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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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die Sträflinge bestehen keineswegs besondere Abtheilungen im Heere, wie bei uns
die Straft ompagnien. Sie werden in jede beliebige Truppe eingestellt, in welche
sie körperlich passen, und fast macht dies glauben, die Regierung sei der Ansicht,
die ganze unifonnirte Gesellschaft unter der Kriegsfahne bestehe aus Verbrechern,
und es sei daher nicht nöthig und möglich, Rücksichten zu nehmen und Absonde¬
rungen zu machen. In den Zuchthäusern findet man in Nußland fast nur körper¬
lich unbrauchbare Leute. Die kräftige» Züchtlinge männlichen Geschlechts hat man
im Heere zu suchen. Daß sie dort nicht dazu beitragen den moralisch schlechten
Zustand zu verbessern, ist wohl denkbar. Doch daran scheint der Negierung nichts
zu liegen. Sie ehrt die Flechse und den Knochen des Soldaten, das Geistige
an ihm ist ihr völlig gleichgiltig.

Auch die Art der militärischen Strafen verleiht dem Heere das Ansehn einer
Strafanstalt. Die Härte derselben ist entsetzlich und ihre Anwendung so häufig,
daß mau des Glaubens wird, der russische Soldat sei nur dazu da, tyrannisirt
zu werden. Arrest kommt beim Gemeinen fast gar nicht vor, um so häufiger die
körperliche Züchtigung. Das geringste Versehen im Dienste zieht eine Prügelstrafe
«ach sich. Die falsche Abgabe eines Executionszettels sah ich mit zwanzig Knuten-
Hieben bestrafen. Das Verwechseln eines Montirungsstückes, das Ueberhören eines
Signals, das zu späte Eintreffen auf dem Sammelplatz werden unverzüglich durch
Knutenschläge geahndet. Insubordination, Untreue gegen kaiserliches Eigenthum
und Desertion werden als die schwersten Verbrechen betrachtet, und ein Soldat,
welcher von der kaiserlichen Flinte eine Schraube, oder von der kaiserlichen Pa¬
trontasche eine Schnalle von einigen Pfennigen Werthes verkauft, hat zu erwarten,
daß er zu einer Strafe von 3 bis 400 Knutenschlägen verdammt werde. Deser¬
teuren werden nie unter 1000 Knutenschlägen zu Theil, welche sie wohl niemals
mit dem Leben überstehen. Und sollte dies bei einem der Fall sein, so wird ihm
zuschußweise gewöhnlich noch das Schicksal zu Theil, in ein sibirisches Regiment
versetzt zu werden.

Von einem Strafreglement ist nichts vorhanden, noch weniger von einer
Rücksicht auf dasselbe. Einige Strafangaben befinden sich zerstreut in der Jn-
structionssammlung, doch dienen sie nicht zur Maßgabe. Daher ist auch von einem
Strafgericht uicht die Rede. Jede Strafe entspringt der Willkür des Vorgesetzten.
Jeder Vorgesetzte hat die Macht, dem Soldaten Prügel zuzudictiren oder eigen¬
händig zu ertheilen, selbst der niedrigste, der Unteroffizier, und jeder derselben
gibt nur zu gern Beweise von dieser Macht.

Der Kaiser hat einen Ukas erlassen, nach welchem Soldaten, denen Orden
^'theilt worden sind, keine Prügelstrafe zndictirt werden darf. Allein die Offiziere
rissen llMr Kunde die unumschränkte Herrschaft zu bewahren, ohne den kaiserlichen
^kas zu verletzen, indem sie nämlich dem Soldaten die Orden von der Brust


Grenzboten. >v. 1849. l7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/133>, abgerufen am 24.01.2025.