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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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braunen Araber. Der Derwisch erhob endlich die rechte Hand, mit der Fläche
zum Gesichte Bathyauy'S gewandt, die fünf Finger auseinanderhaltend.

Der Graf verstand die Pantomime nicht sogleich, oder wollte sie nicht
verstehen.

Der Derwisch neigte die Hand gegen Batthyany, und brachte sie dann in
die frühere Position, wobei ein trüber Ernst ans den dunkeln Augen blitzte.

Batthyany wurde blaß und verlegen, wie Jemand, der die Verlegenheit zu
verbergen sich bemüht; erst nach einigen Secunden gelang es ihm, die frühere
Fassung zu erringen, und mit zum Lachen verzogenem Munde sagte er zu einem
nebenstehenden Freunde: In fünf Jahren? Das wäre zu früh. Ich brauche noch
ein Vierteljahrhundert, um meinen Lebenszweck zu erreichen, und ohne einen Sohn
zu hinterlassen, möchte ich die Welt nicht verlassen. (Er hatte damals noch keinen
männlichen Erben.) Meinem Vetter (Graf Carl Batthyany) möchte ich nicht die
schönen Güter übergeben, er liebt sein Vaterland nicht.

"Lappalien," sagte der Mitreisende; "wie kann mau so ernst werden, weil
ein dummer Derwisch Wahrsagerei treibt, wahrscheinlich um ein paar Goldstücke
zu erbeuten. Wir wollen ihm für den Schabernack gleich Revange geben."

Mit diesen Worten ergriff der Mitreisende die Hand des Derwisch, die dieser
gleichgiltig und ohne Zögern ihm überließ; überlegend und nachsinnend schaute er
daraus, und hob endlich den Zeigefinger in die Höhe, andeutend: der Derwisch
werde nur uoch ein Jahr leben. Der Derwisch nahm ein Oelfläschchcu ans den
weiten Falten seines Gewandes, benetzte die Finger damit, sah hierauf gegen den
Himmel und wandte sich Mekkaseits, leise die Lippen bewegend. Weder Angst
noch Sehen war in den Mienen des Orientalen zu erkennen; es schien blos, er
wolle jeden Augenblick bereit sein, das Paradies zu betreten.

Batthyany sagte zum Freunde: "Ihr Witz fruchtet nichts. Sie ängstigen
nicht deu Weisen des Morgenlandes, sondern vermehren nur die Angst des Tho¬
ren aus dem Abendland. Wir möge.n Philosophiren wie wir wollen, wir bringen
dennoch nicht den Respect vor Ammenmärchen aus den Gliedern. Ich schäme mich
nicht zu gestehen, daß die Prophezeihung des Arabers einen Eindruck auf mich
machte; weder Geldgier noch Prunksucht hat deu Derwisch zu seiner Wahrsagung
veranlaßt, und außer Nang und Namen weiß er nichts von meine" Verhältnissen.
Hat er in den Linien meiner Hand mein Geschick gelesen, so wird es sich erfüllen.
Ich glaube auch, daß die Chiromanthie noch zu einer Wissenschaft gedeihen wird,
und es bleibt nicht das Letzte, was wir dem Orient zu verdanken haben werden."

Der Sommer des Jahres 1849 war noch nicht zu Ende, also das fünfte Jahr
seit jeuer Scene, für deren volle Wahrheit wir bürgen, noch nicht verflossen, so
lag Graf Ludwig Batthyany todt im neugebaute zu Pesth.




braunen Araber. Der Derwisch erhob endlich die rechte Hand, mit der Fläche
zum Gesichte Bathyauy'S gewandt, die fünf Finger auseinanderhaltend.

Der Graf verstand die Pantomime nicht sogleich, oder wollte sie nicht
verstehen.

Der Derwisch neigte die Hand gegen Batthyany, und brachte sie dann in
die frühere Position, wobei ein trüber Ernst ans den dunkeln Augen blitzte.

Batthyany wurde blaß und verlegen, wie Jemand, der die Verlegenheit zu
verbergen sich bemüht; erst nach einigen Secunden gelang es ihm, die frühere
Fassung zu erringen, und mit zum Lachen verzogenem Munde sagte er zu einem
nebenstehenden Freunde: In fünf Jahren? Das wäre zu früh. Ich brauche noch
ein Vierteljahrhundert, um meinen Lebenszweck zu erreichen, und ohne einen Sohn
zu hinterlassen, möchte ich die Welt nicht verlassen. (Er hatte damals noch keinen
männlichen Erben.) Meinem Vetter (Graf Carl Batthyany) möchte ich nicht die
schönen Güter übergeben, er liebt sein Vaterland nicht.

„Lappalien," sagte der Mitreisende; „wie kann mau so ernst werden, weil
ein dummer Derwisch Wahrsagerei treibt, wahrscheinlich um ein paar Goldstücke
zu erbeuten. Wir wollen ihm für den Schabernack gleich Revange geben."

Mit diesen Worten ergriff der Mitreisende die Hand des Derwisch, die dieser
gleichgiltig und ohne Zögern ihm überließ; überlegend und nachsinnend schaute er
daraus, und hob endlich den Zeigefinger in die Höhe, andeutend: der Derwisch
werde nur uoch ein Jahr leben. Der Derwisch nahm ein Oelfläschchcu ans den
weiten Falten seines Gewandes, benetzte die Finger damit, sah hierauf gegen den
Himmel und wandte sich Mekkaseits, leise die Lippen bewegend. Weder Angst
noch Sehen war in den Mienen des Orientalen zu erkennen; es schien blos, er
wolle jeden Augenblick bereit sein, das Paradies zu betreten.

Batthyany sagte zum Freunde: „Ihr Witz fruchtet nichts. Sie ängstigen
nicht deu Weisen des Morgenlandes, sondern vermehren nur die Angst des Tho¬
ren aus dem Abendland. Wir möge.n Philosophiren wie wir wollen, wir bringen
dennoch nicht den Respect vor Ammenmärchen aus den Gliedern. Ich schäme mich
nicht zu gestehen, daß die Prophezeihung des Arabers einen Eindruck auf mich
machte; weder Geldgier noch Prunksucht hat deu Derwisch zu seiner Wahrsagung
veranlaßt, und außer Nang und Namen weiß er nichts von meine» Verhältnissen.
Hat er in den Linien meiner Hand mein Geschick gelesen, so wird es sich erfüllen.
Ich glaube auch, daß die Chiromanthie noch zu einer Wissenschaft gedeihen wird,
und es bleibt nicht das Letzte, was wir dem Orient zu verdanken haben werden."

Der Sommer des Jahres 1849 war noch nicht zu Ende, also das fünfte Jahr
seit jeuer Scene, für deren volle Wahrheit wir bürgen, noch nicht verflossen, so
lag Graf Ludwig Batthyany todt im neugebaute zu Pesth.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/228>, abgerufen am 15.01.2025.