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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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der ans der wirren Bewegung jenes Jahres hell cmporlenchtete, riß anch seinen
Geist von der bloßen Abwehr hinweg nach einem positiven Ziele hin -- der Ge¬
danke einer Neugestaltung Deutschlands im Sinne der Einheit und eiuer praktischen
Freiheit, im Sinne des Bundesstaates mit constitutionellen Einrichtungen und
starker einheitlicher Gewalt. Schon lange vor 1848 hatte Carlowitz in der
sächsischen Kammer dem alten Bundestage den Fehdehandschuh hingeworfen, hatte
an zeitgemäße Befriedigung wohlberechtigter nationaler Bedürfnisse gemahnt --
leider vergebens. In den drangvollen Tagen des Mai 1849 zum König berufen,
um ihn zu berathen, um selbst wieder an's Unter des Staates zu treten, soll er
(so sagt ein Gerücht, welches in manchen Andeutungen dieser neuesten Rede des
Herrn v. Carlowitz eine Bestätigung zu siudeu scheint) von dem Widerstände gegen
die Reichsverfassung abgemahnt haben, wie wenig anch Inhalt und Ursprung der¬
selben seinen Grundsätzen entsprechen mochte. Als echter Staatsmann, den Blick
fest auf das hohe Ziel gerichtet, sah er über die Unebenheiten des Weges hinweg,
und sein starker Glaube an die Nothwendigkeit und innere Kraft des nationalen
Gedankens scheute auch vor solchen Formen nicht zurück, die vou seinem Stand¬
punkte aus ihm bedenkenerregcnd erscheinen mochten. Wie sehr mußte einen solchen
Geist das kleinliche Gebahren des sächsischen Ministeriums anwidern, diese diplo¬
matische Intrigue, deren höchster Zweck und Triumph darin besteht, daß Nichts
zu Staude komme, und deren Mittel eben so zwerghaft sind wie ihr Zweck?
Wie konnte er Gefallen siudeu an dem nebelhaften Schattenspiel großdeutschcr
Illusionen, an diesen ewigen "Vorschwebuugeu", die niemals Fleisch und Bein
werden, sondern nur dazu dienen sollen, den Blick zu verwirren und von dem
Ziele einer festen Gestaltung Deutschlands abzuziehen?

Scharf und entschlossen trat Herr v. Carlowitz dieser schwankenden, trü¬
gerischen Politik des Ministeriums entgegen. "Das Warten auf Oestreich", begaun
er, "sagte ein bekannter preußischer Abgeordneter, ist der Tod der deutschen
Einheit; ich sage das Warten aus Baiern, wie die Sachen jetzt liegen, und
wie ich die deutsche Einheit verstehe, vielleicht nicht minder. In diesen wenigen
Worten liegt bereits meine Abstimmung, liegt das Bekenntniß, daß das Ministerium
in der deutschen Frage mein Vertrauen nicht besitzt." Und dann fuhr er fort:
"Noch will ich glaube", so schwer mir dies fällt, daß es dem Ministerium! mit der
deutscheu Einheit in der Form eines Bundesstaates Ernst sei, daß es mit uns
einem Zwecke zustrebe und sich nur in der Wahl der Mittel zu diesem Zwecke
vergriffen habe; aber vergriffen hat es sich darin, als es sich mit Preußen ent¬
zweite und die Idee eines demnächst zu beschickenden Reichstags verwarf, das ist
meine feste, innige Ueberzeugung." Er schilderte sodann, wie nach dem Zerfallen
der Frankfurter Versammlung und ihres Werkes Vielen, selbst vou Denen, die
anfangs nur auf jenem Wege das Heil für Deutschland gesehen, die Dreikönigs-


der ans der wirren Bewegung jenes Jahres hell cmporlenchtete, riß anch seinen
Geist von der bloßen Abwehr hinweg nach einem positiven Ziele hin — der Ge¬
danke einer Neugestaltung Deutschlands im Sinne der Einheit und eiuer praktischen
Freiheit, im Sinne des Bundesstaates mit constitutionellen Einrichtungen und
starker einheitlicher Gewalt. Schon lange vor 1848 hatte Carlowitz in der
sächsischen Kammer dem alten Bundestage den Fehdehandschuh hingeworfen, hatte
an zeitgemäße Befriedigung wohlberechtigter nationaler Bedürfnisse gemahnt —
leider vergebens. In den drangvollen Tagen des Mai 1849 zum König berufen,
um ihn zu berathen, um selbst wieder an's Unter des Staates zu treten, soll er
(so sagt ein Gerücht, welches in manchen Andeutungen dieser neuesten Rede des
Herrn v. Carlowitz eine Bestätigung zu siudeu scheint) von dem Widerstände gegen
die Reichsverfassung abgemahnt haben, wie wenig anch Inhalt und Ursprung der¬
selben seinen Grundsätzen entsprechen mochte. Als echter Staatsmann, den Blick
fest auf das hohe Ziel gerichtet, sah er über die Unebenheiten des Weges hinweg,
und sein starker Glaube an die Nothwendigkeit und innere Kraft des nationalen
Gedankens scheute auch vor solchen Formen nicht zurück, die vou seinem Stand¬
punkte aus ihm bedenkenerregcnd erscheinen mochten. Wie sehr mußte einen solchen
Geist das kleinliche Gebahren des sächsischen Ministeriums anwidern, diese diplo¬
matische Intrigue, deren höchster Zweck und Triumph darin besteht, daß Nichts
zu Staude komme, und deren Mittel eben so zwerghaft sind wie ihr Zweck?
Wie konnte er Gefallen siudeu an dem nebelhaften Schattenspiel großdeutschcr
Illusionen, an diesen ewigen „Vorschwebuugeu", die niemals Fleisch und Bein
werden, sondern nur dazu dienen sollen, den Blick zu verwirren und von dem
Ziele einer festen Gestaltung Deutschlands abzuziehen?

Scharf und entschlossen trat Herr v. Carlowitz dieser schwankenden, trü¬
gerischen Politik des Ministeriums entgegen. „Das Warten auf Oestreich", begaun
er, „sagte ein bekannter preußischer Abgeordneter, ist der Tod der deutschen
Einheit; ich sage das Warten aus Baiern, wie die Sachen jetzt liegen, und
wie ich die deutsche Einheit verstehe, vielleicht nicht minder. In diesen wenigen
Worten liegt bereits meine Abstimmung, liegt das Bekenntniß, daß das Ministerium
in der deutschen Frage mein Vertrauen nicht besitzt." Und dann fuhr er fort:
„Noch will ich glaube», so schwer mir dies fällt, daß es dem Ministerium! mit der
deutscheu Einheit in der Form eines Bundesstaates Ernst sei, daß es mit uns
einem Zwecke zustrebe und sich nur in der Wahl der Mittel zu diesem Zwecke
vergriffen habe; aber vergriffen hat es sich darin, als es sich mit Preußen ent¬
zweite und die Idee eines demnächst zu beschickenden Reichstags verwarf, das ist
meine feste, innige Ueberzeugung." Er schilderte sodann, wie nach dem Zerfallen
der Frankfurter Versammlung und ihres Werkes Vielen, selbst vou Denen, die
anfangs nur auf jenem Wege das Heil für Deutschland gesehen, die Dreikönigs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/14>, abgerufen am 24.08.2024.