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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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lieben Augen des gnädigen Herrschers wohlthun möge." Diese antithetische Form
ist freilich eben so französisch als unpoetisch. Ganz ähnlich ist es mit dem Feste
Nero's, dem Turniergesang, der Tochter Otaheite's u. s. w. In den Balladen
sind die Gegenstände besungen, an die wir anch in Deutschland gewöhnt sind,
Feen, Sylphen u. s. w. Aber mitten im Spiel seiner Phantasie fällt dem fran¬
zösischen Dichter plötzlich eine Wendung seines Freundes Robler ein, die er bei
der Gelegenheit kritistrt. Von der sangbaren Lyrik, wie wir sie seit Goethe ge¬
wohnt sind, ist keine Spur; nie ein einfaches Bild, eine Melodie; überall
Reflexion, aber auch diese uicht durch den Gedanken beherrscht, sondern an
den Wechsel der Bilder gebunden. Der luftige Stoff stimmt nicht zu dem tölpel¬
haften Pathos der Sprache. Man vergleiche z. B. Goethe's Todtentanz mit der
R,<iiniv an siidbitt, deren feierlicher Anfang:


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I^a luve se vuilsr, coinmv n"ur un mvslsr",
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die folgenden Spukgestalten, die nur in der leichten Holzschnittzeichunug den
Eindruck machen können, der ihnen allein zukommt, den Eindruck des Grotesken,
geradezu ins Alberne hinüberzieht.

Die Orientalen, welche 182!" erschienen, wurden von der Schule als das
Meisterstück der lyrischen Poesie gefeiert. Wenigstens charcckterisiren sie die Rich¬
tung am genauesten. Schon in der Einleitung verkündet der Dichter, daß in der
Poesie nicht nur jeder Gegenstand Bürgerrecht hat, sondern auch jede Art der
Empfindung und Vorstellung. Der Poet soll frei sein, möge er an Gott oder
an die Götter, an Pluto oder an Satan glauben, oder auch an Nichts. Das
Gedicht soll einer mittelalterlichen Stadt gleichen, in welcher alle Trachten sich
durch einander drängten, alle Straßen sich labyrinthisch durchkreuzten. -- Victor
Hugo vergißt nur, daß die Einheit und Klarheit der Empfindung, welche das
Gedicht hervorrufe" soll, bei dem Dichter die Einheit der sittlich-religiösen Grund-
anschauung voraussetzt. Wir haben hier in dieser orientalischen Omln-o cliinolso
eine Reihe bunter und blendender Bilder, aber die Empfindung hört völlig auf.
Wenn der Sultan seiner Favorite zuruft: "Habe ich deun deinetwegen, schöne
Jüdin, nicht mein Serail hinlänglich entvölkert? laß doch die Uebrigen leben!
muß denn ans jeden Schlag deines Fächers ein Schlag mit dem Beil folgen?"
und wenn er ihr Mitleid für die verschiedenen Racen rege zu machen sucht, na¬
mentlich für die Negerin, <j"i commv uno jvuixz ti^osse, Kondit rü^issitiite
ä'itmour, so bleiben wir in Zweifel, ob das den Zweck hat, uns zum Lachen
zu bringen, oder welchen andern. Und nicht besser geht es ihm, wenn er sich
in die Seele Ali Paschas versetzt, in dem er sonderbarer Weise einen zweiten
Napoleon verehrt, oder wenn er die Zerstörung von Sodom und Gomorrha oder


lieben Augen des gnädigen Herrschers wohlthun möge." Diese antithetische Form
ist freilich eben so französisch als unpoetisch. Ganz ähnlich ist es mit dem Feste
Nero's, dem Turniergesang, der Tochter Otaheite's u. s. w. In den Balladen
sind die Gegenstände besungen, an die wir anch in Deutschland gewöhnt sind,
Feen, Sylphen u. s. w. Aber mitten im Spiel seiner Phantasie fällt dem fran¬
zösischen Dichter plötzlich eine Wendung seines Freundes Robler ein, die er bei
der Gelegenheit kritistrt. Von der sangbaren Lyrik, wie wir sie seit Goethe ge¬
wohnt sind, ist keine Spur; nie ein einfaches Bild, eine Melodie; überall
Reflexion, aber auch diese uicht durch den Gedanken beherrscht, sondern an
den Wechsel der Bilder gebunden. Der luftige Stoff stimmt nicht zu dem tölpel¬
haften Pathos der Sprache. Man vergleiche z. B. Goethe's Todtentanz mit der
R,<iiniv an siidbitt, deren feierlicher Anfang:


Vo^e?. äevant Iss uns ü°v es noir mnnasl^'v
I^a luve se vuilsr, coinmv n»ur un mvslsr«,
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die folgenden Spukgestalten, die nur in der leichten Holzschnittzeichunug den
Eindruck machen können, der ihnen allein zukommt, den Eindruck des Grotesken,
geradezu ins Alberne hinüberzieht.

Die Orientalen, welche 182!» erschienen, wurden von der Schule als das
Meisterstück der lyrischen Poesie gefeiert. Wenigstens charcckterisiren sie die Rich¬
tung am genauesten. Schon in der Einleitung verkündet der Dichter, daß in der
Poesie nicht nur jeder Gegenstand Bürgerrecht hat, sondern auch jede Art der
Empfindung und Vorstellung. Der Poet soll frei sein, möge er an Gott oder
an die Götter, an Pluto oder an Satan glauben, oder auch an Nichts. Das
Gedicht soll einer mittelalterlichen Stadt gleichen, in welcher alle Trachten sich
durch einander drängten, alle Straßen sich labyrinthisch durchkreuzten. — Victor
Hugo vergißt nur, daß die Einheit und Klarheit der Empfindung, welche das
Gedicht hervorrufe» soll, bei dem Dichter die Einheit der sittlich-religiösen Grund-
anschauung voraussetzt. Wir haben hier in dieser orientalischen Omln-o cliinolso
eine Reihe bunter und blendender Bilder, aber die Empfindung hört völlig auf.
Wenn der Sultan seiner Favorite zuruft: „Habe ich deun deinetwegen, schöne
Jüdin, nicht mein Serail hinlänglich entvölkert? laß doch die Uebrigen leben!
muß denn ans jeden Schlag deines Fächers ein Schlag mit dem Beil folgen?"
und wenn er ihr Mitleid für die verschiedenen Racen rege zu machen sucht, na¬
mentlich für die Negerin, <j»i commv uno jvuixz ti^osse, Kondit rü^issitiite
ä'itmour, so bleiben wir in Zweifel, ob das den Zweck hat, uns zum Lachen
zu bringen, oder welchen andern. Und nicht besser geht es ihm, wenn er sich
in die Seele Ali Paschas versetzt, in dem er sonderbarer Weise einen zweiten
Napoleon verehrt, oder wenn er die Zerstörung von Sodom und Gomorrha oder


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[0425] lieben Augen des gnädigen Herrschers wohlthun möge." Diese antithetische Form ist freilich eben so französisch als unpoetisch. Ganz ähnlich ist es mit dem Feste Nero's, dem Turniergesang, der Tochter Otaheite's u. s. w. In den Balladen sind die Gegenstände besungen, an die wir anch in Deutschland gewöhnt sind, Feen, Sylphen u. s. w. Aber mitten im Spiel seiner Phantasie fällt dem fran¬ zösischen Dichter plötzlich eine Wendung seines Freundes Robler ein, die er bei der Gelegenheit kritistrt. Von der sangbaren Lyrik, wie wir sie seit Goethe ge¬ wohnt sind, ist keine Spur; nie ein einfaches Bild, eine Melodie; überall Reflexion, aber auch diese uicht durch den Gedanken beherrscht, sondern an den Wechsel der Bilder gebunden. Der luftige Stoff stimmt nicht zu dem tölpel¬ haften Pathos der Sprache. Man vergleiche z. B. Goethe's Todtentanz mit der R,<iiniv an siidbitt, deren feierlicher Anfang: Vo^e?. äevant Iss uns ü°v es noir mnnasl^'v I^a luve se vuilsr, coinmv n»ur un mvslsr«, 6s immun i>s«s«, se i'e n-> o <t?t n l, I'skkrni, I>o>i2v lui» 8v dal-tuos an tiatt!»in ein IisKVoi N. s. W. die folgenden Spukgestalten, die nur in der leichten Holzschnittzeichunug den Eindruck machen können, der ihnen allein zukommt, den Eindruck des Grotesken, geradezu ins Alberne hinüberzieht. Die Orientalen, welche 182!» erschienen, wurden von der Schule als das Meisterstück der lyrischen Poesie gefeiert. Wenigstens charcckterisiren sie die Rich¬ tung am genauesten. Schon in der Einleitung verkündet der Dichter, daß in der Poesie nicht nur jeder Gegenstand Bürgerrecht hat, sondern auch jede Art der Empfindung und Vorstellung. Der Poet soll frei sein, möge er an Gott oder an die Götter, an Pluto oder an Satan glauben, oder auch an Nichts. Das Gedicht soll einer mittelalterlichen Stadt gleichen, in welcher alle Trachten sich durch einander drängten, alle Straßen sich labyrinthisch durchkreuzten. — Victor Hugo vergißt nur, daß die Einheit und Klarheit der Empfindung, welche das Gedicht hervorrufe» soll, bei dem Dichter die Einheit der sittlich-religiösen Grund- anschauung voraussetzt. Wir haben hier in dieser orientalischen Omln-o cliinolso eine Reihe bunter und blendender Bilder, aber die Empfindung hört völlig auf. Wenn der Sultan seiner Favorite zuruft: „Habe ich deun deinetwegen, schöne Jüdin, nicht mein Serail hinlänglich entvölkert? laß doch die Uebrigen leben! muß denn ans jeden Schlag deines Fächers ein Schlag mit dem Beil folgen?" und wenn er ihr Mitleid für die verschiedenen Racen rege zu machen sucht, na¬ mentlich für die Negerin, <j»i commv uno jvuixz ti^osse, Kondit rü^issitiite ä'itmour, so bleiben wir in Zweifel, ob das den Zweck hat, uns zum Lachen zu bringen, oder welchen andern. Und nicht besser geht es ihm, wenn er sich in die Seele Ali Paschas versetzt, in dem er sonderbarer Weise einen zweiten Napoleon verehrt, oder wenn er die Zerstörung von Sodom und Gomorrha oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/425>, abgerufen am 15.01.2025.