Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.sitzt, die Minorität aber ans den verhaßten deutschen Schulmeistern besteht, so er¬ Jenem communistischen Aberglauben fiel einer seiner eifrigsten Apostel selbst 24*
sitzt, die Minorität aber ans den verhaßten deutschen Schulmeistern besteht, so er¬ Jenem communistischen Aberglauben fiel einer seiner eifrigsten Apostel selbst 24*
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sitzt, die Minorität aber ans den verhaßten deutschen Schulmeistern besteht, so er¬
hob sich unter der hoffnungsvollen Völkerjugend das Geschrei: die Stiefel aus-
ziehn, die Bücher ins Feuer werfen, — sie verletzen die Gleichberechtigung, —
die Strümpfe ausziehen, nix Deutsch lernen, Ferien geben, Vivat die Gleichbe¬
rechtigung und die Majorität! — Beim Tschernvbog, ich übertreibe nickt oder mir
ein klein wenig. Wurde doch in einem ultranatioualen xschen Blättchen große
Beschwerde erhoben, daß die Deutschöstreicher Nichts ans dem Xschen übersetzten,
während die gesammte xsche Literatur aus Übertragungen aus dem Deutschen be¬
stehe. Wo da die Gleichberechtigung stecke, und wie die Regierung solchen Unfug
ruhig dulden könne? Ein ypsilonscher Patriot verlangte, daß die Deutschen in
Oestreich so lange nichts von Schiller und Göthe lesen sollten, bis auch die Up-
silonianer zwei solche Kerle haben würden. Gleichberechtigung! Aus einer neu
meublirten Hochschule in Oestreich hat man die geniale Einrichtung getroffen, daß
alle vorzutragenden Wissenschaften erst ins Weißrothgrüue übersetzt werden sollen, denn'
sie auf deutsch, welches in jener Gegend recht gut verstanden wird, zu studiren,
wäre gegen die Gleichberechtigung. Nun ist die weißrothgrüne Sprache ein Aschen¬
brödel unter den Zungen Europas; sie singt allerliebste Volkslieder, aber um ei¬
nen wissenschaftlichen Gedanken auszudrücken, einen philosophischen Satz nachzn-
lallen, ist sie viel zu arm und unschuldig. Man verschreibt daher einen Haufen
Sprachküustler und Schriftgelehrter aus allen östreichischen Weltgegenden, aus den
Karpathen, vom Pruth und dem Dniester, damit sie die gehörige Anzahl neuer
Worte erfinden, welche nöthig ist, um die Gesammtweisheit der Erde auszuspre-
chen. Dieser Schöpfungsprozeß dürfte einige zwanzig Jahre dauern, aber das
schadet Nichts, denn die Sprache ist dort zu Laude uicht Mittel der Bildung,
sondern umgekehrt. Vor der Hand also werden blos die übersetznngsfähigsten Bruch¬
stücke aus den alten Klassikern und die faßlichsten Kapitel aus Philosophie und
Geschichte aufgetischt werden. Fragmentarische Philosophie ist in der That ein
kaiser-königlicher Gedanke. Das geschieht aber dem Tacitus und Sophokles, dem
Kant und Cartesius schon recht. Warum waren sie nicht prophetisch genug, um
das einige und freie Oestreich zu ahnen und ihre Werke darnach einzurichten?
Bewundernswerth bleibt jedenfalls die edle Enthaltsamkeit, ja die Selbstaufopfe¬
rung der patriotischen Jugend, welche sich in den Willen der Regierung ohne
Murren fügt und gerne in qualvollen Wissensdurst verschmachtet, damit nur ein
künftiges Geschlecht im Stande sei, aus ungetrübter weißrothgrüner Quelle den
Geist zu laben.
Jenem communistischen Aberglauben fiel einer seiner eifrigsten Apostel selbst
als Opfer. Wer kennt nicht das tragische Ende des Grafen Stadion? Die Quelle
seines Unglücks ist in Wien öffentliches Geheimniß, aber, so viel ich weiß, ist
noch kein Wort darüber ins Ausland» gedrungen. Um die polnische Nemesis ans
dem Wege zu räumen, wagte Stadion einen kühnen Griff. Er faßte ein Stück
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