Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.Knebelbärten und den gewundenen Hörnchen, die ihnen gewiß nur als Wappen¬ Grü-eß Gott, Kinder! ruft sie mit Lawinenstimme und langt ein kleines Wir wollen uns jedoch keine Zeit lassen, sondern die Gunst des Augenblicks 65*
Knebelbärten und den gewundenen Hörnchen, die ihnen gewiß nur als Wappen¬ Grü-eß Gott, Kinder! ruft sie mit Lawinenstimme und langt ein kleines Wir wollen uns jedoch keine Zeit lassen, sondern die Gunst des Augenblicks 65*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0518" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280066"/> <p xml:id="ID_1784" prev="#ID_1783"> Knebelbärten und den gewundenen Hörnchen, die ihnen gewiß nur als Wappen¬<lb/> zier, nicht als Vertheidtgungswasse dienen, in Rock- oder Hosentasche zu zwän¬<lb/> gen, halb zur Liebkosung, halb um eine Brotkrume zu erbetteln. Ihre Augen<lb/> leuchten Heller und selbst ihr Möckern klingt sanfter wie das der thalgebornen<lb/> Gaise; der seine Knochenbau und die Grazie der kleinen Gestalten verräth ihre<lb/> morgana.lische Abstammung von irgend einem adligen Gemsbock des Hochgebirges.<lb/> Und wo bleibt die sauste Hirtin dieser zarten Thiere? Auf eiuen langen Pfiff<lb/> des Führers kommt sie aus einer der entfernteren Sennhütten mit großen Schritten<lb/> herangewandelt; strumpflos, in Holzpantoffeln, einen breitkrämpigen schwarzen<lb/> Strohhut aus, einen eisenbeschlagenen Stock in der Hand; die Korallen des Ro¬<lb/> senkranzes, den sie an den Gürtel gesteckt hat, könnte man für Flintenkugeln<lb/> halten und das messingene Kreuz, das se.e auf der Brust trägt, dürstet Ihr ge¬<lb/> trost auf dem Grabhügel Eures Großvaters aufpflanzen; es bliebe nicht unbe-<lb/> bemerkt. Erschreckt nicht vor der Höhe und Breite dieser viereckigen Sennerin;<lb/> es ist wahr, sie hat Matrosenarme und ihre Haut erinnert an den rothen Neckar¬<lb/> sandstein der rheinischen Dome, wenn vier Jahrhunderte ihn ehrwürdig überrußt<lb/> haben, allein das stark ausgemeißelte Antlitz sagt Euch treuherzig: Ihr werdet<lb/> in meiner Hütte den Schlaf des Gerechten schlafen und im Nothfalle trage ich<lb/> ein Dutzend solcher Herrchen in meiner Schürze den Berg heraus.</p><lb/> <p xml:id="ID_1785"> Grü-eß Gott, Kinder! ruft sie mit Lawinenstimme und langt ein kleines<lb/> Tönnchen ans der Tasche: eine ungeheure Tabaksdose, die sie galant herumreicht.<lb/> Ich will enk gleich an gnaden Schmoarrn machen, denn Ihr müßt ausg'hungert<lb/> sein. Der tiefe Kehllaut in ihrem gedehnten „J-ach" und „glei-ces" versetzt euch<lb/> nach Tyrol, nicht wahr? Aber die Natur schert sich wenig um Landkarten und<lb/> Grenzpfähle; den tyrolischen Kehllaut und andere verwandtschaftliche Zeichen hört<lb/> man auch im ganzen Gasteiner Thal, im Pintschgau, in vielen salzburgischen und<lb/> obersteirischen Bergen. Wie die Kegel Und Kogel, so sind die Volksstämme von<lb/> einem Stock. Die in Tyrol üblichen Begrüßungen sind hier schon ebenfalls all¬<lb/> gemein. Dem Arbeiter in Wald und Feld ruft man: „Thuts enk nit weh!" Der<lb/> Beruf des Jägers, Masters und Holzfällers im Gebirge ist oft halsbrecherisch<lb/> genug. Den Fußwanderer, gleichviel ob er keucht oder behaglich schlendert, grüßt<lb/> man mit der wohlwollenden Mahnung: „Lassens ihnen Zeit!" oder kurz: „Zeit<lb/> lassen!"</p><lb/> <p xml:id="ID_1786" next="#ID_1787"> Wir wollen uns jedoch keine Zeit lassen, sondern die Gunst des Augenblicks<lb/> benutzen. Bleiben wir auf einem Vorsprung der Alm stehen, so lang es die Däm¬<lb/> merung erlaubt. Eben ist d>e Sonne im Untergehen und zwischen die spitzen<lb/> Berge bei Salzburg fällt ein dichter Regen von purpurnem Sonnenstaub; mau<lb/> nennt's Alpenglühen. Weiterhin aus der schattigen bainschen Hochebene blitzt ein<lb/> goldfarbiger, nachenförmiger Streifen: der Chiemsee. Rechts in der Tiefe liegen<lb/> ein paar waldmnrauschte Thäler, wie schöne Zauberinnen, aus dem Rücken hinge-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 65*</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0518]
Knebelbärten und den gewundenen Hörnchen, die ihnen gewiß nur als Wappen¬
zier, nicht als Vertheidtgungswasse dienen, in Rock- oder Hosentasche zu zwän¬
gen, halb zur Liebkosung, halb um eine Brotkrume zu erbetteln. Ihre Augen
leuchten Heller und selbst ihr Möckern klingt sanfter wie das der thalgebornen
Gaise; der seine Knochenbau und die Grazie der kleinen Gestalten verräth ihre
morgana.lische Abstammung von irgend einem adligen Gemsbock des Hochgebirges.
Und wo bleibt die sauste Hirtin dieser zarten Thiere? Auf eiuen langen Pfiff
des Führers kommt sie aus einer der entfernteren Sennhütten mit großen Schritten
herangewandelt; strumpflos, in Holzpantoffeln, einen breitkrämpigen schwarzen
Strohhut aus, einen eisenbeschlagenen Stock in der Hand; die Korallen des Ro¬
senkranzes, den sie an den Gürtel gesteckt hat, könnte man für Flintenkugeln
halten und das messingene Kreuz, das se.e auf der Brust trägt, dürstet Ihr ge¬
trost auf dem Grabhügel Eures Großvaters aufpflanzen; es bliebe nicht unbe-
bemerkt. Erschreckt nicht vor der Höhe und Breite dieser viereckigen Sennerin;
es ist wahr, sie hat Matrosenarme und ihre Haut erinnert an den rothen Neckar¬
sandstein der rheinischen Dome, wenn vier Jahrhunderte ihn ehrwürdig überrußt
haben, allein das stark ausgemeißelte Antlitz sagt Euch treuherzig: Ihr werdet
in meiner Hütte den Schlaf des Gerechten schlafen und im Nothfalle trage ich
ein Dutzend solcher Herrchen in meiner Schürze den Berg heraus.
Grü-eß Gott, Kinder! ruft sie mit Lawinenstimme und langt ein kleines
Tönnchen ans der Tasche: eine ungeheure Tabaksdose, die sie galant herumreicht.
Ich will enk gleich an gnaden Schmoarrn machen, denn Ihr müßt ausg'hungert
sein. Der tiefe Kehllaut in ihrem gedehnten „J-ach" und „glei-ces" versetzt euch
nach Tyrol, nicht wahr? Aber die Natur schert sich wenig um Landkarten und
Grenzpfähle; den tyrolischen Kehllaut und andere verwandtschaftliche Zeichen hört
man auch im ganzen Gasteiner Thal, im Pintschgau, in vielen salzburgischen und
obersteirischen Bergen. Wie die Kegel Und Kogel, so sind die Volksstämme von
einem Stock. Die in Tyrol üblichen Begrüßungen sind hier schon ebenfalls all¬
gemein. Dem Arbeiter in Wald und Feld ruft man: „Thuts enk nit weh!" Der
Beruf des Jägers, Masters und Holzfällers im Gebirge ist oft halsbrecherisch
genug. Den Fußwanderer, gleichviel ob er keucht oder behaglich schlendert, grüßt
man mit der wohlwollenden Mahnung: „Lassens ihnen Zeit!" oder kurz: „Zeit
lassen!"
Wir wollen uns jedoch keine Zeit lassen, sondern die Gunst des Augenblicks
benutzen. Bleiben wir auf einem Vorsprung der Alm stehen, so lang es die Däm¬
merung erlaubt. Eben ist d>e Sonne im Untergehen und zwischen die spitzen
Berge bei Salzburg fällt ein dichter Regen von purpurnem Sonnenstaub; mau
nennt's Alpenglühen. Weiterhin aus der schattigen bainschen Hochebene blitzt ein
goldfarbiger, nachenförmiger Streifen: der Chiemsee. Rechts in der Tiefe liegen
ein paar waldmnrauschte Thäler, wie schöne Zauberinnen, aus dem Rücken hinge-
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