Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

vor; und der patriotische Dorfwirth, der seine Kundschaft selbst in Kriegsiloth nicht
verlassen will, und der den Namen Marketender mit einem patriotisch resignirten
Lächeln hinnimmt, ist heute weniger skrupulös gegen den kriegerischen Nachtwächter,
der schon drei Blätter seines Schnldcnbnches gefüllt hat, und ruft ihm erst bei
der dritten Flasche flüsternd zu: "Aber Herr Gevatter, es wird nnn genug sein,
der Feind könnte uns überraschen." Kurz der Landsturm selbst mag ein ver¬
zweifeltes Mittel vou zweifelhaftem Nutzen sein, das Lagerleben des Land-
stürmlers bleibt immerhin eine Erscheinung, die allerlei poetischen, ernsten und
kölnischen Stoff darbietet.

Um ihre Fahnen hatten sich die einzelnen Dorfschaften gelagert, eine Zählung
ergab, daß wir einen Trupp voll 980 Mann bildeten,, dazu kamen noch 18l) Mann
reguläres Militär, zwei Compagnien vou Ccccopieri Infanterie mit drei Offizieren,
welche uns zur Unterstützung heraufgesendet waren. Snnuna, wir waren ein
stattlicher Häuf und singen an uns zu fühlen. Die Ceccvpieri waren Italiener,
der Landsturm bestand fast uur aus Slaven und Deutschen, die Magyaren, welche
in den südlichen Ortschaften der Gespannschaft wohnen, waren wegen der großer"
Entfernung noch uicht angelangt. Verschieden in Sprache und Tracht saß, stand und
lief das kriegerische Völkchen doch höchst behaglich neben einander, die Städte und
großen Dörfer hatten ihre Nationalgarten schon in der Uniform ausgesendet, und
die Mehrzahl sah merkwürdig martialisch aus. Hier saß ein Hause blauer Attilas
mit den rothen Schnüren und ihrem schwarze Czako von Wachsleinewand, daneben
eine Bande Slovaken im tyroler Spitzhut und dem dicken weißen Mantel, da¬
hinter ein Dorf deutscher Bauern mit Schlapphüten und l'kamen Tuchspenzern,
über welchen hier und da ein vorsichtiger Hausvater trotz des Sommers seinen
Lammpelz gehängt hatte; abgesondert auf der Flanke saßen die weißen Uniformen
der regulären Jnfanteristen. Beim Herkules, das Corps war kriegerisch und vielver¬
sprechend. Als neue Soldaten empfanden wir mit Entzücken unsre Würde und
unsre Pflichten gegen die Menschheit, und fühlten lebhaft die Nothwendigkeit uns
höchst militärisch zu geberden. Cin kleiner gemüthlicher Kriegsrath erschien ange¬
messen. Ans einem erhöhten Platz traten wir Würdenträger zusammen, der Major,
ein erfahrner Militär, präsidirte, die drei Offiziere von den Regularen sahen mit
Selbstgefühl auf ihre eigene Nase und mit freundschaftlicher Verachtung auf die
unsren herab. Mail nannte sich in dein Aiigeilblick des Znsammentretens mit Würde
"Herr Kamerad," doch leider schlüpfte dazwischen auch die freundliche Anrede "Ge¬
vatter" und es war nicht zu vermeiden, daß bei schwierigen Punkte", der Berathung
einer und der audere breitschultrige Bauer, oder ein kluger Schmied, oder der
einflußreiche Richter eines Dorfes in den Offiziersrath gerufen wurde, um seine
patriotische Ausicht zum Nutzen des Vaterlandes hören zu lassen, lind das Volk
sprach durch seine Tribunen im weißen Mantel seinen Willen sehr bereitwillig
aus und beharrte, wie sich erwarten ließ, sehr hartnäckig ans seinem Willen. Der


vor; und der patriotische Dorfwirth, der seine Kundschaft selbst in Kriegsiloth nicht
verlassen will, und der den Namen Marketender mit einem patriotisch resignirten
Lächeln hinnimmt, ist heute weniger skrupulös gegen den kriegerischen Nachtwächter,
der schon drei Blätter seines Schnldcnbnches gefüllt hat, und ruft ihm erst bei
der dritten Flasche flüsternd zu: „Aber Herr Gevatter, es wird nnn genug sein,
der Feind könnte uns überraschen." Kurz der Landsturm selbst mag ein ver¬
zweifeltes Mittel vou zweifelhaftem Nutzen sein, das Lagerleben des Land-
stürmlers bleibt immerhin eine Erscheinung, die allerlei poetischen, ernsten und
kölnischen Stoff darbietet.

Um ihre Fahnen hatten sich die einzelnen Dorfschaften gelagert, eine Zählung
ergab, daß wir einen Trupp voll 980 Mann bildeten,, dazu kamen noch 18l) Mann
reguläres Militär, zwei Compagnien vou Ccccopieri Infanterie mit drei Offizieren,
welche uns zur Unterstützung heraufgesendet waren. Snnuna, wir waren ein
stattlicher Häuf und singen an uns zu fühlen. Die Ceccvpieri waren Italiener,
der Landsturm bestand fast uur aus Slaven und Deutschen, die Magyaren, welche
in den südlichen Ortschaften der Gespannschaft wohnen, waren wegen der großer»
Entfernung noch uicht angelangt. Verschieden in Sprache und Tracht saß, stand und
lief das kriegerische Völkchen doch höchst behaglich neben einander, die Städte und
großen Dörfer hatten ihre Nationalgarten schon in der Uniform ausgesendet, und
die Mehrzahl sah merkwürdig martialisch aus. Hier saß ein Hause blauer Attilas
mit den rothen Schnüren und ihrem schwarze Czako von Wachsleinewand, daneben
eine Bande Slovaken im tyroler Spitzhut und dem dicken weißen Mantel, da¬
hinter ein Dorf deutscher Bauern mit Schlapphüten und l'kamen Tuchspenzern,
über welchen hier und da ein vorsichtiger Hausvater trotz des Sommers seinen
Lammpelz gehängt hatte; abgesondert auf der Flanke saßen die weißen Uniformen
der regulären Jnfanteristen. Beim Herkules, das Corps war kriegerisch und vielver¬
sprechend. Als neue Soldaten empfanden wir mit Entzücken unsre Würde und
unsre Pflichten gegen die Menschheit, und fühlten lebhaft die Nothwendigkeit uns
höchst militärisch zu geberden. Cin kleiner gemüthlicher Kriegsrath erschien ange¬
messen. Ans einem erhöhten Platz traten wir Würdenträger zusammen, der Major,
ein erfahrner Militär, präsidirte, die drei Offiziere von den Regularen sahen mit
Selbstgefühl auf ihre eigene Nase und mit freundschaftlicher Verachtung auf die
unsren herab. Mail nannte sich in dein Aiigeilblick des Znsammentretens mit Würde
„Herr Kamerad," doch leider schlüpfte dazwischen auch die freundliche Anrede „Ge¬
vatter" und es war nicht zu vermeiden, daß bei schwierigen Punkte», der Berathung
einer und der audere breitschultrige Bauer, oder ein kluger Schmied, oder der
einflußreiche Richter eines Dorfes in den Offiziersrath gerufen wurde, um seine
patriotische Ausicht zum Nutzen des Vaterlandes hören zu lassen, lind das Volk
sprach durch seine Tribunen im weißen Mantel seinen Willen sehr bereitwillig
aus und beharrte, wie sich erwarten ließ, sehr hartnäckig ans seinem Willen. Der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0120" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185456"/>
            <p xml:id="ID_326" prev="#ID_325"> vor; und der patriotische Dorfwirth, der seine Kundschaft selbst in Kriegsiloth nicht<lb/>
verlassen will, und der den Namen Marketender mit einem patriotisch resignirten<lb/>
Lächeln hinnimmt, ist heute weniger skrupulös gegen den kriegerischen Nachtwächter,<lb/>
der schon drei Blätter seines Schnldcnbnches gefüllt hat, und ruft ihm erst bei<lb/>
der dritten Flasche flüsternd zu: &#x201E;Aber Herr Gevatter, es wird nnn genug sein,<lb/>
der Feind könnte uns überraschen." Kurz der Landsturm selbst mag ein ver¬<lb/>
zweifeltes Mittel vou zweifelhaftem Nutzen sein, das Lagerleben des Land-<lb/>
stürmlers bleibt immerhin eine Erscheinung, die allerlei poetischen, ernsten und<lb/>
kölnischen Stoff darbietet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_327" next="#ID_328"> Um ihre Fahnen hatten sich die einzelnen Dorfschaften gelagert, eine Zählung<lb/>
ergab, daß wir einen Trupp voll 980 Mann bildeten,, dazu kamen noch 18l) Mann<lb/>
reguläres Militär, zwei Compagnien vou Ccccopieri Infanterie mit drei Offizieren,<lb/>
welche uns zur Unterstützung heraufgesendet waren. Snnuna, wir waren ein<lb/>
stattlicher Häuf und singen an uns zu fühlen. Die Ceccvpieri waren Italiener,<lb/>
der Landsturm bestand fast uur aus Slaven und Deutschen, die Magyaren, welche<lb/>
in den südlichen Ortschaften der Gespannschaft wohnen, waren wegen der großer»<lb/>
Entfernung noch uicht angelangt. Verschieden in Sprache und Tracht saß, stand und<lb/>
lief das kriegerische Völkchen doch höchst behaglich neben einander, die Städte und<lb/>
großen Dörfer hatten ihre Nationalgarten schon in der Uniform ausgesendet, und<lb/>
die Mehrzahl sah merkwürdig martialisch aus. Hier saß ein Hause blauer Attilas<lb/>
mit den rothen Schnüren und ihrem schwarze Czako von Wachsleinewand, daneben<lb/>
eine Bande Slovaken im tyroler Spitzhut und dem dicken weißen Mantel, da¬<lb/>
hinter ein Dorf deutscher Bauern mit Schlapphüten und l'kamen Tuchspenzern,<lb/>
über welchen hier und da ein vorsichtiger Hausvater trotz des Sommers seinen<lb/>
Lammpelz gehängt hatte; abgesondert auf der Flanke saßen die weißen Uniformen<lb/>
der regulären Jnfanteristen. Beim Herkules, das Corps war kriegerisch und vielver¬<lb/>
sprechend. Als neue Soldaten empfanden wir mit Entzücken unsre Würde und<lb/>
unsre Pflichten gegen die Menschheit, und fühlten lebhaft die Nothwendigkeit uns<lb/>
höchst militärisch zu geberden. Cin kleiner gemüthlicher Kriegsrath erschien ange¬<lb/>
messen. Ans einem erhöhten Platz traten wir Würdenträger zusammen, der Major,<lb/>
ein erfahrner Militär, präsidirte, die drei Offiziere von den Regularen sahen mit<lb/>
Selbstgefühl auf ihre eigene Nase und mit freundschaftlicher Verachtung auf die<lb/>
unsren herab. Mail nannte sich in dein Aiigeilblick des Znsammentretens mit Würde<lb/>
&#x201E;Herr Kamerad," doch leider schlüpfte dazwischen auch die freundliche Anrede &#x201E;Ge¬<lb/>
vatter" und es war nicht zu vermeiden, daß bei schwierigen Punkte», der Berathung<lb/>
einer und der audere breitschultrige Bauer, oder ein kluger Schmied, oder der<lb/>
einflußreiche Richter eines Dorfes in den Offiziersrath gerufen wurde, um seine<lb/>
patriotische Ausicht zum Nutzen des Vaterlandes hören zu lassen, lind das Volk<lb/>
sprach durch seine Tribunen im weißen Mantel seinen Willen sehr bereitwillig<lb/>
aus und beharrte, wie sich erwarten ließ, sehr hartnäckig ans seinem Willen. Der</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0120] vor; und der patriotische Dorfwirth, der seine Kundschaft selbst in Kriegsiloth nicht verlassen will, und der den Namen Marketender mit einem patriotisch resignirten Lächeln hinnimmt, ist heute weniger skrupulös gegen den kriegerischen Nachtwächter, der schon drei Blätter seines Schnldcnbnches gefüllt hat, und ruft ihm erst bei der dritten Flasche flüsternd zu: „Aber Herr Gevatter, es wird nnn genug sein, der Feind könnte uns überraschen." Kurz der Landsturm selbst mag ein ver¬ zweifeltes Mittel vou zweifelhaftem Nutzen sein, das Lagerleben des Land- stürmlers bleibt immerhin eine Erscheinung, die allerlei poetischen, ernsten und kölnischen Stoff darbietet. Um ihre Fahnen hatten sich die einzelnen Dorfschaften gelagert, eine Zählung ergab, daß wir einen Trupp voll 980 Mann bildeten,, dazu kamen noch 18l) Mann reguläres Militär, zwei Compagnien vou Ccccopieri Infanterie mit drei Offizieren, welche uns zur Unterstützung heraufgesendet waren. Snnuna, wir waren ein stattlicher Häuf und singen an uns zu fühlen. Die Ceccvpieri waren Italiener, der Landsturm bestand fast uur aus Slaven und Deutschen, die Magyaren, welche in den südlichen Ortschaften der Gespannschaft wohnen, waren wegen der großer» Entfernung noch uicht angelangt. Verschieden in Sprache und Tracht saß, stand und lief das kriegerische Völkchen doch höchst behaglich neben einander, die Städte und großen Dörfer hatten ihre Nationalgarten schon in der Uniform ausgesendet, und die Mehrzahl sah merkwürdig martialisch aus. Hier saß ein Hause blauer Attilas mit den rothen Schnüren und ihrem schwarze Czako von Wachsleinewand, daneben eine Bande Slovaken im tyroler Spitzhut und dem dicken weißen Mantel, da¬ hinter ein Dorf deutscher Bauern mit Schlapphüten und l'kamen Tuchspenzern, über welchen hier und da ein vorsichtiger Hausvater trotz des Sommers seinen Lammpelz gehängt hatte; abgesondert auf der Flanke saßen die weißen Uniformen der regulären Jnfanteristen. Beim Herkules, das Corps war kriegerisch und vielver¬ sprechend. Als neue Soldaten empfanden wir mit Entzücken unsre Würde und unsre Pflichten gegen die Menschheit, und fühlten lebhaft die Nothwendigkeit uns höchst militärisch zu geberden. Cin kleiner gemüthlicher Kriegsrath erschien ange¬ messen. Ans einem erhöhten Platz traten wir Würdenträger zusammen, der Major, ein erfahrner Militär, präsidirte, die drei Offiziere von den Regularen sahen mit Selbstgefühl auf ihre eigene Nase und mit freundschaftlicher Verachtung auf die unsren herab. Mail nannte sich in dein Aiigeilblick des Znsammentretens mit Würde „Herr Kamerad," doch leider schlüpfte dazwischen auch die freundliche Anrede „Ge¬ vatter" und es war nicht zu vermeiden, daß bei schwierigen Punkte», der Berathung einer und der audere breitschultrige Bauer, oder ein kluger Schmied, oder der einflußreiche Richter eines Dorfes in den Offiziersrath gerufen wurde, um seine patriotische Ausicht zum Nutzen des Vaterlandes hören zu lassen, lind das Volk sprach durch seine Tribunen im weißen Mantel seinen Willen sehr bereitwillig aus und beharrte, wie sich erwarten ließ, sehr hartnäckig ans seinem Willen. Der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/120
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/120>, abgerufen am 03.07.2024.