Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

einen jüdischen Schulmeister zu gewinnen. Ein energisches Weib, mit großen
Leidenschaften, müßte das Motiv dieser feigen Rene durchschauen, und ihn um so
mehr verachten. Sie hätte ihm sagen können: "lebe so weiter fort, du Knabe der
Thränen! du bist es nicht werth, daß Jehovah deinetwegen seine Blitze in Bewe¬
gung setzt!" Aber gerührt werden, weinen, das Kind küssen, und wieder küssen,
das Haus segnen -- sehr liebenswürdig ist es von dieser Jüdin, aber eine tra¬
gische Heldin ist sie nicht.

Und so ist es mit den übrigen Personen. Mit Ausnahme einiger Choristen und
eines alten Juden, der sonst überflüssig ist und nur als Träger alttestamentlicher
Reminiscenzen auf die Bühne gebracht wird, erscheint Alles, den Pfarrer und den
erzürnten Vater mit eingeschlossen, so weich, so zärtlich, so aufgeklärt, so tugend¬
haft, daß der sogenannte religiöse Conflict alle Berechtigung verliert. Es ist
lediglich ein Conflict der Convenienz. Nur Ein Bösewicht ist im Stück, und
auch dieser -- das ist charakteristisch -- wird bekehrt. Es ist doch nöthig, daß
der Fanatismus der Bauern gegen die Juden sich in einem bestimmten Träger
verkörpert. Ein strenggläubiger Katholik wäre dazu am besten geeignet. Aber
das ist zu einfach! Es ist ein getaufter Jude, welcher die Juden darum verfolgt,
weil er fürchtet, von ihnen entlarvt zu werde". So geschieht es auch wirklich;
ein alter, blinder Jude, den er eben austreibt, erkennt ihn an der Stimme und
an dem Gesicht, das er befühlt, als einen getauften Juden; in Folge dessen ver¬
liert er seine Schulmeisterstelle. Das soll östreichisches Gesetz sein; ob es wahr
ist, weiß ich nicht. Darauf geht er in sich und bessert sich hinter den Coulissen,
er nimmt mehrere umgetaufte Verwandte zu sich und erlangt darauf seine Stelle
wieder. Joseph reist nämlich nach Wien zu dem jungen, edlen Kaiser, dessen
Thür jedem Bittsteller offen steht, und dessen Bildung weit über den Fanatismus
der öffentlichen Meinung hinausreicht, und erhält von ihm die Erlaubniß, einen
getauften Juden als Schulmeister in seinem Dorfe zu haben! -- Diese Person
ist charakteristisch für die Gutmüthigkeit des Dichters, aber auch für seine geringe
Empfänglichkeit für tragische Probleme.

Diese Gutmüthigkeit hat ihn auch zu der Wahl des Stoffes verleitet. Hu¬
manität, Toleranz, Emancipation! Ich dächte, wir hätten der Judenwirthschaft
nachgerade genug auf unserm Theater. Als Lessing seinen Juden auf die Bühne
brachte, war es ein Verdienst, denn die große Masse des Volks war in ihrer
christlichen Intoleranz noch naiv; das heutige, romantisch reflectirte Christenthum
geht mit seineu Scheidungsversuchen so bescheiden zu Werke, daß es ein Kampf
gegen Windmühlen wäre, wenn man eine schwere Lanze gegen diese hohle Rüstung
einlegen wollte. Kommt es auch hie und da noch vor, daß Gassenjungen einer
orientalischen Erscheinung ihr Hepp Hepp nachrufen, so ist das kein tragischer
Conflict, kein Gebildeter macht zwischen Juden und Christen einen andern Unter¬
schied, als der in ihrer menschlichen Erscheinung liegt. Daß man die Gemeinheit


einen jüdischen Schulmeister zu gewinnen. Ein energisches Weib, mit großen
Leidenschaften, müßte das Motiv dieser feigen Rene durchschauen, und ihn um so
mehr verachten. Sie hätte ihm sagen können: „lebe so weiter fort, du Knabe der
Thränen! du bist es nicht werth, daß Jehovah deinetwegen seine Blitze in Bewe¬
gung setzt!" Aber gerührt werden, weinen, das Kind küssen, und wieder küssen,
das Haus segnen — sehr liebenswürdig ist es von dieser Jüdin, aber eine tra¬
gische Heldin ist sie nicht.

Und so ist es mit den übrigen Personen. Mit Ausnahme einiger Choristen und
eines alten Juden, der sonst überflüssig ist und nur als Träger alttestamentlicher
Reminiscenzen auf die Bühne gebracht wird, erscheint Alles, den Pfarrer und den
erzürnten Vater mit eingeschlossen, so weich, so zärtlich, so aufgeklärt, so tugend¬
haft, daß der sogenannte religiöse Conflict alle Berechtigung verliert. Es ist
lediglich ein Conflict der Convenienz. Nur Ein Bösewicht ist im Stück, und
auch dieser — das ist charakteristisch — wird bekehrt. Es ist doch nöthig, daß
der Fanatismus der Bauern gegen die Juden sich in einem bestimmten Träger
verkörpert. Ein strenggläubiger Katholik wäre dazu am besten geeignet. Aber
das ist zu einfach! Es ist ein getaufter Jude, welcher die Juden darum verfolgt,
weil er fürchtet, von ihnen entlarvt zu werde». So geschieht es auch wirklich;
ein alter, blinder Jude, den er eben austreibt, erkennt ihn an der Stimme und
an dem Gesicht, das er befühlt, als einen getauften Juden; in Folge dessen ver¬
liert er seine Schulmeisterstelle. Das soll östreichisches Gesetz sein; ob es wahr
ist, weiß ich nicht. Darauf geht er in sich und bessert sich hinter den Coulissen,
er nimmt mehrere umgetaufte Verwandte zu sich und erlangt darauf seine Stelle
wieder. Joseph reist nämlich nach Wien zu dem jungen, edlen Kaiser, dessen
Thür jedem Bittsteller offen steht, und dessen Bildung weit über den Fanatismus
der öffentlichen Meinung hinausreicht, und erhält von ihm die Erlaubniß, einen
getauften Juden als Schulmeister in seinem Dorfe zu haben! — Diese Person
ist charakteristisch für die Gutmüthigkeit des Dichters, aber auch für seine geringe
Empfänglichkeit für tragische Probleme.

Diese Gutmüthigkeit hat ihn auch zu der Wahl des Stoffes verleitet. Hu¬
manität, Toleranz, Emancipation! Ich dächte, wir hätten der Judenwirthschaft
nachgerade genug auf unserm Theater. Als Lessing seinen Juden auf die Bühne
brachte, war es ein Verdienst, denn die große Masse des Volks war in ihrer
christlichen Intoleranz noch naiv; das heutige, romantisch reflectirte Christenthum
geht mit seineu Scheidungsversuchen so bescheiden zu Werke, daß es ein Kampf
gegen Windmühlen wäre, wenn man eine schwere Lanze gegen diese hohle Rüstung
einlegen wollte. Kommt es auch hie und da noch vor, daß Gassenjungen einer
orientalischen Erscheinung ihr Hepp Hepp nachrufen, so ist das kein tragischer
Conflict, kein Gebildeter macht zwischen Juden und Christen einen andern Unter¬
schied, als der in ihrer menschlichen Erscheinung liegt. Daß man die Gemeinheit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0146" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279694"/>
            <p xml:id="ID_465" prev="#ID_464"> einen jüdischen Schulmeister zu gewinnen. Ein energisches Weib, mit großen<lb/>
Leidenschaften, müßte das Motiv dieser feigen Rene durchschauen, und ihn um so<lb/>
mehr verachten. Sie hätte ihm sagen können: &#x201E;lebe so weiter fort, du Knabe der<lb/>
Thränen! du bist es nicht werth, daß Jehovah deinetwegen seine Blitze in Bewe¬<lb/>
gung setzt!" Aber gerührt werden, weinen, das Kind küssen, und wieder küssen,<lb/>
das Haus segnen &#x2014; sehr liebenswürdig ist es von dieser Jüdin, aber eine tra¬<lb/>
gische Heldin ist sie nicht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_466"> Und so ist es mit den übrigen Personen. Mit Ausnahme einiger Choristen und<lb/>
eines alten Juden, der sonst überflüssig ist und nur als Träger alttestamentlicher<lb/>
Reminiscenzen auf die Bühne gebracht wird, erscheint Alles, den Pfarrer und den<lb/>
erzürnten Vater mit eingeschlossen, so weich, so zärtlich, so aufgeklärt, so tugend¬<lb/>
haft, daß der sogenannte religiöse Conflict alle Berechtigung verliert. Es ist<lb/>
lediglich ein Conflict der Convenienz. Nur Ein Bösewicht ist im Stück, und<lb/>
auch dieser &#x2014; das ist charakteristisch &#x2014; wird bekehrt. Es ist doch nöthig, daß<lb/>
der Fanatismus der Bauern gegen die Juden sich in einem bestimmten Träger<lb/>
verkörpert. Ein strenggläubiger Katholik wäre dazu am besten geeignet. Aber<lb/>
das ist zu einfach! Es ist ein getaufter Jude, welcher die Juden darum verfolgt,<lb/>
weil er fürchtet, von ihnen entlarvt zu werde». So geschieht es auch wirklich;<lb/>
ein alter, blinder Jude, den er eben austreibt, erkennt ihn an der Stimme und<lb/>
an dem Gesicht, das er befühlt, als einen getauften Juden; in Folge dessen ver¬<lb/>
liert er seine Schulmeisterstelle. Das soll östreichisches Gesetz sein; ob es wahr<lb/>
ist, weiß ich nicht. Darauf geht er in sich und bessert sich hinter den Coulissen,<lb/>
er nimmt mehrere umgetaufte Verwandte zu sich und erlangt darauf seine Stelle<lb/>
wieder. Joseph reist nämlich nach Wien zu dem jungen, edlen Kaiser, dessen<lb/>
Thür jedem Bittsteller offen steht, und dessen Bildung weit über den Fanatismus<lb/>
der öffentlichen Meinung hinausreicht, und erhält von ihm die Erlaubniß, einen<lb/>
getauften Juden als Schulmeister in seinem Dorfe zu haben! &#x2014; Diese Person<lb/>
ist charakteristisch für die Gutmüthigkeit des Dichters, aber auch für seine geringe<lb/>
Empfänglichkeit für tragische Probleme.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_467" next="#ID_468"> Diese Gutmüthigkeit hat ihn auch zu der Wahl des Stoffes verleitet. Hu¬<lb/>
manität, Toleranz, Emancipation! Ich dächte, wir hätten der Judenwirthschaft<lb/>
nachgerade genug auf unserm Theater. Als Lessing seinen Juden auf die Bühne<lb/>
brachte, war es ein Verdienst, denn die große Masse des Volks war in ihrer<lb/>
christlichen Intoleranz noch naiv; das heutige, romantisch reflectirte Christenthum<lb/>
geht mit seineu Scheidungsversuchen so bescheiden zu Werke, daß es ein Kampf<lb/>
gegen Windmühlen wäre, wenn man eine schwere Lanze gegen diese hohle Rüstung<lb/>
einlegen wollte. Kommt es auch hie und da noch vor, daß Gassenjungen einer<lb/>
orientalischen Erscheinung ihr Hepp Hepp nachrufen, so ist das kein tragischer<lb/>
Conflict, kein Gebildeter macht zwischen Juden und Christen einen andern Unter¬<lb/>
schied, als der in ihrer menschlichen Erscheinung liegt. Daß man die Gemeinheit</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0146] einen jüdischen Schulmeister zu gewinnen. Ein energisches Weib, mit großen Leidenschaften, müßte das Motiv dieser feigen Rene durchschauen, und ihn um so mehr verachten. Sie hätte ihm sagen können: „lebe so weiter fort, du Knabe der Thränen! du bist es nicht werth, daß Jehovah deinetwegen seine Blitze in Bewe¬ gung setzt!" Aber gerührt werden, weinen, das Kind küssen, und wieder küssen, das Haus segnen — sehr liebenswürdig ist es von dieser Jüdin, aber eine tra¬ gische Heldin ist sie nicht. Und so ist es mit den übrigen Personen. Mit Ausnahme einiger Choristen und eines alten Juden, der sonst überflüssig ist und nur als Träger alttestamentlicher Reminiscenzen auf die Bühne gebracht wird, erscheint Alles, den Pfarrer und den erzürnten Vater mit eingeschlossen, so weich, so zärtlich, so aufgeklärt, so tugend¬ haft, daß der sogenannte religiöse Conflict alle Berechtigung verliert. Es ist lediglich ein Conflict der Convenienz. Nur Ein Bösewicht ist im Stück, und auch dieser — das ist charakteristisch — wird bekehrt. Es ist doch nöthig, daß der Fanatismus der Bauern gegen die Juden sich in einem bestimmten Träger verkörpert. Ein strenggläubiger Katholik wäre dazu am besten geeignet. Aber das ist zu einfach! Es ist ein getaufter Jude, welcher die Juden darum verfolgt, weil er fürchtet, von ihnen entlarvt zu werde». So geschieht es auch wirklich; ein alter, blinder Jude, den er eben austreibt, erkennt ihn an der Stimme und an dem Gesicht, das er befühlt, als einen getauften Juden; in Folge dessen ver¬ liert er seine Schulmeisterstelle. Das soll östreichisches Gesetz sein; ob es wahr ist, weiß ich nicht. Darauf geht er in sich und bessert sich hinter den Coulissen, er nimmt mehrere umgetaufte Verwandte zu sich und erlangt darauf seine Stelle wieder. Joseph reist nämlich nach Wien zu dem jungen, edlen Kaiser, dessen Thür jedem Bittsteller offen steht, und dessen Bildung weit über den Fanatismus der öffentlichen Meinung hinausreicht, und erhält von ihm die Erlaubniß, einen getauften Juden als Schulmeister in seinem Dorfe zu haben! — Diese Person ist charakteristisch für die Gutmüthigkeit des Dichters, aber auch für seine geringe Empfänglichkeit für tragische Probleme. Diese Gutmüthigkeit hat ihn auch zu der Wahl des Stoffes verleitet. Hu¬ manität, Toleranz, Emancipation! Ich dächte, wir hätten der Judenwirthschaft nachgerade genug auf unserm Theater. Als Lessing seinen Juden auf die Bühne brachte, war es ein Verdienst, denn die große Masse des Volks war in ihrer christlichen Intoleranz noch naiv; das heutige, romantisch reflectirte Christenthum geht mit seineu Scheidungsversuchen so bescheiden zu Werke, daß es ein Kampf gegen Windmühlen wäre, wenn man eine schwere Lanze gegen diese hohle Rüstung einlegen wollte. Kommt es auch hie und da noch vor, daß Gassenjungen einer orientalischen Erscheinung ihr Hepp Hepp nachrufen, so ist das kein tragischer Conflict, kein Gebildeter macht zwischen Juden und Christen einen andern Unter¬ schied, als der in ihrer menschlichen Erscheinung liegt. Daß man die Gemeinheit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/146
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/146>, abgerufen am 15.01.2025.