Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.ner, schmächtiger, sehr junger Mann, dessen blasse Züge eine regelmäßige Schön¬ Welche Leute hat dieses Haus nicht schon gesehen! Hier haben sich an der ner, schmächtiger, sehr junger Mann, dessen blasse Züge eine regelmäßige Schön¬ Welche Leute hat dieses Haus nicht schon gesehen! Hier haben sich an der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0073" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279621"/> <p xml:id="ID_235" prev="#ID_234"> ner, schmächtiger, sehr junger Mann, dessen blasse Züge eine regelmäßige Schön¬<lb/> heit besitzen, eine interessante, flexible Gestalt. Wie er nur dazu gekommen sein<lb/> mag, plötzlich Oberbefehlshaber der badischen Armee zu sein? Vielleicht weil er<lb/> Secvndclieutnant gewesen? Er wird diese Frage schwerlich selber zu beantworten<lb/> vermögen. Mieroslawski, sein College, hat sich wieder aus der Schweiz entfernt<lb/> mit seinen 33,000 Gulden badischer Besoldung. Dieser excentrische Mann hat<lb/> den Nimbus, welchen sein Prozeß und seine Verurtheilung in Berlin um sein<lb/> Haupt gewoben, gänzlich vernichtet dadurch, daß er der Commis Voyageur der<lb/> Revolution geworden ist — und — schlimmer, sich das Geschäft gut bezahlen<lb/> ließ. Er hat viele An - und Nachbeter unter den flüchtigen Helden Wiens ge¬<lb/> funden. Eine interessaute Persönlichkeit, welche uns ans Vogt's Terrasse neben den<lb/> andern entgegentritt, ist der Maler Kaufmann aus Dresden. Es wird nicht<lb/> leicht einen Menschen geben, der mit einem größeren Aufwand von Worten und<lb/> Kenntnissen und falscher Logik die nuhalrbarsteu Paradoxen eigensinnig zu ver¬<lb/> theidigen vermag. Er bildet sich etwas darauf ein, Philosoph zu sein, der selbst<lb/> in seiner Kunst Alles », priori construirt wissen will, aber er ist im Ganzen doch<lb/> nnr ein unklarer, verworrener Kopf, um dessen Talent es freilich Schade ist. Der<lb/> große Berliner Privatdocent, Herr Nan wer k, ist ebenfalls da, sucht aber vergebens<lb/> sich an Den und Jenen anzuuestel», um ihm dann drei Zeigerstunden lang irgend<lb/> einen Mischmasch von Politik und Hegelei aufzubinden. Der Buchhändler Grobe<lb/> aus Mannheim, der berühmte Verleger von Arnold Ruge's sämmtlichen Werken<lb/> (wkj. sie sind jetzt unter dem Ladenpreis zu haben), vervollständigt die bunte Muster¬<lb/> karte der anwesenden Flüchtlinge.</p><lb/> <p xml:id="ID_236" next="#ID_237"> Welche Leute hat dieses Haus nicht schon gesehen! Hier haben sich an der<lb/> echten Gastfreundschaft der Familie Vogt gefreut und erholt Alle, die nur jemals<lb/> mit dem deutschen Bundestag und seinen Freunden, mit den Fürsten und der<lb/> Camarilla in Conflict gerathen sind. Dort aus dem Balkon hat Herwegh manche<lb/> Stunde lang mir gegenüber gesessen, Cigarren geraucht und schweigend irgend<lb/> einem kühnen Reim nachgedacht, während seine Fran droben an Emil's Clavier<lb/> saß. Frvebel, welcher jetzt auf den Wogen der Atlantis schwimmt, hat hier mit<lb/> dein Berner Advokaten Stämpfli, dem Haupt der Radikalen, über das beste<lb/> System der socialistischen Staatsform gestritten; Ruge ist hier gewesen und Fried¬<lb/> rich Rohmer, der verrückte Apostel eines neuen Christenthums; vielleicht war auch<lb/> Freiligrcith da, ganz gewiß aber Hofmann v. Fallersleben mit dem Knotenstock<lb/> und den Wasserstiefeln, welche die hübschen Teppiche verdorben haben. Ochsen¬<lb/> bein und James Fazy, Druey und der Aarauer Keller haben hier mit dem alten<lb/> Zeloten Wilhelm Snell über die Vernichtung des Sonderbundes und die Vertrei¬<lb/> bung der Jesuiten berathen. Auch til minorum Zviitium von nicht unbekanntem<lb/> Namen verkehrten hier vielfach. Bogen aus Michelstadt, der Kerkergenosse Wei-<lb/> dig's, und der kleine, possirliche Wilhelm Schulz, Ruge's Todtfeind, beid? Mit-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0073]
ner, schmächtiger, sehr junger Mann, dessen blasse Züge eine regelmäßige Schön¬
heit besitzen, eine interessante, flexible Gestalt. Wie er nur dazu gekommen sein
mag, plötzlich Oberbefehlshaber der badischen Armee zu sein? Vielleicht weil er
Secvndclieutnant gewesen? Er wird diese Frage schwerlich selber zu beantworten
vermögen. Mieroslawski, sein College, hat sich wieder aus der Schweiz entfernt
mit seinen 33,000 Gulden badischer Besoldung. Dieser excentrische Mann hat
den Nimbus, welchen sein Prozeß und seine Verurtheilung in Berlin um sein
Haupt gewoben, gänzlich vernichtet dadurch, daß er der Commis Voyageur der
Revolution geworden ist — und — schlimmer, sich das Geschäft gut bezahlen
ließ. Er hat viele An - und Nachbeter unter den flüchtigen Helden Wiens ge¬
funden. Eine interessaute Persönlichkeit, welche uns ans Vogt's Terrasse neben den
andern entgegentritt, ist der Maler Kaufmann aus Dresden. Es wird nicht
leicht einen Menschen geben, der mit einem größeren Aufwand von Worten und
Kenntnissen und falscher Logik die nuhalrbarsteu Paradoxen eigensinnig zu ver¬
theidigen vermag. Er bildet sich etwas darauf ein, Philosoph zu sein, der selbst
in seiner Kunst Alles », priori construirt wissen will, aber er ist im Ganzen doch
nnr ein unklarer, verworrener Kopf, um dessen Talent es freilich Schade ist. Der
große Berliner Privatdocent, Herr Nan wer k, ist ebenfalls da, sucht aber vergebens
sich an Den und Jenen anzuuestel», um ihm dann drei Zeigerstunden lang irgend
einen Mischmasch von Politik und Hegelei aufzubinden. Der Buchhändler Grobe
aus Mannheim, der berühmte Verleger von Arnold Ruge's sämmtlichen Werken
(wkj. sie sind jetzt unter dem Ladenpreis zu haben), vervollständigt die bunte Muster¬
karte der anwesenden Flüchtlinge.
Welche Leute hat dieses Haus nicht schon gesehen! Hier haben sich an der
echten Gastfreundschaft der Familie Vogt gefreut und erholt Alle, die nur jemals
mit dem deutschen Bundestag und seinen Freunden, mit den Fürsten und der
Camarilla in Conflict gerathen sind. Dort aus dem Balkon hat Herwegh manche
Stunde lang mir gegenüber gesessen, Cigarren geraucht und schweigend irgend
einem kühnen Reim nachgedacht, während seine Fran droben an Emil's Clavier
saß. Frvebel, welcher jetzt auf den Wogen der Atlantis schwimmt, hat hier mit
dein Berner Advokaten Stämpfli, dem Haupt der Radikalen, über das beste
System der socialistischen Staatsform gestritten; Ruge ist hier gewesen und Fried¬
rich Rohmer, der verrückte Apostel eines neuen Christenthums; vielleicht war auch
Freiligrcith da, ganz gewiß aber Hofmann v. Fallersleben mit dem Knotenstock
und den Wasserstiefeln, welche die hübschen Teppiche verdorben haben. Ochsen¬
bein und James Fazy, Druey und der Aarauer Keller haben hier mit dem alten
Zeloten Wilhelm Snell über die Vernichtung des Sonderbundes und die Vertrei¬
bung der Jesuiten berathen. Auch til minorum Zviitium von nicht unbekanntem
Namen verkehrten hier vielfach. Bogen aus Michelstadt, der Kerkergenosse Wei-
dig's, und der kleine, possirliche Wilhelm Schulz, Ruge's Todtfeind, beid? Mit-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |