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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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davon. Der Vater des Beraubten setzte alle Mittel in Bewegung, um der Ge¬
rechtigkeit einen Triumph zu verschaffe". Er wendete sich an die Civilgerichte,
allein vergebens. Diese lehnten mit Hartnäckigkeit die Aufnahme der Beschwerde
ab, welche das Heer so sehr compromittirte. Er wendete sich an die Militär¬
behörde, aber auch diese wies ihn zurück, und es schien, als ob er gegen Räuber
ans derjenigen Heeresabtheilung, welche unter dem Schutze der besonderen Gunst
des Fürsten Paskiewitsch steht, gar nichts sollte ausrichten können. Allein der
wackere deutsche Zimmermeister besaß eine ausdauernde Energie. Er wendete sich
sogar -- irre ich nicht, durch Vermittelung der Adjutantur -- an den Fürsten
Paskiewitsch selbst und dieser konnte, da die Verbrecher so genau bezeichnet und sicher
aufgefunden werden konnten, die Klage nicht abweisen. Ob und wie die Unter¬
suchung vorgenommen worden, hat man nicht erfahren, aber Große wurde nach
einigen Wochen in die Canzlei citirt und ihm da sämmtliche geraubte Sachen mit
dein Bedeuten zurückgegeben: "hier seien die Gegenstände alle, die er als geraubt
angegeben habe. Es fehle nichts daran. Damit aber solle er sich begnügen und
durchaus uicht einfallen lassen zu sagen, daß Soldaten, noch weniger daß Tscher-
kessen den Raub begangen haben. Wer die That ausgeübt habe, brauche er nicht
zu wissen, ja man wisse es selbst nicht, denn die Thäter seien nicht entdeckt wor¬
den. In weiterem aber solle er seinem Sohne den Rath geben, ein anderes
Mal nicht bei Nacht zu reisen."

Das Betteln der Soldaten ist so gewöhnlich wie das Stehlen. Ans offener
Straße wird man von den bejammernswerthen Leuten angefleht, und sieht man
ihnen recht in das Noth und Elend bezeugende Gesicht, so kann man nicht zögern,
ihnen einige Pfennige in die Mütze zu werfen. Sie küssen Einem dann gewöhnlich
unzählige Male deu Arm oder die Hand. A" den Chausseen fleht man sie oft in
größerer Zahl den Eguipagcn auflauern und diese dann mit verkehrt emporgehaltener
Mützen im Trabe begleiten. Einmal sah ich zwei russische Soldaten am Spät¬
abend eines Gallafesttages beim Lustschloß Lazienki alle Lustwandelnden bettelnd
anfallen, während gleichzeitig in dem prachtvollen Parterresaale des Schlosses das
Offiziercorps bei der überladensten Tafel saß und ans dem kleinen See vor dem
Schlosse ein Feuerwerk abbrennen ließ, welches wohl mehrere tausend Thaler
kosten mochte.

Die Negierung kennt sehr genau den jammervollen Zustand der untersten
Klassen ihres Heeres. In Deutschland und andern civilisirten Ländern werden
Diebe und andere Uebelthäter aus den Heeren gestoßen und der Verwandtschaft
mit dem Banner des Thrones und Reichs beraubt. Ju Rußland dagegen werden
sie dazu verurtheilt. Ein Jahr Zuchthausarbeit gilt dann gleich einem Jahre
Dienst im Heere. Doch wird es in den betreffenden Fällen keineswegs so genan
genommen, daß man den Menschen, der ein Jahr Strafdienst erwirkt hat, nicht
sollte seine halbe Lebenszeit unter der kaiserlichen KriegSscchne stehen lassen. Für


davon. Der Vater des Beraubten setzte alle Mittel in Bewegung, um der Ge¬
rechtigkeit einen Triumph zu verschaffe». Er wendete sich an die Civilgerichte,
allein vergebens. Diese lehnten mit Hartnäckigkeit die Aufnahme der Beschwerde
ab, welche das Heer so sehr compromittirte. Er wendete sich an die Militär¬
behörde, aber auch diese wies ihn zurück, und es schien, als ob er gegen Räuber
ans derjenigen Heeresabtheilung, welche unter dem Schutze der besonderen Gunst
des Fürsten Paskiewitsch steht, gar nichts sollte ausrichten können. Allein der
wackere deutsche Zimmermeister besaß eine ausdauernde Energie. Er wendete sich
sogar — irre ich nicht, durch Vermittelung der Adjutantur — an den Fürsten
Paskiewitsch selbst und dieser konnte, da die Verbrecher so genau bezeichnet und sicher
aufgefunden werden konnten, die Klage nicht abweisen. Ob und wie die Unter¬
suchung vorgenommen worden, hat man nicht erfahren, aber Große wurde nach
einigen Wochen in die Canzlei citirt und ihm da sämmtliche geraubte Sachen mit
dein Bedeuten zurückgegeben: „hier seien die Gegenstände alle, die er als geraubt
angegeben habe. Es fehle nichts daran. Damit aber solle er sich begnügen und
durchaus uicht einfallen lassen zu sagen, daß Soldaten, noch weniger daß Tscher-
kessen den Raub begangen haben. Wer die That ausgeübt habe, brauche er nicht
zu wissen, ja man wisse es selbst nicht, denn die Thäter seien nicht entdeckt wor¬
den. In weiterem aber solle er seinem Sohne den Rath geben, ein anderes
Mal nicht bei Nacht zu reisen."

Das Betteln der Soldaten ist so gewöhnlich wie das Stehlen. Ans offener
Straße wird man von den bejammernswerthen Leuten angefleht, und sieht man
ihnen recht in das Noth und Elend bezeugende Gesicht, so kann man nicht zögern,
ihnen einige Pfennige in die Mütze zu werfen. Sie küssen Einem dann gewöhnlich
unzählige Male deu Arm oder die Hand. A» den Chausseen fleht man sie oft in
größerer Zahl den Eguipagcn auflauern und diese dann mit verkehrt emporgehaltener
Mützen im Trabe begleiten. Einmal sah ich zwei russische Soldaten am Spät¬
abend eines Gallafesttages beim Lustschloß Lazienki alle Lustwandelnden bettelnd
anfallen, während gleichzeitig in dem prachtvollen Parterresaale des Schlosses das
Offiziercorps bei der überladensten Tafel saß und ans dem kleinen See vor dem
Schlosse ein Feuerwerk abbrennen ließ, welches wohl mehrere tausend Thaler
kosten mochte.

Die Negierung kennt sehr genau den jammervollen Zustand der untersten
Klassen ihres Heeres. In Deutschland und andern civilisirten Ländern werden
Diebe und andere Uebelthäter aus den Heeren gestoßen und der Verwandtschaft
mit dem Banner des Thrones und Reichs beraubt. Ju Rußland dagegen werden
sie dazu verurtheilt. Ein Jahr Zuchthausarbeit gilt dann gleich einem Jahre
Dienst im Heere. Doch wird es in den betreffenden Fällen keineswegs so genan
genommen, daß man den Menschen, der ein Jahr Strafdienst erwirkt hat, nicht
sollte seine halbe Lebenszeit unter der kaiserlichen KriegSscchne stehen lassen. Für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/132>, abgerufen am 15.01.2025.