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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Betrachtungen eines belagerten Gefanttntöstreichers.



Immer Neues bringt die Zeit; seit der Dampf in die Reihe der Faktoren
unserer Zustände getreten, hat auch die Produktivität der Zeit sich gesteigert, sie
will sich nicht beschämen lassen von dem Emporkömmling "nscrcr Tage, dem Dampf.

Die Zustände wechseln nud fliegen vor uns vorüber wie Guckkastenbilder,
die Gegenwart macht so tief einschneidende Impressionen, daß wir über diesen
uns keiner mehr der nächsten Vergangenheit klar erinnern.

Frei, vielleicht überfrei, waren wir im Jahre 1.848, täuscht unsere traum¬
hafte Erinnerung uns nicht; belagert, über alle Maßen, sind wir heute, und so
weit gebracht, daß wir vom Jahre 1848 sprechen, wie unsere Väter von der gu¬
ten alten Zeit.

Wahrlich auf die Erfindung des idealen Belagerungszustandes hat die Neu¬
zeit eben nicht stolz zu sein, eine Zeit, welche sich der Jesuiten entledigt hat,
und doch mahnt die Erfindung jener Belagerungsmethode ohne Badister und
Mauerbrecher stark an Jesuitismus, so daß es den Anschein gewinnt, als hätten
die frommen Väter ihre Dreimasterhüte in den Ministerhotels deponirt, und der
denselben inwohnende Jesuitenspiritus fnngire als Mitkousnlcnt bei den Be¬
rathungen.

Der moderne Belagerungszustand scheint sich bei uns eben so festgesetzt zu
haben, wie die leidige Cholera, wie diese macht er sich zumeist in großen Städten
breit, wie diese gehet er den großen Heereszügen nach, wie gegen diese, ist auch
noch kein Mittel gegen jene politische Pest erfunden, es wäre denn die Friedcns-
zeitnng -- dieses Mittel, welches vor Kurzem in Wien geboren worden uuter Mit¬
wirkung der redeseligen Hebamme D. Wildner von Maithstein.

Die Cholera ist eine Geißel Gottes, der Belagerungszustand eine Geißel
von Gottes Gnaden, die Cholera wird, wie viele behaupten, durch eine Masse
kleiner Thierchen erzeugt, der Belagerungszustand hat ähnliches mit der Cholera
gemein, nur sind die Dimensionen größer, eines Voigtläuderschen Mikroskopes be¬
darf es nicht, um die Infusorien zu entdecken, welche uns die Luft der freien
Berechtigung verpesten.

Der Belagerungszustand ist ein Ausnahmsznstand, wie man uus ver¬
sichert, er ist also sporadischer Natur, in Oestreich aber, in dem octroyirtconstitutio-
Nellen, ist er zur förmlichen Regel geworden, die von ihm noch nicht ergriffenen
Freiheitsoasen des Reiches bilden blos kleine freiheitssieche des Contagiums stets
gewärtige Ausnahmen.


Gmizbutcn. >V. 1849. 29
Betrachtungen eines belagerten Gefanttntöstreichers.



Immer Neues bringt die Zeit; seit der Dampf in die Reihe der Faktoren
unserer Zustände getreten, hat auch die Produktivität der Zeit sich gesteigert, sie
will sich nicht beschämen lassen von dem Emporkömmling „nscrcr Tage, dem Dampf.

Die Zustände wechseln nud fliegen vor uns vorüber wie Guckkastenbilder,
die Gegenwart macht so tief einschneidende Impressionen, daß wir über diesen
uns keiner mehr der nächsten Vergangenheit klar erinnern.

Frei, vielleicht überfrei, waren wir im Jahre 1.848, täuscht unsere traum¬
hafte Erinnerung uns nicht; belagert, über alle Maßen, sind wir heute, und so
weit gebracht, daß wir vom Jahre 1848 sprechen, wie unsere Väter von der gu¬
ten alten Zeit.

Wahrlich auf die Erfindung des idealen Belagerungszustandes hat die Neu¬
zeit eben nicht stolz zu sein, eine Zeit, welche sich der Jesuiten entledigt hat,
und doch mahnt die Erfindung jener Belagerungsmethode ohne Badister und
Mauerbrecher stark an Jesuitismus, so daß es den Anschein gewinnt, als hätten
die frommen Väter ihre Dreimasterhüte in den Ministerhotels deponirt, und der
denselben inwohnende Jesuitenspiritus fnngire als Mitkousnlcnt bei den Be¬
rathungen.

Der moderne Belagerungszustand scheint sich bei uns eben so festgesetzt zu
haben, wie die leidige Cholera, wie diese macht er sich zumeist in großen Städten
breit, wie diese gehet er den großen Heereszügen nach, wie gegen diese, ist auch
noch kein Mittel gegen jene politische Pest erfunden, es wäre denn die Friedcns-
zeitnng — dieses Mittel, welches vor Kurzem in Wien geboren worden uuter Mit¬
wirkung der redeseligen Hebamme D. Wildner von Maithstein.

Die Cholera ist eine Geißel Gottes, der Belagerungszustand eine Geißel
von Gottes Gnaden, die Cholera wird, wie viele behaupten, durch eine Masse
kleiner Thierchen erzeugt, der Belagerungszustand hat ähnliches mit der Cholera
gemein, nur sind die Dimensionen größer, eines Voigtläuderschen Mikroskopes be¬
darf es nicht, um die Infusorien zu entdecken, welche uns die Luft der freien
Berechtigung verpesten.

Der Belagerungszustand ist ein Ausnahmsznstand, wie man uus ver¬
sichert, er ist also sporadischer Natur, in Oestreich aber, in dem octroyirtconstitutio-
Nellen, ist er zur förmlichen Regel geworden, die von ihm noch nicht ergriffenen
Freiheitsoasen des Reiches bilden blos kleine freiheitssieche des Contagiums stets
gewärtige Ausnahmen.


Gmizbutcn. >V. 1849. 29
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[0229] Betrachtungen eines belagerten Gefanttntöstreichers. Immer Neues bringt die Zeit; seit der Dampf in die Reihe der Faktoren unserer Zustände getreten, hat auch die Produktivität der Zeit sich gesteigert, sie will sich nicht beschämen lassen von dem Emporkömmling „nscrcr Tage, dem Dampf. Die Zustände wechseln nud fliegen vor uns vorüber wie Guckkastenbilder, die Gegenwart macht so tief einschneidende Impressionen, daß wir über diesen uns keiner mehr der nächsten Vergangenheit klar erinnern. Frei, vielleicht überfrei, waren wir im Jahre 1.848, täuscht unsere traum¬ hafte Erinnerung uns nicht; belagert, über alle Maßen, sind wir heute, und so weit gebracht, daß wir vom Jahre 1848 sprechen, wie unsere Väter von der gu¬ ten alten Zeit. Wahrlich auf die Erfindung des idealen Belagerungszustandes hat die Neu¬ zeit eben nicht stolz zu sein, eine Zeit, welche sich der Jesuiten entledigt hat, und doch mahnt die Erfindung jener Belagerungsmethode ohne Badister und Mauerbrecher stark an Jesuitismus, so daß es den Anschein gewinnt, als hätten die frommen Väter ihre Dreimasterhüte in den Ministerhotels deponirt, und der denselben inwohnende Jesuitenspiritus fnngire als Mitkousnlcnt bei den Be¬ rathungen. Der moderne Belagerungszustand scheint sich bei uns eben so festgesetzt zu haben, wie die leidige Cholera, wie diese macht er sich zumeist in großen Städten breit, wie diese gehet er den großen Heereszügen nach, wie gegen diese, ist auch noch kein Mittel gegen jene politische Pest erfunden, es wäre denn die Friedcns- zeitnng — dieses Mittel, welches vor Kurzem in Wien geboren worden uuter Mit¬ wirkung der redeseligen Hebamme D. Wildner von Maithstein. Die Cholera ist eine Geißel Gottes, der Belagerungszustand eine Geißel von Gottes Gnaden, die Cholera wird, wie viele behaupten, durch eine Masse kleiner Thierchen erzeugt, der Belagerungszustand hat ähnliches mit der Cholera gemein, nur sind die Dimensionen größer, eines Voigtläuderschen Mikroskopes be¬ darf es nicht, um die Infusorien zu entdecken, welche uns die Luft der freien Berechtigung verpesten. Der Belagerungszustand ist ein Ausnahmsznstand, wie man uus ver¬ sichert, er ist also sporadischer Natur, in Oestreich aber, in dem octroyirtconstitutio- Nellen, ist er zur förmlichen Regel geworden, die von ihm noch nicht ergriffenen Freiheitsoasen des Reiches bilden blos kleine freiheitssieche des Contagiums stets gewärtige Ausnahmen. Gmizbutcn. >V. 1849. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/229>, abgerufen am 15.01.2025.