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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Man vergesse nicht, daß der Gegensatz zwischen Tragödie und Komödie nicht
abstract gefaßt werden darf. Freilich sind die Personen der Tragödie freie Indi¬
viduen, die Personen der Komödie Typen; der Boden der Tragödie ist die all¬
gemein menschliche Sittlichkeit, der Boden der Komödie die endliche Convenienz.
Aber das freie Individuum ist uicht ohne Bestimmtheit, die lustige Person nicht
ohne Individualität und uicht ohne ideale Basis zu denken. Gerade in dem Her-
einragen des Idealen, des rein Menschlichen in die Zufälligkeit des komischen Kon¬
trastes, in dem es uicht aufgehoben, sondern nur gebrochen erscheint, liegt der
größte Reiz des Lustspiels, und diese Seite ist es, die wir an ihm aufzu¬
fassen gedenken. Denn der Spaß, hinter den sich nicht ein relativ ernstes
Problem versteckt, gehört nicht in die Geschichte der menschlichen Cultur. Nur
hat der Lustspieldichter, der für das Bedürfniß des Tages arbeitet, in der Regel
nicht das Bewußtsein dieses Verhältnisses, weil er selber in dem Kreise steht, den
er darstellt. Ueber den einfachen Gegensatz der ungebildeten Subjectivität und
der gedankenlosen Convenienz hinauszugehen, ist das Zeichen des großen Dich¬
ters -- eines Aristophanes und Shakespeare.

Ein rascher Blick auf die Geschichte des Lustspiels wird diesen .Gedanken
verdeutlichen.

Nach Aristophanes, der bis jetzt noch in der Poesie ohne Gleichen ist, ge¬
wann das Lustspiel von Athen sogleich diejenige Form, die es bis auf den heuti¬
gen Tag behalten hat. Abgesehen von den Sitnationspossen, Menächmen n. tgi.,
war der wesentliche Gegenstand immer eine Heirath, die trotz mancher Schwierig¬
keiten zu Stande kommt. Es ist beiläufig ein großer Fortschritt des neunzehnten
Jahrhunderts, wenn auch nicht eben rühmlich für seine Moralität, daß was u a es
der Hochzeit vorgeht, uicht mehr hinter den Coulissen bleibt. -- Die Intriguen
der Heirath bedingten sofort eine Reihe nothwendiger Masken, die zwar mit der
Lokalfarbe wechselten, die sich aber in ihrem wesentlichen Zuschnitt immer gleich
blieben. Der verliebte Alte oder der geizige Vater, der gefoppt werden muß; der
Liebhaber; der verschmitzte Sklave, der, obgleich sein Leben zur Verfügung des
Herrn steht, dennoch mit ihm ein dreistes Spiel zu treiben wagt, weil er im
Gefühl seiner überlegenen List der Ketten spottet; endlich die vermeintliche Fremde,
die nach Athenischem Gesetz keinen Bürger heirathen darf, von der aber zum Schluß
durch Vermittelung irgend eines "tous ox linota,-,, sich ergibt, daß sie ans einer
Bürgerfamilie herstammt: das ist ungefähr der ganze Apparat des menandrischcn
Theaters, den wir in den römischen Nachahmungen des Terenz wiederfinden. Es
ist immer nur ein Wechsel der Combination, die wesentlichen Ingredienzen des
Lustspiels bleibe" die nämlichen, wenn auch, wie bei Plautus, hin und wieder
eine unmittelbar angeschaute CharaktcrmaSke von localer Färbung eingeschwärzt wird.

In den Masken der italienischen Pantomime erkennen wir leicht die alten
Lustspielfignren wieder, nnr sind sie nach allen Seiten hin komisch-phantastisch


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Man vergesse nicht, daß der Gegensatz zwischen Tragödie und Komödie nicht
abstract gefaßt werden darf. Freilich sind die Personen der Tragödie freie Indi¬
viduen, die Personen der Komödie Typen; der Boden der Tragödie ist die all¬
gemein menschliche Sittlichkeit, der Boden der Komödie die endliche Convenienz.
Aber das freie Individuum ist uicht ohne Bestimmtheit, die lustige Person nicht
ohne Individualität und uicht ohne ideale Basis zu denken. Gerade in dem Her-
einragen des Idealen, des rein Menschlichen in die Zufälligkeit des komischen Kon¬
trastes, in dem es uicht aufgehoben, sondern nur gebrochen erscheint, liegt der
größte Reiz des Lustspiels, und diese Seite ist es, die wir an ihm aufzu¬
fassen gedenken. Denn der Spaß, hinter den sich nicht ein relativ ernstes
Problem versteckt, gehört nicht in die Geschichte der menschlichen Cultur. Nur
hat der Lustspieldichter, der für das Bedürfniß des Tages arbeitet, in der Regel
nicht das Bewußtsein dieses Verhältnisses, weil er selber in dem Kreise steht, den
er darstellt. Ueber den einfachen Gegensatz der ungebildeten Subjectivität und
der gedankenlosen Convenienz hinauszugehen, ist das Zeichen des großen Dich¬
ters — eines Aristophanes und Shakespeare.

Ein rascher Blick auf die Geschichte des Lustspiels wird diesen .Gedanken
verdeutlichen.

Nach Aristophanes, der bis jetzt noch in der Poesie ohne Gleichen ist, ge¬
wann das Lustspiel von Athen sogleich diejenige Form, die es bis auf den heuti¬
gen Tag behalten hat. Abgesehen von den Sitnationspossen, Menächmen n. tgi.,
war der wesentliche Gegenstand immer eine Heirath, die trotz mancher Schwierig¬
keiten zu Stande kommt. Es ist beiläufig ein großer Fortschritt des neunzehnten
Jahrhunderts, wenn auch nicht eben rühmlich für seine Moralität, daß was u a es
der Hochzeit vorgeht, uicht mehr hinter den Coulissen bleibt. — Die Intriguen
der Heirath bedingten sofort eine Reihe nothwendiger Masken, die zwar mit der
Lokalfarbe wechselten, die sich aber in ihrem wesentlichen Zuschnitt immer gleich
blieben. Der verliebte Alte oder der geizige Vater, der gefoppt werden muß; der
Liebhaber; der verschmitzte Sklave, der, obgleich sein Leben zur Verfügung des
Herrn steht, dennoch mit ihm ein dreistes Spiel zu treiben wagt, weil er im
Gefühl seiner überlegenen List der Ketten spottet; endlich die vermeintliche Fremde,
die nach Athenischem Gesetz keinen Bürger heirathen darf, von der aber zum Schluß
durch Vermittelung irgend eines «tous ox linota,-,, sich ergibt, daß sie ans einer
Bürgerfamilie herstammt: das ist ungefähr der ganze Apparat des menandrischcn
Theaters, den wir in den römischen Nachahmungen des Terenz wiederfinden. Es
ist immer nur ein Wechsel der Combination, die wesentlichen Ingredienzen des
Lustspiels bleibe» die nämlichen, wenn auch, wie bei Plautus, hin und wieder
eine unmittelbar angeschaute CharaktcrmaSke von localer Färbung eingeschwärzt wird.

In den Masken der italienischen Pantomime erkennen wir leicht die alten
Lustspielfignren wieder, nnr sind sie nach allen Seiten hin komisch-phantastisch


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[0247] Man vergesse nicht, daß der Gegensatz zwischen Tragödie und Komödie nicht abstract gefaßt werden darf. Freilich sind die Personen der Tragödie freie Indi¬ viduen, die Personen der Komödie Typen; der Boden der Tragödie ist die all¬ gemein menschliche Sittlichkeit, der Boden der Komödie die endliche Convenienz. Aber das freie Individuum ist uicht ohne Bestimmtheit, die lustige Person nicht ohne Individualität und uicht ohne ideale Basis zu denken. Gerade in dem Her- einragen des Idealen, des rein Menschlichen in die Zufälligkeit des komischen Kon¬ trastes, in dem es uicht aufgehoben, sondern nur gebrochen erscheint, liegt der größte Reiz des Lustspiels, und diese Seite ist es, die wir an ihm aufzu¬ fassen gedenken. Denn der Spaß, hinter den sich nicht ein relativ ernstes Problem versteckt, gehört nicht in die Geschichte der menschlichen Cultur. Nur hat der Lustspieldichter, der für das Bedürfniß des Tages arbeitet, in der Regel nicht das Bewußtsein dieses Verhältnisses, weil er selber in dem Kreise steht, den er darstellt. Ueber den einfachen Gegensatz der ungebildeten Subjectivität und der gedankenlosen Convenienz hinauszugehen, ist das Zeichen des großen Dich¬ ters — eines Aristophanes und Shakespeare. Ein rascher Blick auf die Geschichte des Lustspiels wird diesen .Gedanken verdeutlichen. Nach Aristophanes, der bis jetzt noch in der Poesie ohne Gleichen ist, ge¬ wann das Lustspiel von Athen sogleich diejenige Form, die es bis auf den heuti¬ gen Tag behalten hat. Abgesehen von den Sitnationspossen, Menächmen n. tgi., war der wesentliche Gegenstand immer eine Heirath, die trotz mancher Schwierig¬ keiten zu Stande kommt. Es ist beiläufig ein großer Fortschritt des neunzehnten Jahrhunderts, wenn auch nicht eben rühmlich für seine Moralität, daß was u a es der Hochzeit vorgeht, uicht mehr hinter den Coulissen bleibt. — Die Intriguen der Heirath bedingten sofort eine Reihe nothwendiger Masken, die zwar mit der Lokalfarbe wechselten, die sich aber in ihrem wesentlichen Zuschnitt immer gleich blieben. Der verliebte Alte oder der geizige Vater, der gefoppt werden muß; der Liebhaber; der verschmitzte Sklave, der, obgleich sein Leben zur Verfügung des Herrn steht, dennoch mit ihm ein dreistes Spiel zu treiben wagt, weil er im Gefühl seiner überlegenen List der Ketten spottet; endlich die vermeintliche Fremde, die nach Athenischem Gesetz keinen Bürger heirathen darf, von der aber zum Schluß durch Vermittelung irgend eines «tous ox linota,-,, sich ergibt, daß sie ans einer Bürgerfamilie herstammt: das ist ungefähr der ganze Apparat des menandrischcn Theaters, den wir in den römischen Nachahmungen des Terenz wiederfinden. Es ist immer nur ein Wechsel der Combination, die wesentlichen Ingredienzen des Lustspiels bleibe» die nämlichen, wenn auch, wie bei Plautus, hin und wieder eine unmittelbar angeschaute CharaktcrmaSke von localer Färbung eingeschwärzt wird. In den Masken der italienischen Pantomime erkennen wir leicht die alten Lustspielfignren wieder, nnr sind sie nach allen Seiten hin komisch-phantastisch 31*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/247>, abgerufen am 15.01.2025.