demselben Einigungs-
plane zusammenfinden? Glaubt sie, die deutsche Einheit werde, wie Pallas ans


Grcnzvote". II. 1850. - 2

wo Preußen in glorreichem Kampfe vor allen andern deutschen Staaten das deutsche
Vaterland ans fremder Knechtschaft rettete; vergessen wir nicht, daß ein Natio-
nalstolz — wollte Gott, er wäre mehr das Erbtheil der deutschen Nation, als
er es ist! — in die rechte Bahn geleitet, nur dem Gesammtvaterland zum Nutzen
gereicht. Denn, wenn die Flammen, welche jetzt in der Brust so manches Preußen
für sein specifisches Preußenthum lodern, einst in das deutsche Vaterland schlagen,
— und ich hoffe das gewiß — dann mögen Deutschlands Feinde feststehen."
(Lauter Beifall von vielen Seiten.)

Und jetzt, nachdem er alle Gründe, die gegen eine nähere Verbindung mit
Preußen aufgeführt werde», siegreich widerlegt, jetzt ergriff der Redner plötzlich
die Offensive und warf den Gegner» die Frage in's Gesicht: „Wer wußte denn
bisher etwas Besseres vorzuschlagen?" — „Oestreich? — Vergebens harrte man
auf Oestreich, es blieb stumm. Baiern? Vergebens glaubte mau, Baiern werde
den Stein der Weisen gesunden haben, als einer seiner Staatsmänner sich ge¬
schäftig zwischen Wien und Berlin hin und herbewegte und sich in der Hoffnung
gefiel, der große Pacisicator Deutschlands zu werden. Baiern überschätzt seine
Kraft. Baiern wird es kaum weiter bringen, als zu einigen unreifen Vorschlägen
über Deutschlands Einigung uach bairischen Zuschnitt. Sachsen? Vergebens glaubte
man, als die Regierung mit ihrer Vorlage über die deutsche Frage an die Kam¬
mern zauderte, Sachsens Regierung gehe mit einem großartigen Plane der Ver¬
einigung Deutschlands um, habe für denselben die übrigen deutschen Staaten
bereits gewonnen und werde nun mit diesem Plane vor die erstaunten Kammern
treten und den unbescheidener Frager beschämen. Keiuecwegs! Sachsen beschränkt
sich in seiner Denkschrift auf einige magere Andeutungen über noch mit süddeutschen
Staaten zu pflegende Unterhandlungen. Was Sachsen nicht will, das lehrt uns
die Denkschrift; was Sachsen will, das ist ein Räthsel, zu schwer für einen
OedypuS. Sehen wir gleichwohl, was Sachsens Negierung wollen könnte!
Will sie vielleicht eine» Staatenbund statt eines Bund csstaates, einen
Staatenbund, ausgerüstet mit allerlei liberalen Institutionen? Aber die Zeit ist
seitdem mächtig vorgeschritten, und, was vor wenig Jahren noch befriedigt hätte,
das genügt jetzt nicht mehr. Die sibyllinischen Bücher werden mit den Jahren
theurer. Oder will sie vielleicht das gesammte Oestreich mit seinen ungarischen,
czechischen, italienischen Provinzen in den deutschen Bundesstaat ausnehmen? Aber
was ungarisch, czcchisch, italienisch ist, kann ja eben nicht deutsch sein. Oder will
sie Oestreich zwingen, seine Verfassung vom 4. März aufzugeben, um wenigstens
mit seinen deutschen Landestheilen in Deutschland aufzugehen? Aber es scheint
das eben Oestreich nicht zu wollen, vielmehr an seiner Verfassung festzuhalten.
Oder will sie endlich, die Hand in den Schooß gelegt, unthätig harren, bis sich
sämmtliche deutsche Regierungen gleichzeitig in einem und demselben Einigungs-
plane zusammenfinden? Glaubt sie, die deutsche Einheit werde, wie Pallas ans


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/17>, abgerufen am 24.08.2024.