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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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tet und werden täglich benutzt, doch vergehen fast stets zwei Wochen, bis ein und
dieselbe Abtheilung wieder an die Reihe kommt. Gleicher Weise müssen sich die
russischen Soldaten alle vier Wochen regelmäßig einer großen Haarschnr unterwerfen,
welche ebenfalls massenweise ausgeführt wird. Die Haare werden dicht ans der
Haut weggeschnitten, wie in andern Ländern bei den Galeerensclaven. Ursache zu
solchem Verfahren mag wohl genügend vorhanden sein, denn selbst bei den sehr
kurzen Haaren der Soldaten ist es immer noch nicht ungefährlich mit ihnen in
allzu enge Berührung zu kommen. Der Sold, welcher den Soldaten gegeben wird,
ist freilich vielleicht der niedrigste, den es in Europa gibt. Er beträgt noch nicht
ein Mal drei Pfennige für den Tag. Bei solchem Verdienst würde der beste
Wille, sich Kamm und Seife zu halten, ein vergeblicher sein. Man zahlt über¬
dies den Sold, damit das Geldstück doch nicht allzu erbärmlich aussehe und die
Sache der Mühe werth sei, nur alle vier Monate ein Mal ans. Es bekommt
dann der Mann einen Silberrubel, und diese seltene Gabe wird ihm natürlich der
Grund zu einem Freudenfeste, bei welchem an Bedürfnisse des Leibes von solider
Art nicht gedacht werden kann.

Die Regierung scheint bei Anordnung solcher Zahlungsweise auf die bestia¬
lische Branntweinsucht der Soldaten Rücksicht genommen zu haben. Häufige
Soldzahluug würde die Folge haben, daß das Heer oft betrunken wäre. Die
Trnnkwnth hat der Negierung anch so unbesiegbar geschienen, daß sie für mehrere
Tage nach der viermonatlicher Svldzahlnng dem Heere eine Art gesetzkräftigcr Un-
zurechnungsfähigkeit zu Theil werde" läßt. Ma" sagte mir für 3 Tage. In die¬
sen Tagen wird der Soldat nicht zum strengen Dienst gefordert und nicht auf den
Exercierplatz geführt, sondern darf sich, ohne eine Strafe fürchten zu müssen, so
berauschen, daß ihn die Posaunen des Weltgerichtes nicht, vielweniger die Hörner
der Signalisten, erwecken würden. Man gewahrt es angenblicklich, wenn bei
einem Regimente die Soldzahlung stattgefunden hat. Was von den niedrigsten
Klassen dieses Regimentes zu erblicken ist, taumelt oder liegt und schläft; letzteres
geschieht nicht selten ans offenen Straßen und in Gräben. So fand ich einmal
auf dem schmutzigen Platze vor dem Spital der protestantischen Gemeinde in
Warschau elf Leute eines Infanterieregiments, die auf einem großen Schutt- und
Kehrichthaufen die scheußliche Feier ihres Soldempfangs ausschliefen. Eine
gleiche Ansicht wurde mir hinter Powoski an der Straße nach der Festung Mvd-
Iw zu Theil. Dort lagen dreiundzwanzig gemeine Leute von dem sogenannten
gelben Uhlanenregimente rings um ein leeres Fäßchen in dem eisernen Schlafe
der viehischsten Trunkenheit, und gleichartige, jedoch kleinere Gruppen fand ich an
demselben Wege uoch drei. Hat der Soldat seinen Rubel in den paar Tagen
durchgebracht, so ist er natürlich zu einer vier Monate langen Nüchternheit ge¬
zwungen.

Das Brot, welches allwöchentlich gegeben wird, möchte in Deutschland kein


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tet und werden täglich benutzt, doch vergehen fast stets zwei Wochen, bis ein und
dieselbe Abtheilung wieder an die Reihe kommt. Gleicher Weise müssen sich die
russischen Soldaten alle vier Wochen regelmäßig einer großen Haarschnr unterwerfen,
welche ebenfalls massenweise ausgeführt wird. Die Haare werden dicht ans der
Haut weggeschnitten, wie in andern Ländern bei den Galeerensclaven. Ursache zu
solchem Verfahren mag wohl genügend vorhanden sein, denn selbst bei den sehr
kurzen Haaren der Soldaten ist es immer noch nicht ungefährlich mit ihnen in
allzu enge Berührung zu kommen. Der Sold, welcher den Soldaten gegeben wird,
ist freilich vielleicht der niedrigste, den es in Europa gibt. Er beträgt noch nicht
ein Mal drei Pfennige für den Tag. Bei solchem Verdienst würde der beste
Wille, sich Kamm und Seife zu halten, ein vergeblicher sein. Man zahlt über¬
dies den Sold, damit das Geldstück doch nicht allzu erbärmlich aussehe und die
Sache der Mühe werth sei, nur alle vier Monate ein Mal ans. Es bekommt
dann der Mann einen Silberrubel, und diese seltene Gabe wird ihm natürlich der
Grund zu einem Freudenfeste, bei welchem an Bedürfnisse des Leibes von solider
Art nicht gedacht werden kann.

Die Regierung scheint bei Anordnung solcher Zahlungsweise auf die bestia¬
lische Branntweinsucht der Soldaten Rücksicht genommen zu haben. Häufige
Soldzahluug würde die Folge haben, daß das Heer oft betrunken wäre. Die
Trnnkwnth hat der Negierung anch so unbesiegbar geschienen, daß sie für mehrere
Tage nach der viermonatlicher Svldzahlnng dem Heere eine Art gesetzkräftigcr Un-
zurechnungsfähigkeit zu Theil werde» läßt. Ma» sagte mir für 3 Tage. In die¬
sen Tagen wird der Soldat nicht zum strengen Dienst gefordert und nicht auf den
Exercierplatz geführt, sondern darf sich, ohne eine Strafe fürchten zu müssen, so
berauschen, daß ihn die Posaunen des Weltgerichtes nicht, vielweniger die Hörner
der Signalisten, erwecken würden. Man gewahrt es angenblicklich, wenn bei
einem Regimente die Soldzahlung stattgefunden hat. Was von den niedrigsten
Klassen dieses Regimentes zu erblicken ist, taumelt oder liegt und schläft; letzteres
geschieht nicht selten ans offenen Straßen und in Gräben. So fand ich einmal
auf dem schmutzigen Platze vor dem Spital der protestantischen Gemeinde in
Warschau elf Leute eines Infanterieregiments, die auf einem großen Schutt- und
Kehrichthaufen die scheußliche Feier ihres Soldempfangs ausschliefen. Eine
gleiche Ansicht wurde mir hinter Powoski an der Straße nach der Festung Mvd-
Iw zu Theil. Dort lagen dreiundzwanzig gemeine Leute von dem sogenannten
gelben Uhlanenregimente rings um ein leeres Fäßchen in dem eisernen Schlafe
der viehischsten Trunkenheit, und gleichartige, jedoch kleinere Gruppen fand ich an
demselben Wege uoch drei. Hat der Soldat seinen Rubel in den paar Tagen
durchgebracht, so ist er natürlich zu einer vier Monate langen Nüchternheit ge¬
zwungen.

Das Brot, welches allwöchentlich gegeben wird, möchte in Deutschland kein


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[0127] tet und werden täglich benutzt, doch vergehen fast stets zwei Wochen, bis ein und dieselbe Abtheilung wieder an die Reihe kommt. Gleicher Weise müssen sich die russischen Soldaten alle vier Wochen regelmäßig einer großen Haarschnr unterwerfen, welche ebenfalls massenweise ausgeführt wird. Die Haare werden dicht ans der Haut weggeschnitten, wie in andern Ländern bei den Galeerensclaven. Ursache zu solchem Verfahren mag wohl genügend vorhanden sein, denn selbst bei den sehr kurzen Haaren der Soldaten ist es immer noch nicht ungefährlich mit ihnen in allzu enge Berührung zu kommen. Der Sold, welcher den Soldaten gegeben wird, ist freilich vielleicht der niedrigste, den es in Europa gibt. Er beträgt noch nicht ein Mal drei Pfennige für den Tag. Bei solchem Verdienst würde der beste Wille, sich Kamm und Seife zu halten, ein vergeblicher sein. Man zahlt über¬ dies den Sold, damit das Geldstück doch nicht allzu erbärmlich aussehe und die Sache der Mühe werth sei, nur alle vier Monate ein Mal ans. Es bekommt dann der Mann einen Silberrubel, und diese seltene Gabe wird ihm natürlich der Grund zu einem Freudenfeste, bei welchem an Bedürfnisse des Leibes von solider Art nicht gedacht werden kann. Die Regierung scheint bei Anordnung solcher Zahlungsweise auf die bestia¬ lische Branntweinsucht der Soldaten Rücksicht genommen zu haben. Häufige Soldzahluug würde die Folge haben, daß das Heer oft betrunken wäre. Die Trnnkwnth hat der Negierung anch so unbesiegbar geschienen, daß sie für mehrere Tage nach der viermonatlicher Svldzahlnng dem Heere eine Art gesetzkräftigcr Un- zurechnungsfähigkeit zu Theil werde» läßt. Ma» sagte mir für 3 Tage. In die¬ sen Tagen wird der Soldat nicht zum strengen Dienst gefordert und nicht auf den Exercierplatz geführt, sondern darf sich, ohne eine Strafe fürchten zu müssen, so berauschen, daß ihn die Posaunen des Weltgerichtes nicht, vielweniger die Hörner der Signalisten, erwecken würden. Man gewahrt es angenblicklich, wenn bei einem Regimente die Soldzahlung stattgefunden hat. Was von den niedrigsten Klassen dieses Regimentes zu erblicken ist, taumelt oder liegt und schläft; letzteres geschieht nicht selten ans offenen Straßen und in Gräben. So fand ich einmal auf dem schmutzigen Platze vor dem Spital der protestantischen Gemeinde in Warschau elf Leute eines Infanterieregiments, die auf einem großen Schutt- und Kehrichthaufen die scheußliche Feier ihres Soldempfangs ausschliefen. Eine gleiche Ansicht wurde mir hinter Powoski an der Straße nach der Festung Mvd- Iw zu Theil. Dort lagen dreiundzwanzig gemeine Leute von dem sogenannten gelben Uhlanenregimente rings um ein leeres Fäßchen in dem eisernen Schlafe der viehischsten Trunkenheit, und gleichartige, jedoch kleinere Gruppen fand ich an demselben Wege uoch drei. Hat der Soldat seinen Rubel in den paar Tagen durchgebracht, so ist er natürlich zu einer vier Monate langen Nüchternheit ge¬ zwungen. Das Brot, welches allwöchentlich gegeben wird, möchte in Deutschland kein 16*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/127>, abgerufen am 15.01.2025.