Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.Genrebild, aber nicht für ein historisches Gemälde ein geeigneter Vorwurf. DaS Er hat es theils durch den Ausdruck der Gesichter, theils durch die Umge¬ Das erste ist ein höchst mißliches Unternehmen. Ein Trinkgelage soll heiter Was den Contrast der Umgebung betrifft, so hätte er allerdings stärker sein Genrebild, aber nicht für ein historisches Gemälde ein geeigneter Vorwurf. DaS Er hat es theils durch den Ausdruck der Gesichter, theils durch die Umge¬ Das erste ist ein höchst mißliches Unternehmen. Ein Trinkgelage soll heiter Was den Contrast der Umgebung betrifft, so hätte er allerdings stärker sein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0150" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279698"/> <p xml:id="ID_483" prev="#ID_482"> Genrebild, aber nicht für ein historisches Gemälde ein geeigneter Vorwurf. DaS<lb/> Historische wird in unserm Fall nicht in der Sache selbst, sondern im Contrast<lb/> gegeben. U<i>-iun-i bitume. Die Wirkung durch den Contrast ist sentimental,<lb/> witzig, epigrammatisch, kurz, sie gehört der Romantik an, nicht der Plastik. Spie¬<lb/> lende Kinder auf einer Brandstätte n. dergl. ästhetisch zu würdigen, war unserer<lb/> modernen Empfindsamkeit vorbehalten. Abgesehen davon, ist die Frage, wie der<lb/> Künstler den Contrast versinnlicht hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_484"> Er hat es theils durch den Ausdruck der Gesichter, theils durch die Umge¬<lb/> bungen zu erreichen versucht.</p><lb/> <p xml:id="ID_485"> Das erste ist ein höchst mißliches Unternehmen. Ein Trinkgelage soll heiter<lb/> sein, melancholische Trinker sind eine unzweckmäßige Combination. Nur barba¬<lb/> rische Völker sausen um die Leiche ihres verstorbenen Freundes. Es ist natürlich,<lb/> die Erscheinung mit der zunächst sich darstellenden Ursache in Verbindung zu brin¬<lb/> gen, also hier den leidenden Ausdruck der Physiognomien mit dem getrunknen<lb/> Wem. Ich frage einen Jeden, der ähnliche Scenen aus eigner Anschauung kennt,<lb/> ans sein Gewissen, ob seine erste Vermuthung nicht darauf geht, die Gesellschaft<lb/> sei in dem Stadium der Trunkenheit angekommen, wo sie elegisch wird. In dem<lb/> Stadium, wo man sich umarmt, wo man tiefsinnig anf's Glas stiert, oder den<lb/> Kopf in höchst zweideutiger Absicht nach Vorn herüberbeugt. Der Ausdruck der<lb/> Hauptperson trägt wesentlich dazu bei, diese Auffassung zu bekräftigen. Bleich,<lb/> mit verwilderten Blicken, ungeordneter Cravatte, Rock und Weste weit aufgerissen,<lb/> hält er eine Rede. Die umstehenden Kellner sehn mit Befremden auf die wunder¬<lb/> liche Gruppe.</p><lb/> <p xml:id="ID_486" next="#ID_487"> Was den Contrast der Umgebung betrifft, so hätte er allerdings stärker sein<lb/> können. Sähen wir die Gesellschaft mit Fesseln belastet, in einem feuchten Ge¬<lb/> wölbe, im Hintergrund die Henker mit gezücktem Schwert und wüstem Lärm her¬<lb/> einstürzend, so würden wir zwar über die Zweckmäßigkeit, in solchem Augenblick<lb/> ein Trinkgelage zu halten, verschiedner Meinung sein, aber wir würden wenig¬<lb/> stens wissen, warum es sich handelt. Die allzu zarte Färbung des Contrastes<lb/> läßt uns im Dunkeln. Links auf einem Tisch liegt ein Todtenkopf, ein Krucifix<lb/> und mehrere Bücher. Daraus ersehen wir noch nichts, denn wir wissen, daß es<lb/> bei den ägyptischen Mahlzeiten Sitte war, ein Gerippe neben den Blumen auf¬<lb/> zustellen. Rechts liegt ein großes Tuch, einer der Gäste hebt, scheu zur Seite<lb/> blickend, einen Zipfel auf, und wir entdecken ein Stück vom Kopf eines Leich¬<lb/> nams. Wie kommt er dahin? und warum erregt eine so seltsame Erscheinung<lb/> in der Gesellschaft nicht größere Aufmerksamkeit? — Nur aus dem Katalog er¬<lb/> sehen wir, daß es die Leiche jenes Girondisten ist, der sich selbst erschossen hat<lb/> und trotzdem auf dem Karren mit zur Richtstätte geschleppt werden soll. — Ein<lb/> aufgedunsener Philister, den wir aus einigen Schlüsseln als den Schließer des<lb/> Gefängnisses erkennen sollen, geht an den Gefangenen vorüber — eine Copie der</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0150]
Genrebild, aber nicht für ein historisches Gemälde ein geeigneter Vorwurf. DaS
Historische wird in unserm Fall nicht in der Sache selbst, sondern im Contrast
gegeben. U<i>-iun-i bitume. Die Wirkung durch den Contrast ist sentimental,
witzig, epigrammatisch, kurz, sie gehört der Romantik an, nicht der Plastik. Spie¬
lende Kinder auf einer Brandstätte n. dergl. ästhetisch zu würdigen, war unserer
modernen Empfindsamkeit vorbehalten. Abgesehen davon, ist die Frage, wie der
Künstler den Contrast versinnlicht hat.
Er hat es theils durch den Ausdruck der Gesichter, theils durch die Umge¬
bungen zu erreichen versucht.
Das erste ist ein höchst mißliches Unternehmen. Ein Trinkgelage soll heiter
sein, melancholische Trinker sind eine unzweckmäßige Combination. Nur barba¬
rische Völker sausen um die Leiche ihres verstorbenen Freundes. Es ist natürlich,
die Erscheinung mit der zunächst sich darstellenden Ursache in Verbindung zu brin¬
gen, also hier den leidenden Ausdruck der Physiognomien mit dem getrunknen
Wem. Ich frage einen Jeden, der ähnliche Scenen aus eigner Anschauung kennt,
ans sein Gewissen, ob seine erste Vermuthung nicht darauf geht, die Gesellschaft
sei in dem Stadium der Trunkenheit angekommen, wo sie elegisch wird. In dem
Stadium, wo man sich umarmt, wo man tiefsinnig anf's Glas stiert, oder den
Kopf in höchst zweideutiger Absicht nach Vorn herüberbeugt. Der Ausdruck der
Hauptperson trägt wesentlich dazu bei, diese Auffassung zu bekräftigen. Bleich,
mit verwilderten Blicken, ungeordneter Cravatte, Rock und Weste weit aufgerissen,
hält er eine Rede. Die umstehenden Kellner sehn mit Befremden auf die wunder¬
liche Gruppe.
Was den Contrast der Umgebung betrifft, so hätte er allerdings stärker sein
können. Sähen wir die Gesellschaft mit Fesseln belastet, in einem feuchten Ge¬
wölbe, im Hintergrund die Henker mit gezücktem Schwert und wüstem Lärm her¬
einstürzend, so würden wir zwar über die Zweckmäßigkeit, in solchem Augenblick
ein Trinkgelage zu halten, verschiedner Meinung sein, aber wir würden wenig¬
stens wissen, warum es sich handelt. Die allzu zarte Färbung des Contrastes
läßt uns im Dunkeln. Links auf einem Tisch liegt ein Todtenkopf, ein Krucifix
und mehrere Bücher. Daraus ersehen wir noch nichts, denn wir wissen, daß es
bei den ägyptischen Mahlzeiten Sitte war, ein Gerippe neben den Blumen auf¬
zustellen. Rechts liegt ein großes Tuch, einer der Gäste hebt, scheu zur Seite
blickend, einen Zipfel auf, und wir entdecken ein Stück vom Kopf eines Leich¬
nams. Wie kommt er dahin? und warum erregt eine so seltsame Erscheinung
in der Gesellschaft nicht größere Aufmerksamkeit? — Nur aus dem Katalog er¬
sehen wir, daß es die Leiche jenes Girondisten ist, der sich selbst erschossen hat
und trotzdem auf dem Karren mit zur Richtstätte geschleppt werden soll. — Ein
aufgedunsener Philister, den wir aus einigen Schlüsseln als den Schließer des
Gefängnisses erkennen sollen, geht an den Gefangenen vorüber — eine Copie der
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