Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.entsprechenden Figur in Kaulbach's Narrenhaus. An deu Thüren lassen sich einige Diese Undeutlichkeit in. Beziehung auf deu eigentlichen Zweck des Bildes, Eine Rede zu malen, ist nur in Einem Fall erlaubt: wenn sich ihre Wir¬ Dazu kommt noch ein zweiter Umstand. Das Geschäft des Zuhörers ist, so 19*
entsprechenden Figur in Kaulbach's Narrenhaus. An deu Thüren lassen sich einige Diese Undeutlichkeit in. Beziehung auf deu eigentlichen Zweck des Bildes, Eine Rede zu malen, ist nur in Einem Fall erlaubt: wenn sich ihre Wir¬ Dazu kommt noch ein zweiter Umstand. Das Geschäft des Zuhörers ist, so 19*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0151" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279699"/> <p xml:id="ID_487" prev="#ID_486"> entsprechenden Figur in Kaulbach's Narrenhaus. An deu Thüren lassen sich einige<lb/> rothe Jakobinermützen sehen, die eine sich hereindrängende Fran zurückhalten —<lb/> vermuthlich die Verwandte eines der Gefangenen — aber alles das ist im dunkeln<lb/> Hintergrunde. Die Jacobiner, nnter denen sich ein in einen rothen Mantel ge¬<lb/> hüllter Mann, vielleicht der Henker, auszeichnet, halten sich, mit Ausnahme einiger<lb/> unbedeutenden komischen Personen, sehr anständig; sie sehen finster, aber ohne<lb/> gemeine Schadenfreude, auf ihre Gefangenen herab. Daß die letzteren es sind,<lb/> ist durch kein bestimmtes Zeichen zu erkennen.</p><lb/> <p xml:id="ID_488"> Diese Undeutlichkeit in. Beziehung auf deu eigentlichen Zweck des Bildes,<lb/> nach meiner frühern Auseinandersetzung der schlimmste Fehler der Kunst, wird<lb/> noch gesteigert durch die unmittelbare Beschäftigung der dargestellten Figuren.<lb/> Vergniaud hält eine Rede, die Andern hören zu; was er ihnen sagt, können wir<lb/> nicht sehen, wir können also auch über den Einfluß seiner Worte auf die Empfin¬<lb/> dungen der Uebrigen uicht ins Klare kommen. Er echauffirt sich, und sie bleiben<lb/> kalt, der eine läßt den Kopf hängen, der andere fährt in der Lectüre seiner Zei¬<lb/> tung fort, noch andere unterhalten sich mit einander; im besten Fall zeigt mau<lb/> eine höfliche, aber durch wechselnde Betrachtungen immer zerstreute Aufmerksamkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_489"> Eine Rede zu malen, ist nur in Einem Fall erlaubt: wenn sich ihre Wir¬<lb/> kung in unmittelbarer sinnlicher Anschaulichkeit ausprägt. Ein Demagog, Husstt<lb/> u. tgi., der zu den Waffen ruft, umgeben von einem tobenden, exaltirten Getüm¬<lb/> mel, von Waffeugeklirr und Säbelschwingen; oder ein Bußprediger, um den sich<lb/> eine heulende Menge, Asche auf dem Haupt, im Staube windet, das ist ver¬<lb/> ständlich. Aber ein doctrinärer Vortrag, sei er auch noch so sehr auf das Ge¬<lb/> müth berechnet, läßt sich nicht versinnlichen. Eine Rede über die Unsterblichkeit<lb/> der Seele! Was sollen die Zuhörer dazu sür Gesichter machen? Der Sccptiker,<lb/> der Christ, der sentimentale Schwächling, der trotzige Freie, sie werden Jeder<lb/> einen so eigenthümlichen Ausdruck zeigen, daß auch der geübteste Physivguom, wenn<lb/> er die Worte nicht hört, das Gemeinsame uicht herausfinden wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_490"> Dazu kommt noch ein zweiter Umstand. Das Geschäft des Zuhörers ist, so<lb/> kluge Sachen auch gesprochen werden mögen, immer ein passives, etwas einfälti¬<lb/> ges. Im Dialog geht es; die Antwort, mit der ich meinen Gegner vernichten<lb/> will, drängt sich, schon ehe ich zu Worte komme, in meinen Blick, meine Stirn,<lb/> meine Nüstern. Aber wenn eine ganze Gesellschaft einem Vortrag folgen soll, so<lb/> wird sie unvermeidlich in jene gelinde melancholiche Abgespanntheit verfallen, die<lb/> dem Gesicht einen unerträglich langweiligen Ausdruck gibt. Am einfältigsten<lb/> sieht der Mensch aus, wenn er sich male« läßt; zunächst, wenn er eine Predigt<lb/> anhört. Nun noch beides zusammen! Denn es soll ja jedes Portrait ein eigen¬<lb/> thümliches Leben, also auch eine eigenthümliche Beschäftigung ausdrücken; der<lb/> Künstler sucht also jeder seiner Figuren eine besondere geistige Thätigkeit zu ver¬<lb/> leihen, und paralystrt dadurch die Wirkung der Hauptfigur, des Redners.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 19*</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0151]
entsprechenden Figur in Kaulbach's Narrenhaus. An deu Thüren lassen sich einige
rothe Jakobinermützen sehen, die eine sich hereindrängende Fran zurückhalten —
vermuthlich die Verwandte eines der Gefangenen — aber alles das ist im dunkeln
Hintergrunde. Die Jacobiner, nnter denen sich ein in einen rothen Mantel ge¬
hüllter Mann, vielleicht der Henker, auszeichnet, halten sich, mit Ausnahme einiger
unbedeutenden komischen Personen, sehr anständig; sie sehen finster, aber ohne
gemeine Schadenfreude, auf ihre Gefangenen herab. Daß die letzteren es sind,
ist durch kein bestimmtes Zeichen zu erkennen.
Diese Undeutlichkeit in. Beziehung auf deu eigentlichen Zweck des Bildes,
nach meiner frühern Auseinandersetzung der schlimmste Fehler der Kunst, wird
noch gesteigert durch die unmittelbare Beschäftigung der dargestellten Figuren.
Vergniaud hält eine Rede, die Andern hören zu; was er ihnen sagt, können wir
nicht sehen, wir können also auch über den Einfluß seiner Worte auf die Empfin¬
dungen der Uebrigen uicht ins Klare kommen. Er echauffirt sich, und sie bleiben
kalt, der eine läßt den Kopf hängen, der andere fährt in der Lectüre seiner Zei¬
tung fort, noch andere unterhalten sich mit einander; im besten Fall zeigt mau
eine höfliche, aber durch wechselnde Betrachtungen immer zerstreute Aufmerksamkeit.
Eine Rede zu malen, ist nur in Einem Fall erlaubt: wenn sich ihre Wir¬
kung in unmittelbarer sinnlicher Anschaulichkeit ausprägt. Ein Demagog, Husstt
u. tgi., der zu den Waffen ruft, umgeben von einem tobenden, exaltirten Getüm¬
mel, von Waffeugeklirr und Säbelschwingen; oder ein Bußprediger, um den sich
eine heulende Menge, Asche auf dem Haupt, im Staube windet, das ist ver¬
ständlich. Aber ein doctrinärer Vortrag, sei er auch noch so sehr auf das Ge¬
müth berechnet, läßt sich nicht versinnlichen. Eine Rede über die Unsterblichkeit
der Seele! Was sollen die Zuhörer dazu sür Gesichter machen? Der Sccptiker,
der Christ, der sentimentale Schwächling, der trotzige Freie, sie werden Jeder
einen so eigenthümlichen Ausdruck zeigen, daß auch der geübteste Physivguom, wenn
er die Worte nicht hört, das Gemeinsame uicht herausfinden wird.
Dazu kommt noch ein zweiter Umstand. Das Geschäft des Zuhörers ist, so
kluge Sachen auch gesprochen werden mögen, immer ein passives, etwas einfälti¬
ges. Im Dialog geht es; die Antwort, mit der ich meinen Gegner vernichten
will, drängt sich, schon ehe ich zu Worte komme, in meinen Blick, meine Stirn,
meine Nüstern. Aber wenn eine ganze Gesellschaft einem Vortrag folgen soll, so
wird sie unvermeidlich in jene gelinde melancholiche Abgespanntheit verfallen, die
dem Gesicht einen unerträglich langweiligen Ausdruck gibt. Am einfältigsten
sieht der Mensch aus, wenn er sich male« läßt; zunächst, wenn er eine Predigt
anhört. Nun noch beides zusammen! Denn es soll ja jedes Portrait ein eigen¬
thümliches Leben, also auch eine eigenthümliche Beschäftigung ausdrücken; der
Künstler sucht also jeder seiner Figuren eine besondere geistige Thätigkeit zu ver¬
leihen, und paralystrt dadurch die Wirkung der Hauptfigur, des Redners.
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