Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

furchtbarste mehr. Ein anderer Krater hat sich in Rom geöffnet und ans ihm werden die
nachterhellenden Schreckensflammeu einst über die ganze katholische Welt auflodern.
Versuche es und setzt Euren stattlichsten Prälaten über die Oeffnung, ob er den Ausbruch
ein Viertel Jahrhundert lang abhalte! Wohl gäbe es ein Mittel: die Gesammtdumm-
heit des heiligen römischen Alröstreich frisch hineingeworfen, -- diese Nieseulast
reichte wohl hin, den unerbittlichen Abgrund auf gütlichem Wege auszufüllen.
Doch wer kann von Euch solch theures Opfer verlangen? --

Diese radikale Aufwallung hatte mein vis-it-vis in mir hervorgerufen. Wäh¬
rend meiner laugen Anrede war der fromme Schneider selig eingeschlafen und ac-
compagnirte mit elegischen Nasenlauten meine terroristischen Worte. Doch, die
Wahrheit zu gestehen, ich hielt die Rede blos in Gedanken; ich war so stumm
wie die Stockuhr in der Ecke, deren Pendel stillstand, und wie der Geistliche,
der, mit auf den Tisch geftemmteu Ellenbogen dasaß und mich starr ansah.
Er mochte in meinem Mienenspiel gelesen haben, was mir die Seele bewegte,
und hub an einzulenken: Sie halten mich wohl für einen Finsterling, aber, mein
Herr, Sie irren sich. Die Freiheit ist eine edle Gottesgabe, die Ausklärung ziert
den Menschen und ich habe in meinem kleinen Wirkungskreise die Unduldsamkeit
stets bekämpft; wenn man nur immer zwischen der wahren und der falschen Tole¬
ranz zu unterscheiden wüßte! -- Phe! erwiederte ich, aufstehend, nahm den Hut
und rannte ihm in's Ohr: Hochwürdiger Herr, Sie sind des Teufels.
Er fuhr aus. -- Stille, rief ich. Sie reden sich um Ihr Seelenheil. Wissen
Sie, was ein gewisser Prediger vorigen Sonntag in der Martinskirche von, der
Kanzel herabdonnerte: Das aber sageich Euch, wer da mit einem Juden, einem
Ketzer oder Radikale" freundliche Worte wechselt, der wird am hellen Mittag
lebendigen Leibes zur Hölle fahren. Sie haben mit mir gesprochen, und wohl
Ihnen, wäre ich nichts Schlimmeres als ein Ketzer--- (Forts.folgt.)




Aus Wien.
Von M. C. et.



Haynau zum Dictator in Oestreich ausgerufen! -- Diese tele¬
graphische Depesche ist nicht von meiner Erfindung, sie steht, ziemlich unverblümt,
in den meisten östreichischen Journalen. Haynau habe gedroht, die Monarchie im
Stich zu lassen, wenn ihm die Vollmacht über Leben und Tod in Ungarn geschmä¬
lert würde. Diese Drohung habe jede Rücksicht der Menschlichkeit und Klugheit
überwogen und das Geschrei der Völker, die Stimme Europas übertönt. Der
Kaiser, der Hof, die Minister beugten sich unter den Willen des eisernen Lands-


furchtbarste mehr. Ein anderer Krater hat sich in Rom geöffnet und ans ihm werden die
nachterhellenden Schreckensflammeu einst über die ganze katholische Welt auflodern.
Versuche es und setzt Euren stattlichsten Prälaten über die Oeffnung, ob er den Ausbruch
ein Viertel Jahrhundert lang abhalte! Wohl gäbe es ein Mittel: die Gesammtdumm-
heit des heiligen römischen Alröstreich frisch hineingeworfen, — diese Nieseulast
reichte wohl hin, den unerbittlichen Abgrund auf gütlichem Wege auszufüllen.
Doch wer kann von Euch solch theures Opfer verlangen? —

Diese radikale Aufwallung hatte mein vis-it-vis in mir hervorgerufen. Wäh¬
rend meiner laugen Anrede war der fromme Schneider selig eingeschlafen und ac-
compagnirte mit elegischen Nasenlauten meine terroristischen Worte. Doch, die
Wahrheit zu gestehen, ich hielt die Rede blos in Gedanken; ich war so stumm
wie die Stockuhr in der Ecke, deren Pendel stillstand, und wie der Geistliche,
der, mit auf den Tisch geftemmteu Ellenbogen dasaß und mich starr ansah.
Er mochte in meinem Mienenspiel gelesen haben, was mir die Seele bewegte,
und hub an einzulenken: Sie halten mich wohl für einen Finsterling, aber, mein
Herr, Sie irren sich. Die Freiheit ist eine edle Gottesgabe, die Ausklärung ziert
den Menschen und ich habe in meinem kleinen Wirkungskreise die Unduldsamkeit
stets bekämpft; wenn man nur immer zwischen der wahren und der falschen Tole¬
ranz zu unterscheiden wüßte! — Phe! erwiederte ich, aufstehend, nahm den Hut
und rannte ihm in's Ohr: Hochwürdiger Herr, Sie sind des Teufels.
Er fuhr aus. — Stille, rief ich. Sie reden sich um Ihr Seelenheil. Wissen
Sie, was ein gewisser Prediger vorigen Sonntag in der Martinskirche von, der
Kanzel herabdonnerte: Das aber sageich Euch, wer da mit einem Juden, einem
Ketzer oder Radikale» freundliche Worte wechselt, der wird am hellen Mittag
lebendigen Leibes zur Hölle fahren. Sie haben mit mir gesprochen, und wohl
Ihnen, wäre ich nichts Schlimmeres als ein Ketzer--- (Forts.folgt.)




Aus Wien.
Von M. C. et.



Haynau zum Dictator in Oestreich ausgerufen! — Diese tele¬
graphische Depesche ist nicht von meiner Erfindung, sie steht, ziemlich unverblümt,
in den meisten östreichischen Journalen. Haynau habe gedroht, die Monarchie im
Stich zu lassen, wenn ihm die Vollmacht über Leben und Tod in Ungarn geschmä¬
lert würde. Diese Drohung habe jede Rücksicht der Menschlichkeit und Klugheit
überwogen und das Geschrei der Völker, die Stimme Europas übertönt. Der
Kaiser, der Hof, die Minister beugten sich unter den Willen des eisernen Lands-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0220" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279768"/>
            <p xml:id="ID_739" prev="#ID_738"> furchtbarste mehr. Ein anderer Krater hat sich in Rom geöffnet und ans ihm werden die<lb/>
nachterhellenden Schreckensflammeu einst über die ganze katholische Welt auflodern.<lb/>
Versuche es und setzt Euren stattlichsten Prälaten über die Oeffnung, ob er den Ausbruch<lb/>
ein Viertel Jahrhundert lang abhalte! Wohl gäbe es ein Mittel: die Gesammtdumm-<lb/>
heit des heiligen römischen Alröstreich frisch hineingeworfen, &#x2014; diese Nieseulast<lb/>
reichte wohl hin, den unerbittlichen Abgrund auf gütlichem Wege auszufüllen.<lb/>
Doch wer kann von Euch solch theures Opfer verlangen? &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_740"> Diese radikale Aufwallung hatte mein vis-it-vis in mir hervorgerufen. Wäh¬<lb/>
rend meiner laugen Anrede war der fromme Schneider selig eingeschlafen und ac-<lb/>
compagnirte mit elegischen Nasenlauten meine terroristischen Worte. Doch, die<lb/>
Wahrheit zu gestehen, ich hielt die Rede blos in Gedanken; ich war so stumm<lb/>
wie die Stockuhr in der Ecke, deren Pendel stillstand, und wie der Geistliche,<lb/>
der, mit auf den Tisch geftemmteu Ellenbogen dasaß und mich starr ansah.<lb/>
Er mochte in meinem Mienenspiel gelesen haben, was mir die Seele bewegte,<lb/>
und hub an einzulenken: Sie halten mich wohl für einen Finsterling, aber, mein<lb/>
Herr, Sie irren sich. Die Freiheit ist eine edle Gottesgabe, die Ausklärung ziert<lb/>
den Menschen und ich habe in meinem kleinen Wirkungskreise die Unduldsamkeit<lb/>
stets bekämpft; wenn man nur immer zwischen der wahren und der falschen Tole¬<lb/>
ranz zu unterscheiden wüßte! &#x2014; Phe! erwiederte ich, aufstehend, nahm den Hut<lb/>
und rannte ihm in's Ohr: Hochwürdiger Herr, Sie sind des Teufels.<lb/>
Er fuhr aus. &#x2014; Stille, rief ich. Sie reden sich um Ihr Seelenheil. Wissen<lb/>
Sie, was ein gewisser Prediger vorigen Sonntag in der Martinskirche von, der<lb/>
Kanzel herabdonnerte: Das aber sageich Euch, wer da mit einem Juden, einem<lb/>
Ketzer oder Radikale» freundliche Worte wechselt, der wird am hellen Mittag<lb/>
lebendigen Leibes zur Hölle fahren. Sie haben mit mir gesprochen, und wohl<lb/>
Ihnen, wäre ich nichts Schlimmeres als ein Ketzer--- (Forts.folgt.)</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Aus Wien.<lb/><note type="byline"> Von M. C. et.</note></head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_741" next="#ID_742"> Haynau zum Dictator in Oestreich ausgerufen! &#x2014; Diese tele¬<lb/>
graphische Depesche ist nicht von meiner Erfindung, sie steht, ziemlich unverblümt,<lb/>
in den meisten östreichischen Journalen. Haynau habe gedroht, die Monarchie im<lb/>
Stich zu lassen, wenn ihm die Vollmacht über Leben und Tod in Ungarn geschmä¬<lb/>
lert würde. Diese Drohung habe jede Rücksicht der Menschlichkeit und Klugheit<lb/>
überwogen und das Geschrei der Völker, die Stimme Europas übertönt. Der<lb/>
Kaiser, der Hof, die Minister beugten sich unter den Willen des eisernen Lands-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0220] furchtbarste mehr. Ein anderer Krater hat sich in Rom geöffnet und ans ihm werden die nachterhellenden Schreckensflammeu einst über die ganze katholische Welt auflodern. Versuche es und setzt Euren stattlichsten Prälaten über die Oeffnung, ob er den Ausbruch ein Viertel Jahrhundert lang abhalte! Wohl gäbe es ein Mittel: die Gesammtdumm- heit des heiligen römischen Alröstreich frisch hineingeworfen, — diese Nieseulast reichte wohl hin, den unerbittlichen Abgrund auf gütlichem Wege auszufüllen. Doch wer kann von Euch solch theures Opfer verlangen? — Diese radikale Aufwallung hatte mein vis-it-vis in mir hervorgerufen. Wäh¬ rend meiner laugen Anrede war der fromme Schneider selig eingeschlafen und ac- compagnirte mit elegischen Nasenlauten meine terroristischen Worte. Doch, die Wahrheit zu gestehen, ich hielt die Rede blos in Gedanken; ich war so stumm wie die Stockuhr in der Ecke, deren Pendel stillstand, und wie der Geistliche, der, mit auf den Tisch geftemmteu Ellenbogen dasaß und mich starr ansah. Er mochte in meinem Mienenspiel gelesen haben, was mir die Seele bewegte, und hub an einzulenken: Sie halten mich wohl für einen Finsterling, aber, mein Herr, Sie irren sich. Die Freiheit ist eine edle Gottesgabe, die Ausklärung ziert den Menschen und ich habe in meinem kleinen Wirkungskreise die Unduldsamkeit stets bekämpft; wenn man nur immer zwischen der wahren und der falschen Tole¬ ranz zu unterscheiden wüßte! — Phe! erwiederte ich, aufstehend, nahm den Hut und rannte ihm in's Ohr: Hochwürdiger Herr, Sie sind des Teufels. Er fuhr aus. — Stille, rief ich. Sie reden sich um Ihr Seelenheil. Wissen Sie, was ein gewisser Prediger vorigen Sonntag in der Martinskirche von, der Kanzel herabdonnerte: Das aber sageich Euch, wer da mit einem Juden, einem Ketzer oder Radikale» freundliche Worte wechselt, der wird am hellen Mittag lebendigen Leibes zur Hölle fahren. Sie haben mit mir gesprochen, und wohl Ihnen, wäre ich nichts Schlimmeres als ein Ketzer--- (Forts.folgt.) Aus Wien. Von M. C. et. Haynau zum Dictator in Oestreich ausgerufen! — Diese tele¬ graphische Depesche ist nicht von meiner Erfindung, sie steht, ziemlich unverblümt, in den meisten östreichischen Journalen. Haynau habe gedroht, die Monarchie im Stich zu lassen, wenn ihm die Vollmacht über Leben und Tod in Ungarn geschmä¬ lert würde. Diese Drohung habe jede Rücksicht der Menschlichkeit und Klugheit überwogen und das Geschrei der Völker, die Stimme Europas übertönt. Der Kaiser, der Hof, die Minister beugten sich unter den Willen des eisernen Lands-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/220
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/220>, abgerufen am 15.01.2025.