Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.Wo eine wirkliche Kenntniß vorhanden ist, wird die Schilderung, wenn auch Die Veranlassung zu diesem närrischen Gedicht war eine Rheinfahrt (1841), Auch diesmal ist die Hauptrolle des Stücks dem Stein gegeben. Der Wech¬ Wo eine wirkliche Kenntniß vorhanden ist, wird die Schilderung, wenn auch Die Veranlassung zu diesem närrischen Gedicht war eine Rheinfahrt (1841), Auch diesmal ist die Hauptrolle des Stücks dem Stein gegeben. Der Wech¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0501" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280049"/> <p xml:id="ID_1729"> Wo eine wirkliche Kenntniß vorhanden ist, wird die Schilderung, wenn auch<lb/> nicht künstlerisch vollendet, doch immer von lebhaftem Interesse sein. Victor Hugo ist<lb/> zwar mit der eigentlichen Geschichte der Renaissance nicht sehr vertraut, aber in<lb/> den Antiquitäten ist er zu Hause. Betrachten wir die historischen Personen in<lb/> Notre-Dame als Basreliefs auf den architectonischen Denkmälern der Vorzeit, so<lb/> haben sie ihre Berechtigung. Anders wird die Sache, wenn der Dichter eine Ver¬<lb/> gangenheit symbolisch wieder aufrichten will, von der er nichts versteht. So ist<lb/> es ihm in dem Burggrafen (1812) gegangen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1730"> Die Veranlassung zu diesem närrischen Gedicht war eine Rheinfahrt (1841),<lb/> in welcher unser Dichter die alten Ruinen weniger durchforschte als durchträumte.<lb/> Er brach sich durch das Dickicht der Schlingpflanzen Bahn zu den zertrümmerten<lb/> Mauern, setzte sich daun einsam auf einen Vorsprung, ließ sich von den Vögeln<lb/> ansingen, betrachtete den Aufgang der Sonne, und suchte eine alte, vom Moos<lb/> bedeckte Inschrift zu entziffern, oder nahm das Maß eines Schwibbogens, wäh¬<lb/> rend ihm der Wind Blätter und Blüthen auf den Kopf wehte. Abends im Mond¬<lb/> schein, wenn die Dämmerung den Bergen jene phantastischen Formen und dem<lb/> Fluß jenes unheimliche Stahlgrau verlieh, in welchem sich Gespenster und Ko¬<lb/> bolde so gern umhertreiben, kletterte er, in seinen Mantel gehüllt, über deu Schie¬<lb/> fer uach irgend einem Raubschloß. Kein Geishirt hätte es gewagt, ihn an diesen<lb/> Schreckensort zu begleite». Er sog die sanfte Melancholie des Abends in sich ein,<lb/> und blickte nach den Sternen am Himmel und den Lichtern an dem Fuß des Berges,<lb/> bis die Mitteruachtstnude von allen Kirchthürmen schlug, und er, unter Fleder¬<lb/> mäusen die einzige fühlende Brust, mit widerhallendem Schritt bis in die Keller<lb/> hinabstieg. In solcher Stimmung kam ihm die Eingebung, den Geist dieser alten<lb/> Burgen in einer Trilogie zu fixiren. Der Rhein kam ihm vor, wie Thessalien<lb/> zu den Zeiten des Aeschylus, wo die Titanen gegen den Götterkönig sich em¬<lb/> pörten. Er fand in den „Burgraves" ein ebenso riesiges, ebenso ruchloses Ge¬<lb/> schlecht von Halbgöttern, als jene Brüder des Prometheus es waren. Als Zeus<lb/> wurde dann der alte Barbarossa aus dem Kyffhäuser heraufbeschworen. Die Sage<lb/> aber naiv zu nehmen, dazu hat der Franzose nicht den Muth; es muß alles prag¬<lb/> matisch erörtert werde», auch der Kyffhäuser. Zum Ueberfluß wird noch Geschichte<lb/> vorgetragen, bei welcher Gelegenheit wir unter andern unerhörten Dingen er¬<lb/> fahren, daß Berlin soeben von den Vandalen (im Jahre 1200!), Danzig von den<lb/> Heiden erobert ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1731" next="#ID_1732"> Auch diesmal ist die Hauptrolle des Stücks dem Stein gegeben. Der Wech¬<lb/> sel der Scene dient dazu, uns die verschiedenen Theile des Schlosses anzuführen.<lb/> Jeder ist von dem entsprechenden Spiritus fumili-uis bewohnt. In der Mitte ein<lb/> dicker Thurm. In ihm waltet BurggrafHiob, 120 Jahre alt, mit langem weißem<lb/> Bart, stets in der Rüstung und im Helm, riesengroß wie die Titanen, der lange<lb/> Reden über den Geist der alten Chevalerie hält — die CharaktermaSke des feu-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0501]
Wo eine wirkliche Kenntniß vorhanden ist, wird die Schilderung, wenn auch
nicht künstlerisch vollendet, doch immer von lebhaftem Interesse sein. Victor Hugo ist
zwar mit der eigentlichen Geschichte der Renaissance nicht sehr vertraut, aber in
den Antiquitäten ist er zu Hause. Betrachten wir die historischen Personen in
Notre-Dame als Basreliefs auf den architectonischen Denkmälern der Vorzeit, so
haben sie ihre Berechtigung. Anders wird die Sache, wenn der Dichter eine Ver¬
gangenheit symbolisch wieder aufrichten will, von der er nichts versteht. So ist
es ihm in dem Burggrafen (1812) gegangen.
Die Veranlassung zu diesem närrischen Gedicht war eine Rheinfahrt (1841),
in welcher unser Dichter die alten Ruinen weniger durchforschte als durchträumte.
Er brach sich durch das Dickicht der Schlingpflanzen Bahn zu den zertrümmerten
Mauern, setzte sich daun einsam auf einen Vorsprung, ließ sich von den Vögeln
ansingen, betrachtete den Aufgang der Sonne, und suchte eine alte, vom Moos
bedeckte Inschrift zu entziffern, oder nahm das Maß eines Schwibbogens, wäh¬
rend ihm der Wind Blätter und Blüthen auf den Kopf wehte. Abends im Mond¬
schein, wenn die Dämmerung den Bergen jene phantastischen Formen und dem
Fluß jenes unheimliche Stahlgrau verlieh, in welchem sich Gespenster und Ko¬
bolde so gern umhertreiben, kletterte er, in seinen Mantel gehüllt, über deu Schie¬
fer uach irgend einem Raubschloß. Kein Geishirt hätte es gewagt, ihn an diesen
Schreckensort zu begleite». Er sog die sanfte Melancholie des Abends in sich ein,
und blickte nach den Sternen am Himmel und den Lichtern an dem Fuß des Berges,
bis die Mitteruachtstnude von allen Kirchthürmen schlug, und er, unter Fleder¬
mäusen die einzige fühlende Brust, mit widerhallendem Schritt bis in die Keller
hinabstieg. In solcher Stimmung kam ihm die Eingebung, den Geist dieser alten
Burgen in einer Trilogie zu fixiren. Der Rhein kam ihm vor, wie Thessalien
zu den Zeiten des Aeschylus, wo die Titanen gegen den Götterkönig sich em¬
pörten. Er fand in den „Burgraves" ein ebenso riesiges, ebenso ruchloses Ge¬
schlecht von Halbgöttern, als jene Brüder des Prometheus es waren. Als Zeus
wurde dann der alte Barbarossa aus dem Kyffhäuser heraufbeschworen. Die Sage
aber naiv zu nehmen, dazu hat der Franzose nicht den Muth; es muß alles prag¬
matisch erörtert werde», auch der Kyffhäuser. Zum Ueberfluß wird noch Geschichte
vorgetragen, bei welcher Gelegenheit wir unter andern unerhörten Dingen er¬
fahren, daß Berlin soeben von den Vandalen (im Jahre 1200!), Danzig von den
Heiden erobert ist.
Auch diesmal ist die Hauptrolle des Stücks dem Stein gegeben. Der Wech¬
sel der Scene dient dazu, uns die verschiedenen Theile des Schlosses anzuführen.
Jeder ist von dem entsprechenden Spiritus fumili-uis bewohnt. In der Mitte ein
dicker Thurm. In ihm waltet BurggrafHiob, 120 Jahre alt, mit langem weißem
Bart, stets in der Rüstung und im Helm, riesengroß wie die Titanen, der lange
Reden über den Geist der alten Chevalerie hält — die CharaktermaSke des feu-
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