Ich bin ein Freund von gefallenen Größen und dabei noch so nachsichtig, daß ich der Ursache des Falles kaum nachspüre, wenn nur die Größe eine wirk¬ liche gewesen. Mit so echt christlicher Gesinnung, die mir gewiß schou die Gunst meiner Leser einträgt, betrat ich Krakau, wo einst die polnischen Wahlkönige auf dem stolzen Schlosse rksidirt, und jetzt, jetzt .... östreichische Pvlizeikom- missäre und russische Polizcimeister ihr stilles Wesen treiben. Krakau hat außer der gefallenen Größe, außer daß es noch immer zu trauern scheint um die ver¬ schollene Pracht- und Glanzperiode, wenig oder nichts Merkwürdiges. Seine langen, breiten, aber fast immer leeren Straßen, wo an manchen Stellen des holprigen Pflasters vorwitzige Grashalme unbescheiden hervorgucken, seine grvß- und weitschichtig, aber höchst monoton gebauten Hänser, die durch ihre klösterliche Stille und die an den Fenstergesimscn heimischen Spinnen den Mangel an Men¬ schen allzusehr verrathen, machen den Eindruck eines verschwenderisch ausgestatte¬ ten, mit großen Schößen und breiten Aermeln versehenen weiten Gewandes, einem winzigen Zwerge umgeworfen, so daß das von der Natur so ökonomisch behan¬ delte Männchen sich in dem großen Kleide ganz verliert.
Doch es gibt in Krakau eine Gegend, wo das Kleid nicht nur anpaßt, sondern sogar der enorm große, aber wie ich fürchte etwas krankhafte Theil des Leibes die Hülle durchstoßen hat und sich in leider etwas schmutziger Form breit macht. Es ist dies der Ghetto, der nicht mit Unrecht in schlechtem Gerüche stehende Kazimir, wo der königliche Namensvetter des Judenviertels einst mit einem schönen Judenmädchen, der reizenden Esther, gekost haben soll. Jetzt wer¬ den da nicht Herzen, sondern Wiener Manufacturen, nicht gebrochene Eide, sondern abgetragene Kleider, uicht goldene Liebeslieder, sondern östreichisches Papiergeld zu Markte gebracht. Beinahe aber hätte uus das vergangene Jahr mit seinen zerstörenden Gelüsten auch diese" kostbaren Rest des Mittelalters hinweggeschwemmt. Schon hatte die Judenwanderung und die Ansiedlung in den weiten, leeren Ge¬ filden des Stradom, der zunächst liegenden christlichen Straße, begonnem Die Kinder Israels legten sogar dieser Besitznahme nicht weniger schlagende Rechte zu Grunde, als bei der Okkupation Kanaans. Sie stützten sich, wie dort auf das Wort eines Gottes, hier auf das Wort eines Königs und Kaisers,. das ihnen nicht in einem brennenden Busche oder aus ni'nein unersteiglichen Berge, sondern in einem allverständlichen, keiner apokryphen Deutung verdächtigen Gesetze gewor-
Ans der Reise von Krakau nach Wien.
i.
Ich bin ein Freund von gefallenen Größen und dabei noch so nachsichtig, daß ich der Ursache des Falles kaum nachspüre, wenn nur die Größe eine wirk¬ liche gewesen. Mit so echt christlicher Gesinnung, die mir gewiß schou die Gunst meiner Leser einträgt, betrat ich Krakau, wo einst die polnischen Wahlkönige auf dem stolzen Schlosse rksidirt, und jetzt, jetzt .... östreichische Pvlizeikom- missäre und russische Polizcimeister ihr stilles Wesen treiben. Krakau hat außer der gefallenen Größe, außer daß es noch immer zu trauern scheint um die ver¬ schollene Pracht- und Glanzperiode, wenig oder nichts Merkwürdiges. Seine langen, breiten, aber fast immer leeren Straßen, wo an manchen Stellen des holprigen Pflasters vorwitzige Grashalme unbescheiden hervorgucken, seine grvß- und weitschichtig, aber höchst monoton gebauten Hänser, die durch ihre klösterliche Stille und die an den Fenstergesimscn heimischen Spinnen den Mangel an Men¬ schen allzusehr verrathen, machen den Eindruck eines verschwenderisch ausgestatte¬ ten, mit großen Schößen und breiten Aermeln versehenen weiten Gewandes, einem winzigen Zwerge umgeworfen, so daß das von der Natur so ökonomisch behan¬ delte Männchen sich in dem großen Kleide ganz verliert.
Doch es gibt in Krakau eine Gegend, wo das Kleid nicht nur anpaßt, sondern sogar der enorm große, aber wie ich fürchte etwas krankhafte Theil des Leibes die Hülle durchstoßen hat und sich in leider etwas schmutziger Form breit macht. Es ist dies der Ghetto, der nicht mit Unrecht in schlechtem Gerüche stehende Kazimir, wo der königliche Namensvetter des Judenviertels einst mit einem schönen Judenmädchen, der reizenden Esther, gekost haben soll. Jetzt wer¬ den da nicht Herzen, sondern Wiener Manufacturen, nicht gebrochene Eide, sondern abgetragene Kleider, uicht goldene Liebeslieder, sondern östreichisches Papiergeld zu Markte gebracht. Beinahe aber hätte uus das vergangene Jahr mit seinen zerstörenden Gelüsten auch diese» kostbaren Rest des Mittelalters hinweggeschwemmt. Schon hatte die Judenwanderung und die Ansiedlung in den weiten, leeren Ge¬ filden des Stradom, der zunächst liegenden christlichen Straße, begonnem Die Kinder Israels legten sogar dieser Besitznahme nicht weniger schlagende Rechte zu Grunde, als bei der Okkupation Kanaans. Sie stützten sich, wie dort auf das Wort eines Gottes, hier auf das Wort eines Königs und Kaisers,. das ihnen nicht in einem brennenden Busche oder aus ni'nein unersteiglichen Berge, sondern in einem allverständlichen, keiner apokryphen Deutung verdächtigen Gesetze gewor-
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Ans der Reise von Krakau nach Wien.
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Ich bin ein Freund von gefallenen Größen und dabei noch so nachsichtig,
daß ich der Ursache des Falles kaum nachspüre, wenn nur die Größe eine wirk¬
liche gewesen. Mit so echt christlicher Gesinnung, die mir gewiß schou die Gunst
meiner Leser einträgt, betrat ich Krakau, wo einst die polnischen Wahlkönige
auf dem stolzen Schlosse rksidirt, und jetzt, jetzt .... östreichische Pvlizeikom-
missäre und russische Polizcimeister ihr stilles Wesen treiben. Krakau hat außer
der gefallenen Größe, außer daß es noch immer zu trauern scheint um die ver¬
schollene Pracht- und Glanzperiode, wenig oder nichts Merkwürdiges. Seine
langen, breiten, aber fast immer leeren Straßen, wo an manchen Stellen des
holprigen Pflasters vorwitzige Grashalme unbescheiden hervorgucken, seine grvß-
und weitschichtig, aber höchst monoton gebauten Hänser, die durch ihre klösterliche
Stille und die an den Fenstergesimscn heimischen Spinnen den Mangel an Men¬
schen allzusehr verrathen, machen den Eindruck eines verschwenderisch ausgestatte¬
ten, mit großen Schößen und breiten Aermeln versehenen weiten Gewandes, einem
winzigen Zwerge umgeworfen, so daß das von der Natur so ökonomisch behan¬
delte Männchen sich in dem großen Kleide ganz verliert.
Doch es gibt in Krakau eine Gegend, wo das Kleid nicht nur anpaßt,
sondern sogar der enorm große, aber wie ich fürchte etwas krankhafte Theil des
Leibes die Hülle durchstoßen hat und sich in leider etwas schmutziger Form
breit macht. Es ist dies der Ghetto, der nicht mit Unrecht in schlechtem Gerüche
stehende Kazimir, wo der königliche Namensvetter des Judenviertels einst mit
einem schönen Judenmädchen, der reizenden Esther, gekost haben soll. Jetzt wer¬
den da nicht Herzen, sondern Wiener Manufacturen, nicht gebrochene Eide, sondern
abgetragene Kleider, uicht goldene Liebeslieder, sondern östreichisches Papiergeld
zu Markte gebracht. Beinahe aber hätte uus das vergangene Jahr mit seinen
zerstörenden Gelüsten auch diese» kostbaren Rest des Mittelalters hinweggeschwemmt.
Schon hatte die Judenwanderung und die Ansiedlung in den weiten, leeren Ge¬
filden des Stradom, der zunächst liegenden christlichen Straße, begonnem Die
Kinder Israels legten sogar dieser Besitznahme nicht weniger schlagende Rechte zu
Grunde, als bei der Okkupation Kanaans. Sie stützten sich, wie dort auf das
Wort eines Gottes, hier auf das Wort eines Königs und Kaisers,. das ihnen
nicht in einem brennenden Busche oder aus ni'nein unersteiglichen Berge, sondern
in einem allverständlichen, keiner apokryphen Deutung verdächtigen Gesetze gewor-
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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/440>, abgerufen am 23.01.2025.
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