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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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lange wir auf unserer Bühne die Lumpe als Helden oder als liebenswürdige
Menschen verehren.

Aber man mißverstehe mich nicht. Der tragische Conflict ist da. Eine Lei¬
denschaft hat Joseph in ein Verhältniß gebracht, dessen weitere Verwickelung ihn
zu einer Verletzung seiner natürlichsten Pflichten und Neigungen bringen muß.
Eine Lösung muß erfolgen. Joseph wird entweder von seiner Leidenschaft so er¬
füllt sein, daß er Vater, Heimath und alles übrige aufgibt, oder er wird sich ge¬
waltsam zusammenraffen, seine Uebereilung einsehn, und nun der Geliebten sagen:
trage es wie du kannst, die Sache ist einmal so. In beiden Fällen wird ein
großer Schmerz die Folge ^sein, aber ein starker Mensch kann eben ans einem
ernsten Conflict nicht hervorgehn, ohne Schmerzen zu bereiten und zu empfangen.
Aber in der Schwebe zu bleiben, und in dieser Verlegenheit der Geliebten Geld an¬
bieten zu lassen, um dadurch sein Wort abzukaufen, mit dem Glauben, sie werde
es nicht annehmen, steh dann rasch zu der Ansicht zu sorciren, sie habe es ange¬
nommen, sie sei eine gemeine Creatur, und in seiner Schuld noch den Tugend¬
haften zu spielen, -- das ist feige, das ist niedrig, und Joseph mag nachher ein
so vortrefflicher Wirthschafte! und Familienvater sein, als er will, er bleibt doch
ein Lump. Freilich bleibt Deborah zuletzt nichts weiter übrig, als ihn unange¬
fochten zu lassen, denn so eine Figur aus Teig, so eine Molluske bricht ja
nicht unter den Schlägen des Schicksals; wenn er bestraft werden sollte, so könnte
das nur äußerlich geschehn. Aber darum soll man thu eben uicht in eine Tragödie
bringen wollen.

Und Deborah ist auch nichts weniger als eine Heldin, so energisch sie auch
ihr Gefühl ausströmt. So lauge sie sich lyrisch bewegen ?ann, in Empfindungen,
ist sie vortrefflich gehalten, wie der griechische Chor in ähnlichen Fällen,
aber im letzten Act, wo sie ihr Wesen eigentlich erst entfalten soll, fällt sie in
sich selbst zusammen. Sie hatte geglaubt, ihr Fluch würde in Erfüllung gehn,
was hätte sie in diesen, Fall gethan? Sich an dem Elend ihres Ungetreuen ge¬
weidet? Das wäre gemein gewesen. Ihm doch verzeihen? Das hätte ihm dann
Nicht viel geholfen. Der Fluch ist nicht in Erfüllung gegangen, ihr Gott hat sie
im Stich gelassen. Was soll sie nun thu"? Sich persönlich rächen? dem Jo¬
seph das Hans anzünden? sein Weib vergiften? sein Kind entführe"? -- Das
wäre immer keine Lösung des Conflicts. Oder vor Wuth und Gram sich tödten?
Da ist ssx immer die Besiegte. Es ist also das beste, daß sie verzeihend abgeht.
Aber dann war die ganze Flnchgeschichte -- wenigstens für das Drama -- über-
flüssig. Eine so weit ausgesponnene Rache kann überhaupt nur in unserer blasir-
ten rafstnirten Zeit zum Gegenstand einer Tragödie gemacht werden. Die wahre
Leidenschaft handelt im Moment. -- Zudem ist das Motiv ihrer Versöhnung
sehr schwach. Joseph hat sein Kind Deborah taufen lassen, er erquickt vagabun-
dirende Juden mit Speise und Trank, er reist bis nach Wien, um für sein Dorf


lange wir auf unserer Bühne die Lumpe als Helden oder als liebenswürdige
Menschen verehren.

Aber man mißverstehe mich nicht. Der tragische Conflict ist da. Eine Lei¬
denschaft hat Joseph in ein Verhältniß gebracht, dessen weitere Verwickelung ihn
zu einer Verletzung seiner natürlichsten Pflichten und Neigungen bringen muß.
Eine Lösung muß erfolgen. Joseph wird entweder von seiner Leidenschaft so er¬
füllt sein, daß er Vater, Heimath und alles übrige aufgibt, oder er wird sich ge¬
waltsam zusammenraffen, seine Uebereilung einsehn, und nun der Geliebten sagen:
trage es wie du kannst, die Sache ist einmal so. In beiden Fällen wird ein
großer Schmerz die Folge ^sein, aber ein starker Mensch kann eben ans einem
ernsten Conflict nicht hervorgehn, ohne Schmerzen zu bereiten und zu empfangen.
Aber in der Schwebe zu bleiben, und in dieser Verlegenheit der Geliebten Geld an¬
bieten zu lassen, um dadurch sein Wort abzukaufen, mit dem Glauben, sie werde
es nicht annehmen, steh dann rasch zu der Ansicht zu sorciren, sie habe es ange¬
nommen, sie sei eine gemeine Creatur, und in seiner Schuld noch den Tugend¬
haften zu spielen, — das ist feige, das ist niedrig, und Joseph mag nachher ein
so vortrefflicher Wirthschafte! und Familienvater sein, als er will, er bleibt doch
ein Lump. Freilich bleibt Deborah zuletzt nichts weiter übrig, als ihn unange¬
fochten zu lassen, denn so eine Figur aus Teig, so eine Molluske bricht ja
nicht unter den Schlägen des Schicksals; wenn er bestraft werden sollte, so könnte
das nur äußerlich geschehn. Aber darum soll man thu eben uicht in eine Tragödie
bringen wollen.

Und Deborah ist auch nichts weniger als eine Heldin, so energisch sie auch
ihr Gefühl ausströmt. So lauge sie sich lyrisch bewegen ?ann, in Empfindungen,
ist sie vortrefflich gehalten, wie der griechische Chor in ähnlichen Fällen,
aber im letzten Act, wo sie ihr Wesen eigentlich erst entfalten soll, fällt sie in
sich selbst zusammen. Sie hatte geglaubt, ihr Fluch würde in Erfüllung gehn,
was hätte sie in diesen, Fall gethan? Sich an dem Elend ihres Ungetreuen ge¬
weidet? Das wäre gemein gewesen. Ihm doch verzeihen? Das hätte ihm dann
Nicht viel geholfen. Der Fluch ist nicht in Erfüllung gegangen, ihr Gott hat sie
im Stich gelassen. Was soll sie nun thu»? Sich persönlich rächen? dem Jo¬
seph das Hans anzünden? sein Weib vergiften? sein Kind entführe»? — Das
wäre immer keine Lösung des Conflicts. Oder vor Wuth und Gram sich tödten?
Da ist ssx immer die Besiegte. Es ist also das beste, daß sie verzeihend abgeht.
Aber dann war die ganze Flnchgeschichte — wenigstens für das Drama — über-
flüssig. Eine so weit ausgesponnene Rache kann überhaupt nur in unserer blasir-
ten rafstnirten Zeit zum Gegenstand einer Tragödie gemacht werden. Die wahre
Leidenschaft handelt im Moment. — Zudem ist das Motiv ihrer Versöhnung
sehr schwach. Joseph hat sein Kind Deborah taufen lassen, er erquickt vagabun-
dirende Juden mit Speise und Trank, er reist bis nach Wien, um für sein Dorf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/145>, abgerufen am 15.01.2025.