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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Wie tiefe Wurzeln die Worte Hnrbans bei diesem kräftigen, aber sehr ver¬
wahrlosten Völkchen geschlagen hatten, lind wie viel ein Mann in solcher wirren
Zeit durch Klugheit und Beherrschung seiner Umgebung für Recht und Gesetz
thun kaun, mag man aus einer an sich unbedeutenden wahren Thatsache sehen.
'

In einem kleinen Dorfe unweit Brezvva wohnte ein reicher jüdischer
Pächter, der durch seine Redlichkeit und sein gefälliges Benehmen bei Herren und
Bauern in gutem Ansehen stand. Als die Plünderungen und Nichtswürdigkeiten
der Haufen HurbauS anfingen, versammelten sich die Dorfbewohner, um sich über
das Schicksal ihres jüdischen Mitbürgers zu berathen, sie hielten einen souverainen
Vvlksrath, sprachen viel, tranken und überlegten den schwierigen Fall gründlich
und mit großer Feierlichkeit. Endlich faßten sie einen Beschluß, der allgemeinen
Beifall hatte, schickten eine Deputation zu dem Juden, um ihn von der Sentenz
in Kenntniß zu scheu, und machten sich das Vergnügen, ihre Deputation in Hel¬
lem Haufen vor das Haus des Juden zu begleiten. Der Sprecher der Deputa¬
tion hielt seine Anrede mit der höflichen Würde, welche man, außer bei den In¬
dianern, vielleicht nirgend so sehr als bei den Slaven findet. "Lieber Jsaak," sagte
der Sprecher, "Dn wirst wissen, daß jetzt Klavkilna (Freiheit) ist, und also die
Juden uach Jerusalem, die Herren zum Teufel gehen müssen. Unsere Nachbarn
haben überall die Juden gräulich ausgeplündert, ihr Hausgeräth zertrümmert, ihre
Wohnungen niedergebrannt, sie und die Ihrigen gemißhandelt; wir wollen mit
Dir keineswegs eben so verfahren, denn Dn bist ein guter Maun und kein Be¬
trüger wie Deine andern Glaubensgenossen; aber hier bleiben kannst Du uicht;
und da Du Dir Dein Vermögen bei uns erworben hast, so wirst Du billig fin¬
den, wenn wir von Dir verlangen, dasselbe hier zu lassen; hingegen kannst Dn
mit Deinem Weibe , und Deinen Kindern unangefochten und in Frieden von ban¬
nen ziehen." Man kann sich vorstellen, wie dem armen Juden zu Muthe war;
er sammelte alle seine Geisteskräfte, und lud die Bauern der Deputation ein,
Platz zu nehmen, und mit ihm zum Abschied eine Flasche Wein zu leeren. Un-
terdeß schickte er seinen Sohn heimlich zum Ortsgeistlichen, einem wackern, wahr¬
haft evangelischen Priester, und ließ ihn von seiner Lage unterrichten. Der
fromme Seelenhirt gürtete seine Lenden, dem bedrängten Mann zu Hilfe zu eilen;
da er aber überzeugt war, daß alle Vorstellungen gegen das eingefleischte Gelüst
der Judeuvertreibuug vergeblich sein würden, so nahm er zu einem Mittel
seine Zuflucht, welches seinem Verstände eben so Ehre machte wie die That sei¬
nem Herzen. Als er in der Wohnung des Juden erschien, gaben die Bauern
durch Murren und Geberden ihr Erstaunen und ihre Unzufriedenheit über diese
Störung zu erkennen; mit einem gewissen Instinkt empfanden sie, daß ihr Pfarrer
gerade der Mann sei, ihre wohlwollenden Absichten zu vereiteln. Er aber sagte mit
lächelnden Mienen: "Meine Kinder! ich bin nicht gekommen, um Euch in Eurem
Vorhaben zu verhindern, Ihr seid entschlossen, den Juden zu vertreiben -- Ja,


Wie tiefe Wurzeln die Worte Hnrbans bei diesem kräftigen, aber sehr ver¬
wahrlosten Völkchen geschlagen hatten, lind wie viel ein Mann in solcher wirren
Zeit durch Klugheit und Beherrschung seiner Umgebung für Recht und Gesetz
thun kaun, mag man aus einer an sich unbedeutenden wahren Thatsache sehen.
'

In einem kleinen Dorfe unweit Brezvva wohnte ein reicher jüdischer
Pächter, der durch seine Redlichkeit und sein gefälliges Benehmen bei Herren und
Bauern in gutem Ansehen stand. Als die Plünderungen und Nichtswürdigkeiten
der Haufen HurbauS anfingen, versammelten sich die Dorfbewohner, um sich über
das Schicksal ihres jüdischen Mitbürgers zu berathen, sie hielten einen souverainen
Vvlksrath, sprachen viel, tranken und überlegten den schwierigen Fall gründlich
und mit großer Feierlichkeit. Endlich faßten sie einen Beschluß, der allgemeinen
Beifall hatte, schickten eine Deputation zu dem Juden, um ihn von der Sentenz
in Kenntniß zu scheu, und machten sich das Vergnügen, ihre Deputation in Hel¬
lem Haufen vor das Haus des Juden zu begleiten. Der Sprecher der Deputa¬
tion hielt seine Anrede mit der höflichen Würde, welche man, außer bei den In¬
dianern, vielleicht nirgend so sehr als bei den Slaven findet. „Lieber Jsaak," sagte
der Sprecher, „Dn wirst wissen, daß jetzt Klavkilna (Freiheit) ist, und also die
Juden uach Jerusalem, die Herren zum Teufel gehen müssen. Unsere Nachbarn
haben überall die Juden gräulich ausgeplündert, ihr Hausgeräth zertrümmert, ihre
Wohnungen niedergebrannt, sie und die Ihrigen gemißhandelt; wir wollen mit
Dir keineswegs eben so verfahren, denn Dn bist ein guter Maun und kein Be¬
trüger wie Deine andern Glaubensgenossen; aber hier bleiben kannst Du uicht;
und da Du Dir Dein Vermögen bei uns erworben hast, so wirst Du billig fin¬
den, wenn wir von Dir verlangen, dasselbe hier zu lassen; hingegen kannst Dn
mit Deinem Weibe , und Deinen Kindern unangefochten und in Frieden von ban¬
nen ziehen." Man kann sich vorstellen, wie dem armen Juden zu Muthe war;
er sammelte alle seine Geisteskräfte, und lud die Bauern der Deputation ein,
Platz zu nehmen, und mit ihm zum Abschied eine Flasche Wein zu leeren. Un-
terdeß schickte er seinen Sohn heimlich zum Ortsgeistlichen, einem wackern, wahr¬
haft evangelischen Priester, und ließ ihn von seiner Lage unterrichten. Der
fromme Seelenhirt gürtete seine Lenden, dem bedrängten Mann zu Hilfe zu eilen;
da er aber überzeugt war, daß alle Vorstellungen gegen das eingefleischte Gelüst
der Judeuvertreibuug vergeblich sein würden, so nahm er zu einem Mittel
seine Zuflucht, welches seinem Verstände eben so Ehre machte wie die That sei¬
nem Herzen. Als er in der Wohnung des Juden erschien, gaben die Bauern
durch Murren und Geberden ihr Erstaunen und ihre Unzufriedenheit über diese
Störung zu erkennen; mit einem gewissen Instinkt empfanden sie, daß ihr Pfarrer
gerade der Mann sei, ihre wohlwollenden Absichten zu vereiteln. Er aber sagte mit
lächelnden Mienen: „Meine Kinder! ich bin nicht gekommen, um Euch in Eurem
Vorhaben zu verhindern, Ihr seid entschlossen, den Juden zu vertreiben — Ja,


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[0116] Wie tiefe Wurzeln die Worte Hnrbans bei diesem kräftigen, aber sehr ver¬ wahrlosten Völkchen geschlagen hatten, lind wie viel ein Mann in solcher wirren Zeit durch Klugheit und Beherrschung seiner Umgebung für Recht und Gesetz thun kaun, mag man aus einer an sich unbedeutenden wahren Thatsache sehen. ' In einem kleinen Dorfe unweit Brezvva wohnte ein reicher jüdischer Pächter, der durch seine Redlichkeit und sein gefälliges Benehmen bei Herren und Bauern in gutem Ansehen stand. Als die Plünderungen und Nichtswürdigkeiten der Haufen HurbauS anfingen, versammelten sich die Dorfbewohner, um sich über das Schicksal ihres jüdischen Mitbürgers zu berathen, sie hielten einen souverainen Vvlksrath, sprachen viel, tranken und überlegten den schwierigen Fall gründlich und mit großer Feierlichkeit. Endlich faßten sie einen Beschluß, der allgemeinen Beifall hatte, schickten eine Deputation zu dem Juden, um ihn von der Sentenz in Kenntniß zu scheu, und machten sich das Vergnügen, ihre Deputation in Hel¬ lem Haufen vor das Haus des Juden zu begleiten. Der Sprecher der Deputa¬ tion hielt seine Anrede mit der höflichen Würde, welche man, außer bei den In¬ dianern, vielleicht nirgend so sehr als bei den Slaven findet. „Lieber Jsaak," sagte der Sprecher, „Dn wirst wissen, daß jetzt Klavkilna (Freiheit) ist, und also die Juden uach Jerusalem, die Herren zum Teufel gehen müssen. Unsere Nachbarn haben überall die Juden gräulich ausgeplündert, ihr Hausgeräth zertrümmert, ihre Wohnungen niedergebrannt, sie und die Ihrigen gemißhandelt; wir wollen mit Dir keineswegs eben so verfahren, denn Dn bist ein guter Maun und kein Be¬ trüger wie Deine andern Glaubensgenossen; aber hier bleiben kannst Du uicht; und da Du Dir Dein Vermögen bei uns erworben hast, so wirst Du billig fin¬ den, wenn wir von Dir verlangen, dasselbe hier zu lassen; hingegen kannst Dn mit Deinem Weibe , und Deinen Kindern unangefochten und in Frieden von ban¬ nen ziehen." Man kann sich vorstellen, wie dem armen Juden zu Muthe war; er sammelte alle seine Geisteskräfte, und lud die Bauern der Deputation ein, Platz zu nehmen, und mit ihm zum Abschied eine Flasche Wein zu leeren. Un- terdeß schickte er seinen Sohn heimlich zum Ortsgeistlichen, einem wackern, wahr¬ haft evangelischen Priester, und ließ ihn von seiner Lage unterrichten. Der fromme Seelenhirt gürtete seine Lenden, dem bedrängten Mann zu Hilfe zu eilen; da er aber überzeugt war, daß alle Vorstellungen gegen das eingefleischte Gelüst der Judeuvertreibuug vergeblich sein würden, so nahm er zu einem Mittel seine Zuflucht, welches seinem Verstände eben so Ehre machte wie die That sei¬ nem Herzen. Als er in der Wohnung des Juden erschien, gaben die Bauern durch Murren und Geberden ihr Erstaunen und ihre Unzufriedenheit über diese Störung zu erkennen; mit einem gewissen Instinkt empfanden sie, daß ihr Pfarrer gerade der Mann sei, ihre wohlwollenden Absichten zu vereiteln. Er aber sagte mit lächelnden Mienen: „Meine Kinder! ich bin nicht gekommen, um Euch in Eurem Vorhaben zu verhindern, Ihr seid entschlossen, den Juden zu vertreiben — Ja,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/116>, abgerufen am 22.07.2024.