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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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und Starrheit, das weibliche Element waltet bei ihm vor. Er ist unstreitig der
geistreichste, gutherzigste und tugendhafteste Mann." --

Mir trat der Schweiß auf die Stirn, ich wartete jeden Augenblick einen
Fluch aus irgend einer Ecke zu hören. Aber Alles blieb still, der Oberhofprediger
unterbrach die Enthusiastin, indem er stürmisch ihre Hand ergriff und küßte: "wie
wohl thut es meinem alten Herzen, einmal so gut über meinen König reden zu
hören. Sie', sind gewiß eine brave Soldatenfrau," sagte er. "O nein, ich bin
nur die Frau eines der armen beneideten sogenannten Bureaukraten, aber ich
spreche gewiß unparteiisch, mein Mann ist nie bevorzugt, sondern oft sogar unge¬
recht zurückgesetzt worden," erwiederte sie und versuchte schwenuüthig aufzusehn.

Jetzt wurden die Beiden gemüthlich, die Dame würdigte uns keines Blickes
mehr, sondern lauschte den Erzählungen des Oberhofpredigers, der anfing sich über
das häusliche Glück des Königspaars auszulasten. -- Gut konnte das nicht enden.
Mir wurde sehr unbehaglich, sechs Menschen saßen in dem Coup"-, wenigstens einer
davon mußte ein Feind dieses Königs und seines Familienglückes sein, ich musterte
ängstlich die Gesichter. Neben mir eine westphälische Dame mit geistreichem Ange,
die in die Unterhaltung hinein lächelte und mich manchmal mit einem schalkhaften
Blick maß, welcher bedeutete: Sie sind ein lächerlicher kleiner Herr! aber trotzdem
that mir ihr Blick wohl, sie war mein Liebling im Coupe; von der war nichts
zu befürchten. Wohl aber von jenein jüngeren Menschen mit großem Bart. -- Him¬
mel, er fing an sich in die Unterhaltung zu mischen. Die Königin von Preußen,
sagte er, hat nicht eher ihre Religion verlassen, bis ihre Zwillingsschwester Kinder
hatte und sie nun wissen konnte, daß ihr selbst keine bestimmt wären, die sie sonst
der Verdammniß preisgegeben haben würde. -- Der Wappenring an der rechten Hand
und der westphälische Accent ließen aus dieser frommen Aeußerung einen Nittcr-
bürtigen aus dem Münsterlande erkennen. -- Da war eine Bombe eingeschlagen, der
Hofprediger lächelte ironisch; die Dame sah verstört aus. Der Rittcrbürtige aber
nahm die schöne Gelegenheit wahr, welche ihm das Verstummen seiner Feinde be¬
reitete, und fuhr mit seinem Zorn gegen Preußen heraus, er wiederholte die Schmä¬
hungen gegen den König über den vielbesprochenen Befehl zum Rückzug der Trup¬
pen in der Märzuacht. Mit Thränen in den Augen und zornbcbender Stimme
se"g unsere Reisegefährtin an, dagegen zu kämpfen, der Hofprediger stand ihr treu¬
lich bei. Das Gefecht ging los, alle Scene", welche ich schaudernd geahnt hatte,
das laute Sprechen, die gerötheten Wangen und Nasen, Aufregung, Zorn, gegen¬
seitige Verachtung. Und was das ärgste war, ich selber mischte mich in die
Unterhaltung; die Westphalin mit den guten Augen sah mich an, ich sollte dem
Dberhofprediger zu Hilfe kommen. Ich wurde schwach, ich öffnete den Mund, ich
wurde patriotisch, loyal, Gott weiß was. -- Ich verlor alle Haltung. Was ich
gesagt und gezankt habe, ich weiß es nicht mehr. Als ich wieder zu mir kam fand
ich mich auf dem Bahnhöfe in Deich, mit bloßem Kopf, dem entsetzlichen Zugwind


Grenzboten. lo. 184V. 5

und Starrheit, das weibliche Element waltet bei ihm vor. Er ist unstreitig der
geistreichste, gutherzigste und tugendhafteste Mann." —

Mir trat der Schweiß auf die Stirn, ich wartete jeden Augenblick einen
Fluch aus irgend einer Ecke zu hören. Aber Alles blieb still, der Oberhofprediger
unterbrach die Enthusiastin, indem er stürmisch ihre Hand ergriff und küßte: „wie
wohl thut es meinem alten Herzen, einmal so gut über meinen König reden zu
hören. Sie', sind gewiß eine brave Soldatenfrau," sagte er. „O nein, ich bin
nur die Frau eines der armen beneideten sogenannten Bureaukraten, aber ich
spreche gewiß unparteiisch, mein Mann ist nie bevorzugt, sondern oft sogar unge¬
recht zurückgesetzt worden," erwiederte sie und versuchte schwenuüthig aufzusehn.

Jetzt wurden die Beiden gemüthlich, die Dame würdigte uns keines Blickes
mehr, sondern lauschte den Erzählungen des Oberhofpredigers, der anfing sich über
das häusliche Glück des Königspaars auszulasten. — Gut konnte das nicht enden.
Mir wurde sehr unbehaglich, sechs Menschen saßen in dem Coup«-, wenigstens einer
davon mußte ein Feind dieses Königs und seines Familienglückes sein, ich musterte
ängstlich die Gesichter. Neben mir eine westphälische Dame mit geistreichem Ange,
die in die Unterhaltung hinein lächelte und mich manchmal mit einem schalkhaften
Blick maß, welcher bedeutete: Sie sind ein lächerlicher kleiner Herr! aber trotzdem
that mir ihr Blick wohl, sie war mein Liebling im Coupe; von der war nichts
zu befürchten. Wohl aber von jenein jüngeren Menschen mit großem Bart. — Him¬
mel, er fing an sich in die Unterhaltung zu mischen. Die Königin von Preußen,
sagte er, hat nicht eher ihre Religion verlassen, bis ihre Zwillingsschwester Kinder
hatte und sie nun wissen konnte, daß ihr selbst keine bestimmt wären, die sie sonst
der Verdammniß preisgegeben haben würde. — Der Wappenring an der rechten Hand
und der westphälische Accent ließen aus dieser frommen Aeußerung einen Nittcr-
bürtigen aus dem Münsterlande erkennen. — Da war eine Bombe eingeschlagen, der
Hofprediger lächelte ironisch; die Dame sah verstört aus. Der Rittcrbürtige aber
nahm die schöne Gelegenheit wahr, welche ihm das Verstummen seiner Feinde be¬
reitete, und fuhr mit seinem Zorn gegen Preußen heraus, er wiederholte die Schmä¬
hungen gegen den König über den vielbesprochenen Befehl zum Rückzug der Trup¬
pen in der Märzuacht. Mit Thränen in den Augen und zornbcbender Stimme
se»g unsere Reisegefährtin an, dagegen zu kämpfen, der Hofprediger stand ihr treu¬
lich bei. Das Gefecht ging los, alle Scene», welche ich schaudernd geahnt hatte,
das laute Sprechen, die gerötheten Wangen und Nasen, Aufregung, Zorn, gegen¬
seitige Verachtung. Und was das ärgste war, ich selber mischte mich in die
Unterhaltung; die Westphalin mit den guten Augen sah mich an, ich sollte dem
Dberhofprediger zu Hilfe kommen. Ich wurde schwach, ich öffnete den Mund, ich
wurde patriotisch, loyal, Gott weiß was. — Ich verlor alle Haltung. Was ich
gesagt und gezankt habe, ich weiß es nicht mehr. Als ich wieder zu mir kam fand
ich mich auf dem Bahnhöfe in Deich, mit bloßem Kopf, dem entsetzlichen Zugwind


Grenzboten. lo. 184V. 5
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/37>, abgerufen am 15.01.2025.