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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Hannover nach Hamburg führt, ist im Volk das Interesse für sein Schauspiel so
beschaffen, daß unter Umständen edlere Kunstformen Geltung finden könnten.
Auch hier hat das letzte Jahr viel verwüstet. Die Stadttheater waren fast alle
in Auflösung, und haben sich für diesen Winter mühsam als neue Gesellschaften
organisirt. Bei manchen Hoftheatern ist das Fortbestehn noch immer zweifelhaft,
eine sorgfältige Pflege des Schauspiels, ein gutes Ensemble für die Oper in die¬
sem Winter kaum bei einem zu erwarten, am ersten vielleicht noch in Dresden.
Der neuen Stücke, welche in dieser Saison die Theaterkasse füllen sollen, sind sehr
wenige, ihr Werth und ihre Wirkungen zweifelhaft. Gutzkow hat sich in den
Effecten seiner Liesli und des Goethestückes verrechnet, und selbst die unermüd¬
liche Birch hat in ihrem Schauspiel "im Wald" die blaue Sentimentalität des
ländlichen Kreises nach alter Gewohnheit stärker aufgetragen, als für die Wirkung
nützlich war. Was sonst von neuen Dramen bis jetzt bekannt geworden ist, zeigt
immer noch sehr wenig von der Gestaltungskraft, welche uns Noth thut, dagegen
häßliche Karrikaturen und platte Rohheit häufiger und frecher als sonst. Auch die
Posse in Wien ist ganz verkümmert, und wenn die Berliner Volkstheater mit einzelnen
Stücken großes Glück gemacht haben, so hat dies dem Publikum dieser Städte nicht
allemal zur Ehre gereicht. Es ist demnach sehr zweifelhaft, ob dieser Winter den
Bühnen eine fördernde Saison bringen, und ob das bessere, welches etwa herauf
kommt, erträgliche Darstellung finden wird. Sehr Vieles hängt gegenwärtig in
Deutschland von einer Reform der Theaterverhältnisse ab. Die preußische Negie¬
rung hat seit vorigem Jahre wiederholt kleine Anläufe gemacht, die stehenden
Theater als Kunstinstitute nach Eduard Devrient's Vorschlag zu fester Organisation
unter das Kultusministerium zu bringen. Bis jetzt aber ist nichts zur That ge¬
worden. Noch weniger im Königreich Sachsen, wo die Veränderung leicht und
dankbar wäre.

Die bildenden Künste haben ihre Leistungen im letzten Jahr bereits hier und
da in den Kunstausstellungen gezeigt. Auffallend war bis jetzt, daß so wenig
größere Kunstwerke zu den Ausstellungen kamen, man hatte das Gegentheil er¬
wartet, weil der Verkauf von Gemälden und Sculpturen an Privatleute im letz¬
ten Jahre fast Null war. Offenbar ist weniger gearbeitet worden als sonst, be¬
sonders die bewegliche und reizbare Natur der Maler ist durch die Revolutions¬
ereignisse vielfach gestört und verwirrt worden, wicht wenige von ihnen haben sich
bei den Volkserhebungen betheiligt, manche sind ausgewandert, fast allen fehlte
Kraft und Lust etwas größeres zu unternehmen, und was sie etwa schufen, ist in
der Noth für einen Spottpreis verschleudert worden und in Privatsammlungen
übergegangen. Auch die Kunstvereine, welche bei allen Mängeln ihrer Organisa¬
tion doch für den guten Mittelschlag der Künstler die beste Stütze und der Mit¬
telpunkt für die achtungswerthe Kunstliebhaberei von Privatpersonen sind, haben
an Actieninhabern und deshalb auch an Kapitalien zum Ankauf von Kunstwerken


Hannover nach Hamburg führt, ist im Volk das Interesse für sein Schauspiel so
beschaffen, daß unter Umständen edlere Kunstformen Geltung finden könnten.
Auch hier hat das letzte Jahr viel verwüstet. Die Stadttheater waren fast alle
in Auflösung, und haben sich für diesen Winter mühsam als neue Gesellschaften
organisirt. Bei manchen Hoftheatern ist das Fortbestehn noch immer zweifelhaft,
eine sorgfältige Pflege des Schauspiels, ein gutes Ensemble für die Oper in die¬
sem Winter kaum bei einem zu erwarten, am ersten vielleicht noch in Dresden.
Der neuen Stücke, welche in dieser Saison die Theaterkasse füllen sollen, sind sehr
wenige, ihr Werth und ihre Wirkungen zweifelhaft. Gutzkow hat sich in den
Effecten seiner Liesli und des Goethestückes verrechnet, und selbst die unermüd¬
liche Birch hat in ihrem Schauspiel „im Wald" die blaue Sentimentalität des
ländlichen Kreises nach alter Gewohnheit stärker aufgetragen, als für die Wirkung
nützlich war. Was sonst von neuen Dramen bis jetzt bekannt geworden ist, zeigt
immer noch sehr wenig von der Gestaltungskraft, welche uns Noth thut, dagegen
häßliche Karrikaturen und platte Rohheit häufiger und frecher als sonst. Auch die
Posse in Wien ist ganz verkümmert, und wenn die Berliner Volkstheater mit einzelnen
Stücken großes Glück gemacht haben, so hat dies dem Publikum dieser Städte nicht
allemal zur Ehre gereicht. Es ist demnach sehr zweifelhaft, ob dieser Winter den
Bühnen eine fördernde Saison bringen, und ob das bessere, welches etwa herauf
kommt, erträgliche Darstellung finden wird. Sehr Vieles hängt gegenwärtig in
Deutschland von einer Reform der Theaterverhältnisse ab. Die preußische Negie¬
rung hat seit vorigem Jahre wiederholt kleine Anläufe gemacht, die stehenden
Theater als Kunstinstitute nach Eduard Devrient's Vorschlag zu fester Organisation
unter das Kultusministerium zu bringen. Bis jetzt aber ist nichts zur That ge¬
worden. Noch weniger im Königreich Sachsen, wo die Veränderung leicht und
dankbar wäre.

Die bildenden Künste haben ihre Leistungen im letzten Jahr bereits hier und
da in den Kunstausstellungen gezeigt. Auffallend war bis jetzt, daß so wenig
größere Kunstwerke zu den Ausstellungen kamen, man hatte das Gegentheil er¬
wartet, weil der Verkauf von Gemälden und Sculpturen an Privatleute im letz¬
ten Jahre fast Null war. Offenbar ist weniger gearbeitet worden als sonst, be¬
sonders die bewegliche und reizbare Natur der Maler ist durch die Revolutions¬
ereignisse vielfach gestört und verwirrt worden, wicht wenige von ihnen haben sich
bei den Volkserhebungen betheiligt, manche sind ausgewandert, fast allen fehlte
Kraft und Lust etwas größeres zu unternehmen, und was sie etwa schufen, ist in
der Noth für einen Spottpreis verschleudert worden und in Privatsammlungen
übergegangen. Auch die Kunstvereine, welche bei allen Mängeln ihrer Organisa¬
tion doch für den guten Mittelschlag der Künstler die beste Stütze und der Mit¬
telpunkt für die achtungswerthe Kunstliebhaberei von Privatpersonen sind, haben
an Actieninhabern und deshalb auch an Kapitalien zum Ankauf von Kunstwerken


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/32>, abgerufen am 15.01.2025.