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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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verloren. Vor der Revolution betrug die Summe der jährlichen Ankaufgelder
sämmtlicher Kunstvereine Deutschlands nach ungefähren Anschlag auf 120,000 Thlr.,
jetzt mag sie leicht aus 70,000 Thlr. gefallen sein; rechnen wir die jährlichen Be¬
dürfnisse eines Malerlebens im Durchschnitt aus l000 Thlr., so wurden durch
die deutschen Knnsivereine vor der Revolution 120, gegenwärtig etwa 70 Künstler¬
existenzen begründet. Es versteht sich, daß ein solcher Anschlag nur theoretisch
richtig sein kann; in der Wirklichkeit vertheilt sich die genannte Summe nicht auf
120 sondern vielleicht ans 1000 Künstlerleben, und ein guter Theil davon geht nach
Frankreich, Belgien und den Niederlanden, weniger nach Italien. -- Auf unseren Aus¬
stellungen sehen wir noch immer ein bedenkliches Ueberwiegen der Landschaft, zum
Theil vortreffliche Bilder; selten ein kaltes historisches Tableau, entweder heilige
Geschichte, oder Mittelalter in gemalten Rüstungen; selbst die Genrestücke haben
durch die grotesken Scenen des vorigen Jahres wenig gewonnen, die Bürgerwehr
muß auch hier herhalten; der Humor ist selten geworden.

So haben wir keinen Grund, beim Beginn des Winters auf die künstlerische
Thätigkeit des letzten Jahres stolz zu sein; es darf nus die verhältnißmäßig ge¬
ringe Ausbeute aber auch nicht entmuthigen. Vielleicht liegt grade in dem Um¬
stand, daß auch die Arbeiten nahmhafter und bewunderter Talente überall Spuren
von der Zerfahrenheit und von den Störungen zeigen, welche die Revolution unserem
Leben gebracht hat, eine Bürgschaft dafür, daß wir weiterkommen sollen. Die
Meisten der Schaffenden haben ein großes, schweres Jahr in schwerem und inner¬
lichem Kampf durchlebt. Das wird sich zuletzt auch für ihre Kunst verklären; aber
es braucht Zeit, ehe es reiner Wein wird, jetzt ist's noch ein junger unreifer
Most, er kann uns nicht immer munden.




Berlin bei Nacht.



Das muntere Völkchen hat also, trotz allen politischen Unmuths, seine
alte Mobilität, und seine mit einem gelinden Anstrich von Blasirtheit gefärbte
Sorglosigkeit wieder gewonnen! Es wird bei Kroll getanzt und Champagner
getrunken, wie ehedem, es werden Schulden gemacht, viel Schulden, die liebens¬
würdigen Spreenymphen lassen sich küssen, gleichviel ob von

Christian oder Jtzig,
Das Geschäft bringt's 'mal so mit sich!

Rande läßt wieder seine Witze spielen, wenn auch mit der historischen Kokarde
des vorigen Jahres am Hut, die Jungen nehmen vor dem Constabler Reißaus


verloren. Vor der Revolution betrug die Summe der jährlichen Ankaufgelder
sämmtlicher Kunstvereine Deutschlands nach ungefähren Anschlag auf 120,000 Thlr.,
jetzt mag sie leicht aus 70,000 Thlr. gefallen sein; rechnen wir die jährlichen Be¬
dürfnisse eines Malerlebens im Durchschnitt aus l000 Thlr., so wurden durch
die deutschen Knnsivereine vor der Revolution 120, gegenwärtig etwa 70 Künstler¬
existenzen begründet. Es versteht sich, daß ein solcher Anschlag nur theoretisch
richtig sein kann; in der Wirklichkeit vertheilt sich die genannte Summe nicht auf
120 sondern vielleicht ans 1000 Künstlerleben, und ein guter Theil davon geht nach
Frankreich, Belgien und den Niederlanden, weniger nach Italien. — Auf unseren Aus¬
stellungen sehen wir noch immer ein bedenkliches Ueberwiegen der Landschaft, zum
Theil vortreffliche Bilder; selten ein kaltes historisches Tableau, entweder heilige
Geschichte, oder Mittelalter in gemalten Rüstungen; selbst die Genrestücke haben
durch die grotesken Scenen des vorigen Jahres wenig gewonnen, die Bürgerwehr
muß auch hier herhalten; der Humor ist selten geworden.

So haben wir keinen Grund, beim Beginn des Winters auf die künstlerische
Thätigkeit des letzten Jahres stolz zu sein; es darf nus die verhältnißmäßig ge¬
ringe Ausbeute aber auch nicht entmuthigen. Vielleicht liegt grade in dem Um¬
stand, daß auch die Arbeiten nahmhafter und bewunderter Talente überall Spuren
von der Zerfahrenheit und von den Störungen zeigen, welche die Revolution unserem
Leben gebracht hat, eine Bürgschaft dafür, daß wir weiterkommen sollen. Die
Meisten der Schaffenden haben ein großes, schweres Jahr in schwerem und inner¬
lichem Kampf durchlebt. Das wird sich zuletzt auch für ihre Kunst verklären; aber
es braucht Zeit, ehe es reiner Wein wird, jetzt ist's noch ein junger unreifer
Most, er kann uns nicht immer munden.




Berlin bei Nacht.



Das muntere Völkchen hat also, trotz allen politischen Unmuths, seine
alte Mobilität, und seine mit einem gelinden Anstrich von Blasirtheit gefärbte
Sorglosigkeit wieder gewonnen! Es wird bei Kroll getanzt und Champagner
getrunken, wie ehedem, es werden Schulden gemacht, viel Schulden, die liebens¬
würdigen Spreenymphen lassen sich küssen, gleichviel ob von

Christian oder Jtzig,
Das Geschäft bringt's 'mal so mit sich!

Rande läßt wieder seine Witze spielen, wenn auch mit der historischen Kokarde
des vorigen Jahres am Hut, die Jungen nehmen vor dem Constabler Reißaus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/33>, abgerufen am 15.01.2025.