Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.Gastfreundschaft zu rühme", die man dort in den Familien noch häufig findet. Es war ein schönes Uhlanenregiment, hübsche Leute auf trefflichen Pferden, 60*
Gastfreundschaft zu rühme», die man dort in den Familien noch häufig findet. Es war ein schönes Uhlanenregiment, hübsche Leute auf trefflichen Pferden, 60*
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Gastfreundschaft zu rühme», die man dort in den Familien noch häufig findet.
Aber ein Ausflug uach dem nächsten Grenzorte erfordert oft mehr Vorbereitungen
als anderswo eine transatlantische Reise, und manchmal muß erst in Se. Peters¬
burg darüber entschieden werden, ob in dem weiten Reiche von 6V Millionen
Menschen' irgend einem harmlosen Fremden für einige Zeit der Aufeuthalt zu ge-'
statten sei. Aber auch die Russen kommen selten hierher. Sie haben wohl eine
gewisse Sehnsucht uach unsern prächtigen Hauptstädten und freundlichen Kurorten,
aber der Czar steht dies Herumschweifen in der Fremde nicht gerne. So sitzen
sie denn stille im „heiligen Rußland," gerben Juchten und dienen dem Herrn,
und nur wenn wir „gottlose Heiden" da draußen es gar zu bunt und toll treiben,
komme» sie herein, schaffen Ruhe und Ordnung, wie sie sagen, und kehren dann
wieder heim. Und so brannten wir Alle, was wir auch sonst von der russische» Inter¬
vention halten mochten, doch vor Neugier, auch einmal so ein buntes Stück Welt¬
geschichte und so eine moderne uniformirte Völkerwanderung an uns vorübergehen zu
sehen. Und so blieb am 12. Mai diesesJahres kein Mensch in Lemberg zu Hause,
sondern Alles was nur konnte, ging hinaus zur Lyczokower Linie, um die Russen
ankommen zu sehen. Die ganze Generalität und ein zahlreiches Gefolge von
Offizieren aller Waffe» war ih»e» entgegengeritten, anch ein Musikkorps hatte
man mitgenommen, um die Gäste zu empfangen und gleichsam die Honneurs der
Stadt oder Provinz zu machen. Sie ließen uns ziemlich lange warten, endlich
aber kamen sie.
Es war ein schönes Uhlanenregiment, hübsche Leute auf trefflichen Pferden,
aber sonst nichts Eigenthümliches. Das einzige Neue und Auffallende für uns
war ihr Singen. Denn die russischen Regimenter haben nicht blos wie die unsern
eine Instrumental-Musik, sondern noch außerdem ein ziemlich zahlreiches geschultes
Säugerkorps, und dieses gab uns ihre National-Melodien zum besten. Das
Publikum sah und hörte aufmerksam zu, machte laut seine lobenden Bemerkungen
oder flüsterte leise seinen Tadel, je nach den verschiedenen politischen Sympathien
oder Antipathien. Dies wiederholte sich so ziemlich bei allen folgenden Durchzü¬
gen, und wenn die Neugier und Schaulust sich auch nach und nach verminderte,
so konnten durchmarschireude Russe» doch immer wie ein gutes Kasseustück auf
zahlreichen Zuspruch rechnen. Nach und nach fand sich auch Gelegenheit zu näherer
Bekanntschaft, besonders als manche Abtheilungen hier Rasttag hatten, und die
Soldaten bei den Bürgern einquartiert wurden. Die Sprache war kein großes
Hinderniß. Ein großer Theil der Mannschaft und fast alle Offiziere verstanden
Polnisch, theils waren es wirklich Polen, theils hatten sie in polnischen Garnisonen
das dem russischen so verwandte Idiom erlernt. Auch fanden sich Kur- und Lief-
länder, die Deutsch und Juden, die beinahe Deutsch sprachen. So konnte man
manches erfahren, doch war es nicht gerathen, sich in gar zu große Vertraulichkeit
einzulassen; denn man sah höheren Ortes eine solche t-atvirte coM-Ac nicht gerne,
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