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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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ob nicht der moralische Eindruck eines solchen Beschlusses die Hauptsache gewesen
wäre! Genug, sechs von der Rechten trennten sich hier abermals von der Partei,
und so fiel der Antrag, nach zweimaliger zweifelhafter Abstimmung, mit 35 gegen
33 Stimmen. Die weiteren Anträge, obgleich sie auf der Voraussetzung einer
Beschickung des Reichstags und des Zustandekommens der Ver-assuug vom 26. Mai
beruhten und nur uuter dieser Voraussetzung einen Sinn halten, wurden nichts¬
destoweniger angenommen, und zwar mit immer steigenden Majoritäten. Die
Nechtövcrwahruug endlich, welche Biedermann beantragt hatte, erhielt die ein¬
stimmige Genehmigung der Kammer, ebenso der Funkhäucl'sche Antrag wegen
Aufrechthaltung der durch die Grundrechte und die Landesverfassung dem sächsischen
Volke gewährten Freiheiten.

Die zweite sächsische Kammer hat ihre Pflicht gegen das deutsche Vaterland
erfüllt; sie hat, so viel an ihr war, das unerfreuliche Resultat der erfreu Kammer
gutgemacht nud dieser Gelegenheit gegeben, nochmals auf die Frage zurückzukom¬
men und auch ihrerseits andere Beschlusse zu fassen. Die Stimmung im Laude
für den Anschluß ist unterdessen fortwährend gewachsen; sie hat neue Nahrung
erhalten durch die Reden in beiden Kammern. Mit Spannung sah man der Er¬
öffnung des Reichstags zu Erfurt entgegen; schon in der vollendeten Thatsache
seines Zusammeutrittö faud mau eine neue Gewähr für das Zustandekommen des
Werkes, gegen ein Wiederableuleu von dem betretenen Pfade. Aber noch einmal
sollten die Anstrengungen der Freunde des Bundesstaats lahm gelegt werden. Der
1. April ward zu einem zweiten 6. Januar, ja zu noch Schlimmerem. Preußen
schien sich selbst aufzugeben, schien seiner Mission als Großmacht und als Schwert
Deutschlands entsagen zu wollen. Jenes Wort des Berichterstatters ging in Er¬
füllung : "man will Preußen klein macheu, um Preußen und Deutschland an Nu߬
land zu t'alten." Mit dem Schmerze der Verzweiflung sahen die muthigsten Vor¬
kämpfer des Anschlusses ihre Hoffnungen ans das Gelingen des Werkes, in welchem
sür sie die letzte Bürgschaft einer friedlichen Neugestaltung Deutschlands liegt, aber¬
mals hinabsinken in die bodenlosen Tiefen diplomatischer Ränke, dynastischer Sou-
deriuteressen, politischen Kleinmuthes und UnbestandeS. Mau klagte in Erfurt, daß
die Gestaltungskraft des Bundesstaates gelähmt sei durch deu Abfall der beiden
Königreiche, aber, statt dnrch eine kühne nud volksthümliche Politik die Anziehungs¬
kraft des Bundesstaates frisch zu erhalten und wo möglich zu steigern, um die Ab¬
gefallenen wieder herbeizuziehen, schien man bemüht, dein Bundesstaate anch noch
die letzten Sehnen durchzuschneiden und seine Freunde gewaltsam von sich zu stoßen,
um seinen Feinden einen erwünschten Triumph zu bereiten. Noch einmal indeß
hat sich der gute Geist Deutschlands und Preußens ermannt; an dem männlichen
Widerstände der aufrichtig deulschgesiunten Mehrheit zu Erfurt hat der wankend
gewordene Muth des preußischen Cabinets sich wieder ausgerichtet; der Abfall der
Bundesglieder, der nach einmal gegebenem Zeichen der Treulosigkeit von der einen,


ob nicht der moralische Eindruck eines solchen Beschlusses die Hauptsache gewesen
wäre! Genug, sechs von der Rechten trennten sich hier abermals von der Partei,
und so fiel der Antrag, nach zweimaliger zweifelhafter Abstimmung, mit 35 gegen
33 Stimmen. Die weiteren Anträge, obgleich sie auf der Voraussetzung einer
Beschickung des Reichstags und des Zustandekommens der Ver-assuug vom 26. Mai
beruhten und nur uuter dieser Voraussetzung einen Sinn halten, wurden nichts¬
destoweniger angenommen, und zwar mit immer steigenden Majoritäten. Die
Nechtövcrwahruug endlich, welche Biedermann beantragt hatte, erhielt die ein¬
stimmige Genehmigung der Kammer, ebenso der Funkhäucl'sche Antrag wegen
Aufrechthaltung der durch die Grundrechte und die Landesverfassung dem sächsischen
Volke gewährten Freiheiten.

Die zweite sächsische Kammer hat ihre Pflicht gegen das deutsche Vaterland
erfüllt; sie hat, so viel an ihr war, das unerfreuliche Resultat der erfreu Kammer
gutgemacht nud dieser Gelegenheit gegeben, nochmals auf die Frage zurückzukom¬
men und auch ihrerseits andere Beschlusse zu fassen. Die Stimmung im Laude
für den Anschluß ist unterdessen fortwährend gewachsen; sie hat neue Nahrung
erhalten durch die Reden in beiden Kammern. Mit Spannung sah man der Er¬
öffnung des Reichstags zu Erfurt entgegen; schon in der vollendeten Thatsache
seines Zusammeutrittö faud mau eine neue Gewähr für das Zustandekommen des
Werkes, gegen ein Wiederableuleu von dem betretenen Pfade. Aber noch einmal
sollten die Anstrengungen der Freunde des Bundesstaats lahm gelegt werden. Der
1. April ward zu einem zweiten 6. Januar, ja zu noch Schlimmerem. Preußen
schien sich selbst aufzugeben, schien seiner Mission als Großmacht und als Schwert
Deutschlands entsagen zu wollen. Jenes Wort des Berichterstatters ging in Er¬
füllung : „man will Preußen klein macheu, um Preußen und Deutschland an Nu߬
land zu t'alten." Mit dem Schmerze der Verzweiflung sahen die muthigsten Vor¬
kämpfer des Anschlusses ihre Hoffnungen ans das Gelingen des Werkes, in welchem
sür sie die letzte Bürgschaft einer friedlichen Neugestaltung Deutschlands liegt, aber¬
mals hinabsinken in die bodenlosen Tiefen diplomatischer Ränke, dynastischer Sou-
deriuteressen, politischen Kleinmuthes und UnbestandeS. Mau klagte in Erfurt, daß
die Gestaltungskraft des Bundesstaates gelähmt sei durch deu Abfall der beiden
Königreiche, aber, statt dnrch eine kühne nud volksthümliche Politik die Anziehungs¬
kraft des Bundesstaates frisch zu erhalten und wo möglich zu steigern, um die Ab¬
gefallenen wieder herbeizuziehen, schien man bemüht, dein Bundesstaate anch noch
die letzten Sehnen durchzuschneiden und seine Freunde gewaltsam von sich zu stoßen,
um seinen Feinden einen erwünschten Triumph zu bereiten. Noch einmal indeß
hat sich der gute Geist Deutschlands und Preußens ermannt; an dem männlichen
Widerstände der aufrichtig deulschgesiunten Mehrheit zu Erfurt hat der wankend
gewordene Muth des preußischen Cabinets sich wieder ausgerichtet; der Abfall der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/142>, abgerufen am 22.07.2024.