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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Wir treten ans den Platz, wo die Großrussen ihre geräucherten Fische
und die Kleinrussen ihr gedrechseltes Holz und Schweinefleisch feil halten. Die
Buden, hübsch grün angestrichen und alle von gleicher Gestalt, sind zusammen¬
hängend in einem großen Viereck aufgestellt; auf jedem russischen Meßplatze sind
die russischen Kaufleute vereinigt und von den Uebngen gesondert. Die langbär¬
tigen braunen Kaufleute mit den langen priesterlichen Talaren und hohen schwar¬
zen Filzkappcn stehen in ihren kleinen Buden wie Berggeister in einer Felsgrotte,
glücklicherweise heben die umherliegenden Speckseiten und Guitarren die Illusion
wieder aus. Wunderlich ist die Zusammenstellung der Handelsartikel in den Bu¬
den der kleinrussischen Kaufleute. Mau findet dort auf einem und demselben
Tische Schaukelpferde, Spinnräder und Schinkenwürste; Guitarren und Speck¬
seiten, Stickrahmen und Seife, Talg, Zithern und Schachbretter. Und in einem
kleinrusstschen Handelslocale hat man alle gesehen. Der Kleinrusse beschränkt sein
Geschäft aber stets auf Hvlzdrechslerwaaren, Darmsaiteninstrumente, Talg und
gesalzene Fleischwaaren vom Schweine. Und diese Artikel findet man stets in
einem Geschäft vereinigt.

Eben so beschränken sich alle großrussischen Handelsgeschäfte ans Pelzwaaren,
Caviar und geräucherte Fische. Auch diese Artikel findet man in einem wie dem
anderen großrussischen Handelsgeschäft stets brüderlich neben einander. Der Handel
mit anderen Waaren, die edleren Fabrikate natürlich ausgenommen, befindet sich
in den Händen der Juden.

Kaum begreift man, wie die groß- und kleinrusstschen Kaufleute als Kauf¬
leute bestehen können, da sie nur in seltener Ausnahme etwas vom Lesen und
Schreiben verstehe". Manchmal muß das Gericht aushelfen, wenn ein Wechsel
auszustellen oder ein Kontrakt zu machen ist. Das erste kommt aber sehr selten
vor, denn der echt russische Kaufmann ist größtentheils selbst Producent oder seine
producirenden Geschäftsfreunde sind Leute gleichen Kalibers, Bauern, Pächter,
Fischer, Kleinbürger, welche eben so wenig zu schreiben und zu lesen verstehen als
er. Den Mangel an Rechenkunst und Kenntniß der Ziffern ersetzen sie durch
Rechenmaschinen. Diese bestehen in einer Menge von Kngeln verschiedener Größe
und Farbe, welche, klassenweise, und zwar nach dem Decimalsystem an Drähte ge-
reihet, und über ein mit mehrern Merkmalen versehenes Brett ausgespannt sind.
Die Länge der Drähte bietet soviel Raum, daß die Kugeln auf die rechte und
linke Seite geschoben und.durch sie Additions - und Subtractivnsrechnungen aus¬
geführt werdeu können. Diese seltsamen Rechenappnrate fehlen in keinem Ge-
schäftslocale eines Bartrnfsen und bezeugen, wie unnöthig Schulbildung ist, um
in der Welt zu gedeihen. Und doch sind mir, dem Fremdling, diese einfachen,
halbwilden Krämer lieber, als jene seinen Buden mit ausgesuchten Luxusartikeln,
welche den Edelmann so unwiderstehlich anlocken. Dem? meine wunderlichen
Caviar- und Pelzrussen repräsentiren die gesunden, ans das Boll gestellten Theile


Wir treten ans den Platz, wo die Großrussen ihre geräucherten Fische
und die Kleinrussen ihr gedrechseltes Holz und Schweinefleisch feil halten. Die
Buden, hübsch grün angestrichen und alle von gleicher Gestalt, sind zusammen¬
hängend in einem großen Viereck aufgestellt; auf jedem russischen Meßplatze sind
die russischen Kaufleute vereinigt und von den Uebngen gesondert. Die langbär¬
tigen braunen Kaufleute mit den langen priesterlichen Talaren und hohen schwar¬
zen Filzkappcn stehen in ihren kleinen Buden wie Berggeister in einer Felsgrotte,
glücklicherweise heben die umherliegenden Speckseiten und Guitarren die Illusion
wieder aus. Wunderlich ist die Zusammenstellung der Handelsartikel in den Bu¬
den der kleinrussischen Kaufleute. Mau findet dort auf einem und demselben
Tische Schaukelpferde, Spinnräder und Schinkenwürste; Guitarren und Speck¬
seiten, Stickrahmen und Seife, Talg, Zithern und Schachbretter. Und in einem
kleinrusstschen Handelslocale hat man alle gesehen. Der Kleinrusse beschränkt sein
Geschäft aber stets auf Hvlzdrechslerwaaren, Darmsaiteninstrumente, Talg und
gesalzene Fleischwaaren vom Schweine. Und diese Artikel findet man stets in
einem Geschäft vereinigt.

Eben so beschränken sich alle großrussischen Handelsgeschäfte ans Pelzwaaren,
Caviar und geräucherte Fische. Auch diese Artikel findet man in einem wie dem
anderen großrussischen Handelsgeschäft stets brüderlich neben einander. Der Handel
mit anderen Waaren, die edleren Fabrikate natürlich ausgenommen, befindet sich
in den Händen der Juden.

Kaum begreift man, wie die groß- und kleinrusstschen Kaufleute als Kauf¬
leute bestehen können, da sie nur in seltener Ausnahme etwas vom Lesen und
Schreiben verstehe». Manchmal muß das Gericht aushelfen, wenn ein Wechsel
auszustellen oder ein Kontrakt zu machen ist. Das erste kommt aber sehr selten
vor, denn der echt russische Kaufmann ist größtentheils selbst Producent oder seine
producirenden Geschäftsfreunde sind Leute gleichen Kalibers, Bauern, Pächter,
Fischer, Kleinbürger, welche eben so wenig zu schreiben und zu lesen verstehen als
er. Den Mangel an Rechenkunst und Kenntniß der Ziffern ersetzen sie durch
Rechenmaschinen. Diese bestehen in einer Menge von Kngeln verschiedener Größe
und Farbe, welche, klassenweise, und zwar nach dem Decimalsystem an Drähte ge-
reihet, und über ein mit mehrern Merkmalen versehenes Brett ausgespannt sind.
Die Länge der Drähte bietet soviel Raum, daß die Kugeln auf die rechte und
linke Seite geschoben und.durch sie Additions - und Subtractivnsrechnungen aus¬
geführt werdeu können. Diese seltsamen Rechenappnrate fehlen in keinem Ge-
schäftslocale eines Bartrnfsen und bezeugen, wie unnöthig Schulbildung ist, um
in der Welt zu gedeihen. Und doch sind mir, dem Fremdling, diese einfachen,
halbwilden Krämer lieber, als jene seinen Buden mit ausgesuchten Luxusartikeln,
welche den Edelmann so unwiderstehlich anlocken. Dem? meine wunderlichen
Caviar- und Pelzrussen repräsentiren die gesunden, ans das Boll gestellten Theile


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[0505] Wir treten ans den Platz, wo die Großrussen ihre geräucherten Fische und die Kleinrussen ihr gedrechseltes Holz und Schweinefleisch feil halten. Die Buden, hübsch grün angestrichen und alle von gleicher Gestalt, sind zusammen¬ hängend in einem großen Viereck aufgestellt; auf jedem russischen Meßplatze sind die russischen Kaufleute vereinigt und von den Uebngen gesondert. Die langbär¬ tigen braunen Kaufleute mit den langen priesterlichen Talaren und hohen schwar¬ zen Filzkappcn stehen in ihren kleinen Buden wie Berggeister in einer Felsgrotte, glücklicherweise heben die umherliegenden Speckseiten und Guitarren die Illusion wieder aus. Wunderlich ist die Zusammenstellung der Handelsartikel in den Bu¬ den der kleinrussischen Kaufleute. Mau findet dort auf einem und demselben Tische Schaukelpferde, Spinnräder und Schinkenwürste; Guitarren und Speck¬ seiten, Stickrahmen und Seife, Talg, Zithern und Schachbretter. Und in einem kleinrusstschen Handelslocale hat man alle gesehen. Der Kleinrusse beschränkt sein Geschäft aber stets auf Hvlzdrechslerwaaren, Darmsaiteninstrumente, Talg und gesalzene Fleischwaaren vom Schweine. Und diese Artikel findet man stets in einem Geschäft vereinigt. Eben so beschränken sich alle großrussischen Handelsgeschäfte ans Pelzwaaren, Caviar und geräucherte Fische. Auch diese Artikel findet man in einem wie dem anderen großrussischen Handelsgeschäft stets brüderlich neben einander. Der Handel mit anderen Waaren, die edleren Fabrikate natürlich ausgenommen, befindet sich in den Händen der Juden. Kaum begreift man, wie die groß- und kleinrusstschen Kaufleute als Kauf¬ leute bestehen können, da sie nur in seltener Ausnahme etwas vom Lesen und Schreiben verstehe». Manchmal muß das Gericht aushelfen, wenn ein Wechsel auszustellen oder ein Kontrakt zu machen ist. Das erste kommt aber sehr selten vor, denn der echt russische Kaufmann ist größtentheils selbst Producent oder seine producirenden Geschäftsfreunde sind Leute gleichen Kalibers, Bauern, Pächter, Fischer, Kleinbürger, welche eben so wenig zu schreiben und zu lesen verstehen als er. Den Mangel an Rechenkunst und Kenntniß der Ziffern ersetzen sie durch Rechenmaschinen. Diese bestehen in einer Menge von Kngeln verschiedener Größe und Farbe, welche, klassenweise, und zwar nach dem Decimalsystem an Drähte ge- reihet, und über ein mit mehrern Merkmalen versehenes Brett ausgespannt sind. Die Länge der Drähte bietet soviel Raum, daß die Kugeln auf die rechte und linke Seite geschoben und.durch sie Additions - und Subtractivnsrechnungen aus¬ geführt werdeu können. Diese seltsamen Rechenappnrate fehlen in keinem Ge- schäftslocale eines Bartrnfsen und bezeugen, wie unnöthig Schulbildung ist, um in der Welt zu gedeihen. Und doch sind mir, dem Fremdling, diese einfachen, halbwilden Krämer lieber, als jene seinen Buden mit ausgesuchten Luxusartikeln, welche den Edelmann so unwiderstehlich anlocken. Dem? meine wunderlichen Caviar- und Pelzrussen repräsentiren die gesunden, ans das Boll gestellten Theile

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/505>, abgerufen am 15.01.2025.