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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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geht der tragische Eindruck seines Schicksals verloren. Das Widersinnige -- und
alle blos den Irrthümern einer bestimmten Zeit entsprungene Leidenschaft fällt in
diese Kategorie -- kann nur in einer Form poetisch idcalistrt werden -- in der
Komödie. Die Komödie ist eine Poesie des Scheins, die Lösung blos eingebildeter
Conflikte.

Man wundere sich daher nicht, wenn ich in den folgenden Skizzen die Cha¬
raktermasken, die eigentlich dem Lustspiel angehören sollen, zum Theil aus tragischen
Poeten entlehne. Es soll das zugleich eine Kritik jener Poeten und ihres sittli-
lichen Standpunktes sein.

Diejenigen Charaktere, welche wir als Resultate einer
Zeit, die mit ihren sittlichen Problemen nicht ins Reine gekom¬
men, die also noch in ihrer Form unfertig geblieben ist, be¬
greifen, gehören -- als Hauptgegenstand -- nnr ins Lustspiel,
ebenso wie die Schicksale, die nnr aus der Verwickelung conven-
tioneller Einseitigkeiten hervorgehen. Ob die eine Kunstform das
Recht hat, nebenbei mit dem Material der andern zu operiren, lasse ich hier
dahingestellt sein, nur Eins will ich bemerken: der tragische Ausgang ist für
eine Tragödie unerläßlich, aus dem einfachen Grunde, weil sonst der Konflikt sich
als ein blos scheinbarer, also dem höheren Bewußtsein gegenüber als ein komi¬
scher erweist, und weil es das Publikum mit Recht dem Dichter als eine Beleidi¬
gung auslegt, wenn er mit seinen Empfindungen spielt, sein sittliches Gefühl vexirt.

Die Komödie hat es also einerseits mit Charakteren zu thun, die nicht der
Ausdruck des allgemein Menschlichen sind, sondern die in sich selbst widerspre¬
chenden Resultate einer unfertigen Sittlichkeit. Dahin gehören auch die Leidenschaf¬
ten, die sich aus den Schein beziehen. Ehrgeiz, wo wirklich Kraft da ist, Liebe,
Zorn über Verletzungen der persönlichen Integrität n. s. w. sind Leidenschaften, die
zum Wesen des echten Menschen gehören, also tragisch, ebenso wie die Kollisionen
dieser verschiedenartigen Motive; mit Leidenschaften dagegen, die sich nnr auf eine
Einbildung beziehen, z. B. Geiz, oder die in das Gebiet der Pathologie fallen,
wie Spielsucht und Trunksucht, die Würde des Tragischen zu beflecken, war nnr
in unserm wunderbaren Säculum möglich.

Andererseits kaun das Schicksal, über das wir lachen sollen, nur ein Spiel
des Zufalls sein, oder, wenn die Personen activ auftreten, Intrigue, d. h. Ver¬
wickelungen des endlichen Verstandes. In diesen beiden Elementen -- den Figu¬
ren oder den Situationen -- liegt das Komische, und je roher die Form des Lust¬
spiels ist, desto einseitiger wird das eine oder das andere hervorgekehrt werden. Sl-
tucitivus- oder Jutriguenspiele mit ganz farblosen, hölzernen Figuren, wie in den
italienischen oder spanischen Masken, oder Zerrbilder eines komischen Charakters
nach der Weise la Brnyi;res, wie in einem großen Theil des englischen Lustspiels,
gehen zuletzt in bloße Posse aus, und verlassen das Gebiet der Kunst.


geht der tragische Eindruck seines Schicksals verloren. Das Widersinnige — und
alle blos den Irrthümern einer bestimmten Zeit entsprungene Leidenschaft fällt in
diese Kategorie — kann nur in einer Form poetisch idcalistrt werden — in der
Komödie. Die Komödie ist eine Poesie des Scheins, die Lösung blos eingebildeter
Conflikte.

Man wundere sich daher nicht, wenn ich in den folgenden Skizzen die Cha¬
raktermasken, die eigentlich dem Lustspiel angehören sollen, zum Theil aus tragischen
Poeten entlehne. Es soll das zugleich eine Kritik jener Poeten und ihres sittli-
lichen Standpunktes sein.

Diejenigen Charaktere, welche wir als Resultate einer
Zeit, die mit ihren sittlichen Problemen nicht ins Reine gekom¬
men, die also noch in ihrer Form unfertig geblieben ist, be¬
greifen, gehören — als Hauptgegenstand — nnr ins Lustspiel,
ebenso wie die Schicksale, die nnr aus der Verwickelung conven-
tioneller Einseitigkeiten hervorgehen. Ob die eine Kunstform das
Recht hat, nebenbei mit dem Material der andern zu operiren, lasse ich hier
dahingestellt sein, nur Eins will ich bemerken: der tragische Ausgang ist für
eine Tragödie unerläßlich, aus dem einfachen Grunde, weil sonst der Konflikt sich
als ein blos scheinbarer, also dem höheren Bewußtsein gegenüber als ein komi¬
scher erweist, und weil es das Publikum mit Recht dem Dichter als eine Beleidi¬
gung auslegt, wenn er mit seinen Empfindungen spielt, sein sittliches Gefühl vexirt.

Die Komödie hat es also einerseits mit Charakteren zu thun, die nicht der
Ausdruck des allgemein Menschlichen sind, sondern die in sich selbst widerspre¬
chenden Resultate einer unfertigen Sittlichkeit. Dahin gehören auch die Leidenschaf¬
ten, die sich aus den Schein beziehen. Ehrgeiz, wo wirklich Kraft da ist, Liebe,
Zorn über Verletzungen der persönlichen Integrität n. s. w. sind Leidenschaften, die
zum Wesen des echten Menschen gehören, also tragisch, ebenso wie die Kollisionen
dieser verschiedenartigen Motive; mit Leidenschaften dagegen, die sich nnr auf eine
Einbildung beziehen, z. B. Geiz, oder die in das Gebiet der Pathologie fallen,
wie Spielsucht und Trunksucht, die Würde des Tragischen zu beflecken, war nnr
in unserm wunderbaren Säculum möglich.

Andererseits kaun das Schicksal, über das wir lachen sollen, nur ein Spiel
des Zufalls sein, oder, wenn die Personen activ auftreten, Intrigue, d. h. Ver¬
wickelungen des endlichen Verstandes. In diesen beiden Elementen — den Figu¬
ren oder den Situationen — liegt das Komische, und je roher die Form des Lust¬
spiels ist, desto einseitiger wird das eine oder das andere hervorgekehrt werden. Sl-
tucitivus- oder Jutriguenspiele mit ganz farblosen, hölzernen Figuren, wie in den
italienischen oder spanischen Masken, oder Zerrbilder eines komischen Charakters
nach der Weise la Brnyi;res, wie in einem großen Theil des englischen Lustspiels,
gehen zuletzt in bloße Posse aus, und verlassen das Gebiet der Kunst.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/246>, abgerufen am 15.01.2025.