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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Sinn und stiefmütterlich; der kleinste Besitz, einmal verloren, ist schwer zurückzu¬
gewinnen. Johanna ist jetzt Wittwe des Psauenwirths in Mondsee; vor ihrer
Hausschwelle pflegt der ehemalige Bräutigam, für sechs Kreuzer und einige Mit-
tagsknödcl, den halben Vormittag Holz zu hacken. --

Von Ungarn und Italien, wo er als Soldat viele Jahre gelegen hatte,
machte unser Führer viel Rühmens. Er konnte nicht genug von der tempelartigen
Pracht der großen italienischen Städte erzählen und von den artigen Manieren
der Leute dort, die auch sanft und gut wären, wenn man sie recht zu behandeln
wisse. Der Ungar, sagte er, ist "mittheiliger" (freigebiger) und zutraulicher, wie
die Leut' hier zu Land. Nur ist er "zu viel stolz" und hält "aus seine Ehr'
mehr wie auf sein' Vortheil und das ist dumm." Der Ungar sollt' gut Freund
mit uns sein und die Unsrigen sollten "ein' friedlichen Weg finden zu 'nem Aus¬
gleich." -- Nun, sagte ich; der Rufs' und der Haynau haben ja Ruh gemacht in
Ungarn. -- A Ruh Ichor, erwiederte er; aber was nutzt mir die gezwungene
Lieb? Glauben's mir, so lang der Unger nit von Herzen Freund mit uns ist,
steht der Kaiser auf einem Bein, und das heiß ich nit feststehen.

Im ganzen Oberland sand ich dieselbe Ansicht und Gesinnung vorherrschend,
die sich in den Worten des gewesenen Soldaten aussprach; nicht von den Radi¬
kalen zu reden, welche offen den Triumph Kossuth's wünschten. Die Gutkaiser¬
lichen beobachteten hier, in Bezug aus Ungarn, einen anständigern und ritter¬
lichem Ton als die schwarzgelben Magyarensrcsser in Wien. Ungarns Selbst-
ständigkeit hätte der üppigen Residenz und dem ganzen Erzherzogthum den Brot¬
korb höher gehängt. Diese Einsicht hatte man aus dem Lande eben so gut wie
in der Kaiserstadt; die Besitzenden ersehnten deshalb die Wiederherstellung des
alten Verhältnisses der Monarchie zu der fetten Fruchtkammer an der Theiß und
DonaH, aber die Rücksicht aus ihren materiellen Vortheil machte sie nicht gemein
und wüthig. Man hörte hier kein Schimpfen und Fluchen auf die "Rebellen und
Räuber." Der Krieg wurde als eine traurige, durch das Interesse des Volkes
gebotene Nothwendigkeit angesehen, nicht als eine Execution und Rache für die
beleidigte Majestät von Gottes Gnaden. Von den Magyaren sprach man wie
von einem ebenbürtigen, ehrlichen auswärtigen Feinde, und bei der Nachricht,
daß man kriegsgefangene Offiziere und Feldherrn wie arme Sünder an den Gal¬
gen hing,, wird manche gutkaiserliche und fromme Seele im Oberland sich schau¬
dernd bekreuzt haben.

Da sind wir endlich, nach dreistündigem Steigen, aus der weiten Alm des
Schasberges. Zuerst begrüßen uns die niedlichsten Bastarde von der Welt, die
Gems-Zicklein, welche hier weiden; sie scheinen von der Menschheit eine entsetzlich
gute Meinung oder, trotz des würzigen Kräuterreichthums auf der Alpe, großen
Hunger zu haben; jeden Wanderer umHüpfen sie in den posstrlichsten Sprüngen,
lecken ihm Brosamen aus der Hand und suchen ihm die kleinen Köpse mit den


Sinn und stiefmütterlich; der kleinste Besitz, einmal verloren, ist schwer zurückzu¬
gewinnen. Johanna ist jetzt Wittwe des Psauenwirths in Mondsee; vor ihrer
Hausschwelle pflegt der ehemalige Bräutigam, für sechs Kreuzer und einige Mit-
tagsknödcl, den halben Vormittag Holz zu hacken. —

Von Ungarn und Italien, wo er als Soldat viele Jahre gelegen hatte,
machte unser Führer viel Rühmens. Er konnte nicht genug von der tempelartigen
Pracht der großen italienischen Städte erzählen und von den artigen Manieren
der Leute dort, die auch sanft und gut wären, wenn man sie recht zu behandeln
wisse. Der Ungar, sagte er, ist „mittheiliger" (freigebiger) und zutraulicher, wie
die Leut' hier zu Land. Nur ist er „zu viel stolz" und hält „aus seine Ehr'
mehr wie auf sein' Vortheil und das ist dumm." Der Ungar sollt' gut Freund
mit uns sein und die Unsrigen sollten „ein' friedlichen Weg finden zu 'nem Aus¬
gleich." — Nun, sagte ich; der Rufs' und der Haynau haben ja Ruh gemacht in
Ungarn. — A Ruh Ichor, erwiederte er; aber was nutzt mir die gezwungene
Lieb? Glauben's mir, so lang der Unger nit von Herzen Freund mit uns ist,
steht der Kaiser auf einem Bein, und das heiß ich nit feststehen.

Im ganzen Oberland sand ich dieselbe Ansicht und Gesinnung vorherrschend,
die sich in den Worten des gewesenen Soldaten aussprach; nicht von den Radi¬
kalen zu reden, welche offen den Triumph Kossuth's wünschten. Die Gutkaiser¬
lichen beobachteten hier, in Bezug aus Ungarn, einen anständigern und ritter¬
lichem Ton als die schwarzgelben Magyarensrcsser in Wien. Ungarns Selbst-
ständigkeit hätte der üppigen Residenz und dem ganzen Erzherzogthum den Brot¬
korb höher gehängt. Diese Einsicht hatte man aus dem Lande eben so gut wie
in der Kaiserstadt; die Besitzenden ersehnten deshalb die Wiederherstellung des
alten Verhältnisses der Monarchie zu der fetten Fruchtkammer an der Theiß und
DonaH, aber die Rücksicht aus ihren materiellen Vortheil machte sie nicht gemein
und wüthig. Man hörte hier kein Schimpfen und Fluchen auf die „Rebellen und
Räuber." Der Krieg wurde als eine traurige, durch das Interesse des Volkes
gebotene Nothwendigkeit angesehen, nicht als eine Execution und Rache für die
beleidigte Majestät von Gottes Gnaden. Von den Magyaren sprach man wie
von einem ebenbürtigen, ehrlichen auswärtigen Feinde, und bei der Nachricht,
daß man kriegsgefangene Offiziere und Feldherrn wie arme Sünder an den Gal¬
gen hing,, wird manche gutkaiserliche und fromme Seele im Oberland sich schau¬
dernd bekreuzt haben.

Da sind wir endlich, nach dreistündigem Steigen, aus der weiten Alm des
Schasberges. Zuerst begrüßen uns die niedlichsten Bastarde von der Welt, die
Gems-Zicklein, welche hier weiden; sie scheinen von der Menschheit eine entsetzlich
gute Meinung oder, trotz des würzigen Kräuterreichthums auf der Alpe, großen
Hunger zu haben; jeden Wanderer umHüpfen sie in den posstrlichsten Sprüngen,
lecken ihm Brosamen aus der Hand und suchen ihm die kleinen Köpse mit den


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[0517] Sinn und stiefmütterlich; der kleinste Besitz, einmal verloren, ist schwer zurückzu¬ gewinnen. Johanna ist jetzt Wittwe des Psauenwirths in Mondsee; vor ihrer Hausschwelle pflegt der ehemalige Bräutigam, für sechs Kreuzer und einige Mit- tagsknödcl, den halben Vormittag Holz zu hacken. — Von Ungarn und Italien, wo er als Soldat viele Jahre gelegen hatte, machte unser Führer viel Rühmens. Er konnte nicht genug von der tempelartigen Pracht der großen italienischen Städte erzählen und von den artigen Manieren der Leute dort, die auch sanft und gut wären, wenn man sie recht zu behandeln wisse. Der Ungar, sagte er, ist „mittheiliger" (freigebiger) und zutraulicher, wie die Leut' hier zu Land. Nur ist er „zu viel stolz" und hält „aus seine Ehr' mehr wie auf sein' Vortheil und das ist dumm." Der Ungar sollt' gut Freund mit uns sein und die Unsrigen sollten „ein' friedlichen Weg finden zu 'nem Aus¬ gleich." — Nun, sagte ich; der Rufs' und der Haynau haben ja Ruh gemacht in Ungarn. — A Ruh Ichor, erwiederte er; aber was nutzt mir die gezwungene Lieb? Glauben's mir, so lang der Unger nit von Herzen Freund mit uns ist, steht der Kaiser auf einem Bein, und das heiß ich nit feststehen. Im ganzen Oberland sand ich dieselbe Ansicht und Gesinnung vorherrschend, die sich in den Worten des gewesenen Soldaten aussprach; nicht von den Radi¬ kalen zu reden, welche offen den Triumph Kossuth's wünschten. Die Gutkaiser¬ lichen beobachteten hier, in Bezug aus Ungarn, einen anständigern und ritter¬ lichem Ton als die schwarzgelben Magyarensrcsser in Wien. Ungarns Selbst- ständigkeit hätte der üppigen Residenz und dem ganzen Erzherzogthum den Brot¬ korb höher gehängt. Diese Einsicht hatte man aus dem Lande eben so gut wie in der Kaiserstadt; die Besitzenden ersehnten deshalb die Wiederherstellung des alten Verhältnisses der Monarchie zu der fetten Fruchtkammer an der Theiß und DonaH, aber die Rücksicht aus ihren materiellen Vortheil machte sie nicht gemein und wüthig. Man hörte hier kein Schimpfen und Fluchen auf die „Rebellen und Räuber." Der Krieg wurde als eine traurige, durch das Interesse des Volkes gebotene Nothwendigkeit angesehen, nicht als eine Execution und Rache für die beleidigte Majestät von Gottes Gnaden. Von den Magyaren sprach man wie von einem ebenbürtigen, ehrlichen auswärtigen Feinde, und bei der Nachricht, daß man kriegsgefangene Offiziere und Feldherrn wie arme Sünder an den Gal¬ gen hing,, wird manche gutkaiserliche und fromme Seele im Oberland sich schau¬ dernd bekreuzt haben. Da sind wir endlich, nach dreistündigem Steigen, aus der weiten Alm des Schasberges. Zuerst begrüßen uns die niedlichsten Bastarde von der Welt, die Gems-Zicklein, welche hier weiden; sie scheinen von der Menschheit eine entsetzlich gute Meinung oder, trotz des würzigen Kräuterreichthums auf der Alpe, großen Hunger zu haben; jeden Wanderer umHüpfen sie in den posstrlichsten Sprüngen, lecken ihm Brosamen aus der Hand und suchen ihm die kleinen Köpse mit den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/517>, abgerufen am 15.01.2025.